• Osum Canyon

    Oct 1–2, 2024 in Albania ⋅ ☀️ 20 °C

    Der heutige Tag begann mit einem fantastischen Blick auf den Osum-Canyon. Das Guest House Bracaj ist eine familiengeführte Unterkunft, die direkt am Abgrund gebaut ist, sodass man vom Zimmer aus in die Schlucht blicken kann. Zum Frühstück, das man in den Sommermonaten wunderbar draußen genießen kann, werden lokale Spezialitäten, hausgemachter Honig, Bergtee usw. serviert. Zu unserem Erstaunen war es in dieser Region morgens jedoch arschkalt, vor allem im Vergleich zur Küste, daher frühstückten wir innen. Die Zimmer sind sporadisch eingerichtet, aber immerhin mit Klimaanlage und Heizung.

    Der Osum-Canyon zählt zu den spektakulärsten Naturwundern Albaniens. Mit bis zu 100 Meter hohen Felswänden, die sich über eine Länge von 26 Kilometern erstrecken, bietet er eine beeindruckende Landschaft, die man relativ gut mit dem Auto erkunden kann. Besonders im Frühling, wenn der Schnee schmilzt und der Fluss viel Wasser führt, stürzen zahlreiche Wasserfälle in die Tiefe und schaffen eine einzigartige Kulisse.

    Uns wurde diese leider verwehrt, denn der Fluss ist derzeit ziemlich leer, fast schon ausgetrocknet. Beeindruckend ist es trotzdem, denn so sieht man mehr vom Canyon und kann sogar darin spazieren. Sämtliche Wasseraktivitäten wie Rafting oder Canyoning, für welche das Gebiet bekannt ist, fallen somit auch flach. Trotzdem haben wir lustigerweise eine Gruppe mit Rettungswesten gesehen... keine Ahnung, wo die hinwollten, aber wir waren froh, nichts im Voraus gebucht zu haben.

    Der Osum-Canyon wurde über Millionen von Jahren hinweg durch die stetige Erosion des Flusses Osum geformt. Der Fluss hat sich im Laufe der Zeit tief in das Gestein gegraben und die heutige beeindruckende Schlucht geformt. Vermutlich verlief der Fluss in der Frühgeschichte teilweise durch unterirdische Kanäle, bevor das Gestein darüber einstürzte. Die kontinuierliche Erosion schuf steile Felswände und beeindruckende Felsformationen wie die „Kathedrale“ und das „Dämonentor“, die heute zu den markantesten Wahrzeichen des Canyons zählen. Der Canyon erstreckt sich über 26 Kilometer und bietet an manchen Stellen nur 1,5 Meter breite Passagen, während andere Abschnitte deutlich weiter sind. Entlang der Kalksteinwände gibt es zahlreiche unerforschte Höhlen, die die Landschaft noch faszinierender machen.

    Früher war der Fluss für die Menschen der Region lebensnotwendig, nicht nur für die Wasserversorgung, sondern auch für den Betrieb von Mühlen. Diese Mühlen, deren Überreste noch heute entlang des Flusses sichtbar sind, nutzten die Wasserkraft, um Getreide zu mahlen – ein entscheidender Prozess für die regionale Landwirtschaft. Da der Fluss besonders in den engen Schluchten eine konstante Strömung entwickelte, konnten die Mühlen effizient arbeiten und trugen so zum Überleben der Menschen in dieser abgelegenen Region bei.

    An den steilen Felswänden des Canyons nisten seltene Greifvögel wie Adler und Falken, die majestätisch über die Schluchten kreisen. Besonders jetzt, da der Fluss wenig Wasser führt, sind ihre Rufe durch die stillen Schluchten deutlich zu hören. Entlang des Canyons wachsen außerdem zahlreiche mediterrane Pflanzen wie Heidekraut und Wacholder, die das Gestein stabilisieren und der Erosion entgegenwirken. Sie bieten außerdem Schutz und Lebensraum für viele Tierarten.

    Eine der kuriosesten Sehenswürdigkeiten im Osum-Canyon ist das sogenannte „Loch der Braut“ (albanisch: Vrima e Nuses). Der Legende nach wurde einst eine junge Frau gezwungen, einen ungeliebten Mann zu heiraten. Auf dem Weg zur Hochzeit betete sie zu Gott und die Felsen öffneten sich, um ihr einen Fluchtweg zu bieten. Seitdem wurde sie nie wieder gesehen. Heute kommen Frauen an diesen Ort, um Fruchtbarkeit zu erbitten, indem sie in der kleinen Karsthöhle Gebete sprechen und Opfergaben hinterlegen.

    Die Fahrt durch den Canyon war sehr beeindruckend. Abgesehen von großen Schlaglöchern kann man mit dem Auto gut bis zum „Ende“ fahren, wo die asphaltierte Straße in holprige Off-Road-Pfade übergeht. Auf dem Weg gibt es immer wieder kleine Parkmöglichkeiten und Aussichtsplattformen. Witzigerweise trafen wir unterwegs fast ausschließlich deutsche Touristen.
    Read more