• Medellín- Comuna 13

    7 февраля 2019 г., Колумбия ⋅ ⛅ 17 °C

    Als Melissa noch zur Schule ging, war es für sie völlig „normal“, dass sie sah, wie Menschen auf offener Straße am helllichten Tage erschossen wurden.
    Während sie uns durch ihr Viertel, die Comuna 13 in Medellín führt, erzählt sie von der schrecklichen Situation dieses „barrios“ während ihrer Kindheit. In den 80er/90er Jahren konnte man hier ohne Todesangst kaum auf die Straße gehen. Anfang der 90er Jahre hatte Medellín die höchste Mordrate der Welt. Die Stadt wurde jahrelang vom Drogenboss Pablo Escobár und seinen Anhängern beherrscht. Aber auch nach seinem Tod 1993 kämpfte immer irgendeine illegale Gruppe um die Vorherrschaft: paramilitärische Gruppen, Guerilla-Milizen, Drogengangs. Die Spirale der Gewalt drehte sich weiter, das öffentliche Leben erstarb quasi komplett, da sich keiner mehr auf die Straße traute.

    Melissa zeigt auf ein Graffiti, das mehrere Elefanten zeigt, die mit weißen Tüchern wedeln.
    Es soll an die sogenannte „Operation Orion“ erinnern: Im Jahre 2002 veranlasste der damalige Präsident Álvaro Uribe Vélez, dass das Militär gewaltsam alle Guerilla Kämpfer aus der Comuna 13 vertrieb. Über 1.000 Polizisten und Soldaten rückten in gepanzerten Fahrzeugen und Hubschraubern an und schossen auf alles, was sich bewegte. Melissa erzählt, dass dabei 400 Menschen getötet und noch viel mehr verletzt wurden. Etliche davon waren unschuldige Zivilisten. Viele gelten noch heute als vermisst.
    „I was very scared!” erinnert sie sich. Von ihrem Haus aus sah sie die Helikopter, hörte die Schüsse und die ganze Familie fürchtete um ihr Leben.
    Eine alte Frau, die immer noch lebt, ist an diesem Tag raus auf die Straße und hat mit einem weißen Bettlaken wedelnd um eine Feuerpause gebeten. Viele Bewohner schlossen sich ihr in Solidarität an und daran soll das Elefanten-Graffiti erinnern.
    Der alte Elefant symbolisiert die traurige Vergangenheit und der junge Elefant symbolisiert die hoffnungsvolle Zukunft.

    Die Comuna 13 ist heutzutage ein Viertel voller Hoffnung und Kreativität. 1996 wurden Cable-Cars in Medellín installiert, welche die Verbindung vieler ökonomisch schwacher Viertel (wie der Comuna 13) in den steilen Hängen mit dem Stadtkern im Tal erleichterten.
    2012 wurde eine Serie Rolltreppen (insgesamt 384m) in die steilen Gassen der Comuna 13 gebaut, was die Lebensqualität der Locals nochmals um einiges verbesserte.

    Ich hänge Melissa förmlich an den Lippen, als sie von der gewaltsamen Vergangenheit ihres Viertels und ihrer Stadt erzählt. Und ich freue mich über den Glanz in ihren Augen, als sie stolz von den Fortschritten der letzten Jahre erzählt. Ein Viertel, das sich (genauso wie die gesamte Stadt) gerade erst von der kriminellen und grausamen Vergangenheit erholt, äußert seine politische Einstellung durch Kunst. Street Art, HipHop, Breakdance, Graffiti.
    Viele der Wandbilder sind erst ein paar Wochen oder Monate alt, was verdeutlicht, wie frisch das Aufblühen dieses barrios noch ist.

    Melissa kennt so ziemlich alle Künstler und kann zu jedem Graffiti eine Geschichte erzählen. Immer wieder muss ich schwer schlucken.

    Die meisten Graffitis verdeutlichen den Spagat, den die Menschen in der Comuna 13 heute vollbringen müssen: Einerseits schauen sie hoffnungsvoll in die Zukunft (grüne Augen, stolze Gesichter, lachende Elefanten, prächtiger Haarschmuck, knallbunt) andererseits erinnern sie sich an die furchtbare Vergangenheit (rote Augen, Tränen, zerbrochene Stoßzähne, schwarz weiß).
    Als Melissa vor einem Panda-Graffiti steht und berichtet, dass dies an die getöteten Kinder der Schreckensherrschaft erinnern soll, wird mir richtig schwer ums Herz.
    Für einen von ihnen, Sergio Cespedes Serna, der im zarten Alter von 7 Jahren während der „Operation Orion“ erschossen wurde, hat man ein Denkmal erbaut: eine Rutsche. Melissa animiert uns, unser inneres Kind herauszulassen und in Gedenken an Sergio zu rutschen.
    Na das lassen wir uns doch nicht zweimal sagen.

    Während des gesamten Spaziergangs durch die Comuna 13 spüren wir deutlich die Energie des Aufschwungs, den Zusammenhalt der Gemeinschaft („We are one big family in this comuna!”), die Hoffnung auf eine gute und friedliche Zukunft und vor allem den tiefen Stolz über die beachtlichen Fortschritte der letzten paar Jahre.

    „If you give a book, you can change minds!“ meint Melissa und berichtet davon, dass nächstes Jahr eine öffentliche Uni in ihrem Viertel gebaut wird, an der 8.000 Menschen studieren können.

    Die Tour mit Melissa durch die Comuna 13 ist sehr ergreifend und ich verstehe immer mehr, woher die positive Grundstimmung in dieser Stadt rührt. Nicht mehr Furcht ist hier das bestimmende Lebensgefühl, sondern Hoffnung.
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