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- Day 9–10
- Jun 4, 2025, 10:00pm
- ⛅ 13 °C
- Altitude: 16 m
SwedenGemeinde Gotland56°56’6” N 18°17’16” E
Gestern vs. heute

Es ist ein bisschen wie Äpfel mit Birnen vergleichen - oder eine Darmspiegelung mit einer schönen Wellnessmassage oder ein freies Wochenende mit einer bestandenen Matheprüfung - jedenfalls waren Dienstag und Mittwoch so unterschiedlich in Dynamik und Herausforderungen, dass ich ins Nachdenken kam. Über das Leben und mich selbst und was so eine Reise ausmacht.
Dienstag war ein buchstäblicher Traumtag - vierzehn Stunden Sonnenschein, ein paar der schönsten Flecken Gotlands, und ich hatte sie meist ganz für mich allein. Fast schon unheimlich, wenn man an einem Postkartenstrand wie dem in Sankt Olofsholm auf dem Bänkchen sitzt - und sonst ist da niemand. Wo sind die denn alle? (Ich weiss, sie kommen erst in zwei Wochen…)
Die kleine Asunden-Halbinsel vor Slike, das Raukenfeld dort und nur das Gluckern des Wellenschlags und die Vögel zu hören - zwischendurch war ich so ergriffen vom Naturerlebnis, ich hätte auch losheulen können. Auf der Rückfahrt über den Damm habe ich dann doch noch eine nette Bullifahrerin aus Kiel getroffen. Gotland scheint eine TouristINNENinsel zu sein - falls man bei der dünnen Stichprobenlage Statistiken aufstellen darf.
Nach vielen waldigen Trails und Wegen, vielen glücklichen Pausen bei Thermometer 15 aber gefühlt 25 Grad dann abends ein Vandrarhem im alten Bauernhof, mit Blumengarten, Schafherde und Kunst-Atelier. Bilderbuch.
Der Mittwoch startete ebenso idyllisch - und dann haben die Reisegötter mir Dornen in den Weg gelegt. Einen einzigen fiesen Dorn, genauer gesagt, nach 10 Kilometern und mitten im Wald im Nirgendwo. Hätte ich auch mal fünf Zentimeter weiter links oder rechts fahren können.
Was soll’s, wird halt geflickt, Vorderrad zum Glück, easy. Nach den ersten drei Mückenstichen hatte ich gleich auch die geniale Idee, das Rad aus dem Sumpfland heraus noch 50 Meter weiter auf die windige Lichtung zu schieben. Rad auf den Kopf, Multitool gezückt - und nach ein paar Hebelversuchen an der Mutter der Steckachse musste ich feststellen, dass Genialität nicht alles ist, sondern manchmal einfach Körperkraft den Deal macht. Das Teil bewegte sich kein My. Nochmal gegoogelt, ob ich auch in die richtige Richtung zu drehen versuche. Leider ja. Ohne Reifen ausbauen ist schlecht Schlauch wechseln. Mir schwante, dass bei der letzten Inspektion vermutlich irgendein Praktikant beim Arbeitsauftrag ‚kontrollier mal die Schrauben‘ alles gegeben hatte, die Dinger mit Profigerät so doll er nur konnte festzuziehen.
Hatte ich erwähnt, dass mir auf dieser Reise ausserhalb der Ortschaften nur alle hundert Jahre mal wer begegnet?
Nun, alle hundert Jahre war jetzt: Wie aus dem Gebüsch gezaubert rollte der erste andere Reiseradler vorbei, den ich auf den Straßen und Trails hier seit Farö getroffen habe. So ein Typ Faxe nur ohne Wikingerhelm, dafür mit Anhänger. Prima! Leider hatte Faxe keine Werkbank im Hänger, aber er bot Hilfe an, nachdem ich mich ihm in den Weg geworfen hatte - und brach sich in Folge mit meinem Reise-Inbus ebenfalls einen ab. Nach fünf Minuten hatte er der Schraubverbindung zwar einmal ein kleines Knarzen, aber dennoch keinerlei Bewegung abgerungen. ‚I am afraid to break it‘ sagte er, und ich ‚what the hell, there is no alternative‘ - und wahrscheinlich hieß er Jürgen aus Bielefeld, und wir haben uns nur nicht ordentlich vorgestellt.
Jedenfalls wollte ich ihn schon seines Amtes entlassen und versuchen, den Schlauch irgendwie am Rad zu flicken - als er ‚one more try‘ das Ding doch noch gelöst hat. Halleluja, großer Dank an den schüchternen aber beharrlichen Faxe, der schüchtern und zufrieden weiterfuhr. Der Übeltäter im Mantel war auch schnell gefunden und herausoperiert - und ein paarhundert Pumphübe später galt ein zweiter Fluch dem Hamburger Fahrradschrauber, der nicht nur Rambo-Praktikanten an die Räder der Kundinnen lässt, sondern mir auch noch einen billo Temu-Ersatzschlauch mitgegeben hat, dessen Schrott-Ventil mit meiner Reise-Luftpumpe nur bedingt kompatibel war. Naja, irgendwann blieb mit ein paar Stoßgebeten genug Luft im frischgeflickten Schlauch, um vorsichtig die Weiterreise anzutreten.
Die hätte ab nun wieder ebenso schön sein können wie am Tag zuvor. Aber: hoffentlich reicht die Luft so, hoffentlich schadet das der Felge nicht, warum hat der Reifen jetzt diese kleine Unwucht, gibt‘s hier wohl irgendwo ne Werkstatt, ist ja klar, dass es ausgerechnet jetzt so von vorne pustet... Wie sich Mühlen drehn im Wind…
Doch selbst mit einem ganzen Anhänger voll unnützer Gedanken kann man sich als tapfere Zinnsoldatin 90 weitere Kilometer bis an die Südspitze Gotlands vorstrampeln.
Und nachdem vorm ICA-Supermarkt in Burgsvik ein netter Typ mit Beagle mir beim
Nachpumpen assistierte, der ebenfalls nette Typ im Supermarkt mir das hiesige (also dortige) Volksbier empfohlen hatte, der ebenfalls nette Wind Feierabend und für die letzten 10 km einer schönen Sunset-Stimmung Platz gemacht hatte - da bin ich dann auch mit Hoppelreifen endlich wieder entspannt in den Abend gecruised. Und es konnte mich auch kaum noch jucken, dass der Schlüssel für mein Zimmer nicht wie abgemacht an der verwaisten Rezeption im Pensionat Holmhällar lag, dass die Vermieterin mir telefonisch dann zuerst mal die Personalunterkunft mit Bad im Nebengebäude schmackhaft machen wollte (‚or you will have to wait for half an hour‘) - bis ihr einfiel, dass sie mich auch auf eine schicke Familien-Hütte upgraden konnte, wo der Schlüssel steckte.
Und am Ende dieses langen Tages - saß ich da auf meinem bequemen Sofa, mit dem IPA aus Burgsvik, und war doch ganz zufrieden mit allem.
(Die Unwucht aus dem Vorderrad hat mir am nächsten Tag der Mechaniker im kleinen Baumarkt von Burgsvik mit Schmierfett und einer amtlicheren Luftpumpe rausmassiert - danach lag der Mantel wieder Top in der Felge und Fahren war wie Fliegen.)
Welcher Tag nun gewonnen hat - ich kann es nicht sagen. Hauptsache der danach wird wieder wie der davor 😉Read more
Traveler
Ein Traum
TravelerWas für eine Story, da hast Du Dir nicht nur das IPA und das Upgrade verdient sondern auch noch viel mehr. Mal sehen, was sich machen lässt:)
Traveler☺️