Satellite
Show on map
  • Day 95

    Sinken vs. Erschossen werden

    October 15, 2018 in Italy ⋅ ☁️ 24 °C

    6.30 Uhr am Montag Morgen, es wird allmählich hell draußen und Gregor und ich stellen uns gegenseitig die Frage: Bleiben wir hier und werden vom Militär erschossen oder fahren wir und gehen im Sturm unter?

    Wie sind wir bloß in diese Zwickmühle geraten? Also das kam so:

    Als wir am Sonntag Nachmittag gegen 15 Uhr San Pietro verlassen, sind wir noch guter Dinge: Die Sonne lacht, es weht ein ordentliches Lüftchen, das wir aber zum Segeln nutzen können und wir haben gute Laune.

    2 Stunden später sieht die Lage deutlich anders aus: Wellen und Wind sind immer stärker geworden und kommen uns jetzt direkt entgegen, wir bergen die Segel und suchen Schutz hinter einer unbewohnten Insel südlich von San Pietro. Wir ankern dort und denken, wir hätten einen guten und relativ ruhigen Ankerplatz für die Nacht gefunden, doch ein Blick auf die Karte macht uns einen Strich durch die Rechnung: Wir befinden uns an der Grenze zu einem ziemlich großen Militärsperr- und Schießgebiet, das sich rund um Capo Teulada erstreckt - und da müssen wir durch, wenn wir es in 2 Tagen nach Cagliari zum Flughafen schaffen wollen.
    Gregor hat nämlich einen Geschäftstermin, daher drängt die Zeit. Nach einem Anruf in der Hafenmeisterei unseres letzten Ports in San Pietro, ist uns klar: Wir müssen noch heute durch das Militärgebiet, denn heute ist Sonntag und da wird nicht geknallt, aber ab Montag Morgen schon.

    Inzwischen ist es aber 18 Uhr, d.h. es bleibt noch etwa 1 Stunde bis zum Sonnenuntergang. Bis Chia, bis zur nächstbesten Ankerbucht, sind es aber noch knapp 50 Kilometer, das bedeutet bei dem derzeitigen Wind und Wellengang mindestens 5 Stunden Fahrt mit Shippy in der Dunkelheit.

    Hilft alles nix, wir müssen da jetzt durch, holen den Anker ein und stellen uns auf eine lange Nacht ein.

    Kaum ist die Sonne untergegangen, umfängt uns die pechschwarze Nacht, vom Mond ist nichts zu sehen und auch an der Küste leuchtet kein einziges Licht, nicht mal ein winziger Leuchtturm blinkt in der Ferne. Es ist stockduster und zu allem Überfluss werden die Wellen immer höher und Shippy, mit seinen beachtlichen 4-5 Tonnen knallt immer heftiger auf und gegen die Wellen, während Gregor und ich trotz mehrlagigen Zwiebellook nach kaum 3 Minuten pitschnass an Deck sitzen und versuchen die Richtung zu halten.

    Es ist so tiefschwarz, dass wir die Küste kaum vom Meer unterscheiden können und fast ausschließlich nach Navi fahren müssen. Ungefähr auf Höhe des Capo Teulada hat auch Shippy keine Lust mehr auf die kabbelige See und tut, was ein 40-Jahre-altes Boot in so einer Situation tun muss: er verabschiedet sich!

    Und mit er, meine ich seinen Motor. Denn der stottert zunächst, wird leiser und langsamer und geht dann schließlich ganz aus. Gregor und ich sehen uns an und denken beide gleichzeitig: Das war's! War schön dich kennenzulernen.

    Doch zu unserer Überraschung springt Shippy nochmal an und zwar lange genug, damit wir um die nächste Landzunge herumfahren können - nur um dort festzustellen, dass die Wellen und der Wind noch stärker sind und wir ohne jeglichen Schutz der See ausgeliefert sind.

    Irgendwie beruhigt es mich plötzlich, dass es so dunkel ist, weil ich so nicht im Voraus sehe, wie hoch die Wellen sind, die uns dann überspülen. Gregor ist mehr damit beschäftigt festzustellen, dass wir uns tatsächlich keinen Zentimeter fortbewegen, weil die Wellen einfach zu hoch und zu stark sind.
    Und Shippy hat wirklich überhaupt kein Bock mehr auf so einen Scheiß und geht aus! Und auch nicht mehr an.

    Die Wellen drücken uns immer mehr gegen die Felswand, während Gregor versucht uns mit der letzten Ruderwirkung um die Felsen in den Windschatten zu manövrieren, was ihm schließlich gelingt. Dort an der Leeseite der felsigen Landzunge hat das Wasser aber leider eine Tiefe von etwa 40 Meter, selbst ganz nah an der Felskante. Viel zu tief also zum Ankern. Doch mit etwas Glück, das sich in dieser Nacht zum ersten Mal bemerkbar macht, finden wir eine Stelle, an der zwei Felsen im Wasser hervorstehen, dort ist es nur knapp 5 Meter tief und wir werfen unseren Anker. Ich wähle die Nummer der italienischen Küstenwache und die internationale Notrufnummer, doch als ich nach mehreren erfolglosen Anläufen endlich durchkomme, spricht am anderen Ende niemand Englisch und nach einigen verzweifelten Versuchen auf Italienisch unsere Notlage zu erklären, bekomme ich mehr und mehr das Gefühl einen etwas lethargischen Italiener beim gemütlichen Fernsehabend gestört zu haben.

    Es ist inzwischen kurz nach Mitternacht, doch da es trotz Anker und Windschatten immer noch superkabbelig ist, beschließen Gregor und ich in Schichten zu Schlafen und Ankerwache zu halten. Das geht so bis halb 7 am Montag Morgen, bis Gregor und ich uns die bereits bekannte "Regen-oder-Traufe"-Frage stellen.

    Nach kurzen Überlegen entschließen wir uns dazu, das Vorsegel hochzuziehen und einen erneuten Anlauf um die Landzunge zu machen, diesmal hoffentlich mit Unterstützung von Shippys Motor. Der springt auch zunächst an, lässt uns dann aber kurz hinter der Landzunge wieder im Stich. Zu allem Überfluss sind die Wellen diesmal noch höher und der Wind noch stärker als in der Nacht und wir bewegen uns wieder kaum vorwärts, das Vorsegel wird vom Wind derartig mitgenommen, dass es irgendwann reißt und wir schleunigst umdrehen um wieder Schutz an unserem nächtlichen Ankerspot zu suchen.
    Dann doch lieber erschossen werden.

    Als wir schließlich wieder an dem Punkt sind, dass auch das keine günstige Lösung zu sein scheint, beschließen wir den Notfallknopf von Libify zu betätigen, auf den meine Mutter bestanden hat, dass ich ihn mitnehme.
    In meinem Kopf habe ich das Gerät zugegebenermaßen ziemlich oft belächelt und "Schwester Iris"-Notfallknopf genannt, verbunden mit der Erwartung, dass ein ambulantes Pflegeteam in weißen Opel Corsa mit Werbeaufschrift zu unserer Rettung eilen würde.
    Was für eine Ironie des Schicksals, dass es nun tatsächlich dieser Knopf sein sollte, der uns aus unserer Notlage rettete. Denn zwei Stunden nach Betätigen des Alarms und dem Erstkontakt zur Notrufzentrale ist es nicht Schwester Iris die in ihrem Corsa angebraust kommt, sondern ein robustes Marineschiff des Italienischen Militärs.

    Die vier Marinesoldaten an Deck haben uns schnell entdeckt, Shippy ein Abschleppseil verpasst und uns aufgefordert die Ankerleine zu kappen.
    Über die immer noch sehr kabbelige See werden wir zum nächstgelegenen Schifferhafen Porto Pino abgeschleppt. Dort diskutieren die drei Jungs von der Küstenwache, die sich auf halben Wege mit ihrem Boot auch noch zu uns gesellt haben, erstmal einige Stunden mit den Militärs, was denn nun weiter mit uns geschehen soll, während die Marinesoldaten Selfies mit mir machen und mich mit Süßigkeiten und Getränken versorgen und Gregor als Kaptän auf Shippy sitzen gelassen wird. Irgendwann wird Shippy schließlich an einer Ankerboje festgemacht und wir werden von der Küstenwache ohne ein weiteres Wort auf dem Steg abgesetzt.

    Zum Glück sind die Fischerleute in Porto Pino super lieb und hilfsbereit, besorgen einen Mechaniker, der Shippys Motor in weniger als 2 Stunden wieder zum Laufen kriegt, bringen uns in ein nettes Restaurant, damit auch Gregor endlich was zu essen kriegt, gehen Abends noch mit uns einen Trinken und bringen uns sogar zum Flughafen nach Cagliari.

    So endet die Geschichte von der Nacht und dem Tag des 15. Oktobers 2018, die für Gregor und mich die abenteurlichste der ganzen Reise war. Und für Shippy vielleicht sogar DAS Abenteuer seines Lebens.
    Read more