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  • Day 251

    Playa Gigante 5

    May 20, 2019 in Nicaragua ⋅ ⛅ 28 °C

    Die Wochen vergehen wie im Flug und ich schließe immer mehr Freundschaften hier in El Gigante. Zum Beispiel mit dem hier wohnhaften Will. Aufgewachsen auf den Corn Islands in der Karibik, zeigt er mir eine ganz andere Seite Nicaraguas auf. Schnell wird mir klar, dass er sich selbst nur halb als Latino wahrnimmt. Die andere Hälfte seiner Identität ist Caribeño. Seine Muttersprache ist Creollo. Das klingt wie ein sehr lustiges Jamaica-Englisch, das man aus Dancehall und Reggaeliedern kennt. Bis er 11 Jahre alt war, hat er auf der großen Isla de Maíz gelebt, ohne Strom. Eine seiner Hauptbeschäftigungen war es, auf Kokosnusspalmen zu klettern und die Nüsse herunterzuholen, um damit frische Kokosnussmilch zu machen. An der Karibikseite Nicaraguas ist Kokosnuss Grundlage für so ziemlich alle Gerichte. Will ist ganz stolz auf die karibische Küche und zweimal komme ich dann auch in den Genuss, diese testen zu können: Das erste mal kocht er eine Fishball-Coconut-Soup und das zweite Gericht heißt „Rundown“. Ein traditioneller karibischer Eintopf auf Kokosnussbasis (die Kokosnussmilch natürlich selbst hergestellt) mit Fisch und Krabben. Dazu gibt es Kokosreis mit Erdnüssen. Wir sitzen auf der Terrasse seines Häuschens auf dem Hügel La Lomita, von dem aus man einen überragendem Blick zu beiden Seiten hat: links der Playa Gigante und rechts der Playa Amarillo. Außer mir sitzen nur Nicas am Tisch und ich bin die Einzige, die sich doof anstellt bei den Krabben. “Just suck the hell out of em!” Ich zutzle an dem Schalentierchen was das Zeug hält, aber richtig erfolgreich bin ich nicht. Naja immerhin trage ich zur Belustigung in der Runde bei :)

    Wills Bruder Sean arbeitet in Managua als Eventmanager und lädt mich eines Tages in das fancy „Aqua“- Hotel in der Redonda Bay ein. Das ist eine Bucht weiter südlich von Playa Gigante. Dort muss er heute irgendwelche hohen Tiere von Netflix und co. bespaßen.
    Das Schwabenherz in mir schlägt höher: Uuuhhhh in einem edlen Restaurant am Privatstrand, Ceviche, Cocktails - alles umsonst.
    Dort lerne ich unglaublich interessante und liebe Nicas kennen. Ein Mädel schenkt mir dann am Ende sogar ihre Sonnenbrille, nur weil ich gesagt habe, dass ich sie superschön fände (auf den Holzbügeln sind lauter landestypische Dinge abgebildet).
    Natürlich wird wieder getanzt. Sean ist ein richtiger Salsa- und Bachata- Profi und von Berufswegen Animateur. Eine richtige Partysau. So landen wir am Ende wieder in der Stammbar Juntos und feiern eine kleine Fiesta Privada. Das ist auch eines der Dinge, die mich hier so faszinieren: jeder, einfach jeder hat Lust auf Tanzen. Die Hüften zucken, sobald der Beat aus der Box wummert. Und dann ist es egal, ob es morgens oder abends ist, ob du Kind oder Opa bist, ob es zwei oder hundert Leute sind, ob es am Strand oder auf der Straße ist - getanzt wird immer und zwar mit vollem Herzblut und feinstem Taktgefühl. Ich bin im absoluten Tanzhimmel! Und da können die Menschen hier auch noch so arm sein und politische Schwierigkeiten haben - beim Tanzen wird das vergessen und man ist einfach glücklich. „Bailas y estas feliz!“

    So fühlt auch Viktor, der Neffe meiner Mama Maria Helena, mit dem ich ein paar mal getanzt habe und der mich so ziemlich jeden Tag fragt, ob ich wieder mit ihm ausgehen möchte.

    Eine andere Freundschaft der besonderen Art habe ich mit Ana geschlossen. Sie ist der einzige Mensch, der am Playa Amarillo (ein Strand nördlich von Playa Gigante) wohnt. In einer sehr kleinen, bescheidenen Holzhütte. Angefangen hat alles, als sie mir anbot, dass ich meine Tasche bei ihr ins Haus legen darf, während ich Baden/ joggen/ spazieren gehe. Da dieser unfassbar schöne lange Strand eben menschenleer ist, kam und kommt es öfters zu Diebstahl.
    Da sie am Strand oft alleine ist, freut sie sich stets über ein nettes Gespräch und so habe ich sie mindestens einmal täglich besucht, als ich zum Joggen oder Baden ging und wir haben uns mittagelang über Dies und Das unterhalten. Sie hat lokale Früchte mit mir geteilt, die ich noch nie probiert habe. Ich habe ihr Käsespätzle vorbeigebracht und Buntstifte für ihre kleine Enkelin.
    Sie hat mein Herz berührt. Obwohl unsere Lebensrealitäten so weit voneinander entfernt liegen, fühle ich mich ihr so nahe.

    Und am Abend vor meiner Abreise schaue ich mit ihr zusammen den spektakulären Sonnenuntergang über dem Meer an. Sie grinst mich an und meint, dass sie genau spürt, wie sehr mein Herz an diesem Ort und an „ihrem“ Playa Amarillo hängt. Da holt sie eine Schere, schneidet den selbstgemachten Traumfänger ab, der über ihrer Holztüre hängt und legt ihn mir in die Hände. Sie meint, die Muscheln, die daran befestigt sind, habe sie hier am Amarillo gesammelt und sie sollen mich immer an diesen magischen Ort erinnern. Ich kann dieses Geschenk erst gar nicht annehmen, da es ja der Beschützer ihrer Hütte ist (und sie eh jeden Tag Sorge hat, dass eingebrochen wird). Aber Ana besteht darauf, dass ich den Traumfänger mitnehme. Ich werde nie ihr wunderschönes Lächeln vergessen. Und das Strahlen in ihren Augen. Diesen glänzend-verträumten Ausdruck in ihrem Blick, den Menschen haben, die tagein tagaus in die Weite des Meeres schauen.

    Und dann ist da noch Rachel. Mit ihr habe ich viel spanisch gelernt. Ich habe sie als „große Schwester“ in Männerdingen beraten. Sie hat mir Latinamoves beigebracht. Wir waren am Strand spazieren. Haben von Aussichtspunkten Sonnenuntergänge angeschaut. Wir haben zusammen gekocht, Toña getrunken und Musik gehört. Ich habe ihr mein Fußkettchen geschenkt und sie mir ihr Nica-Tshirt der selben Marke wie die Sonnenbrille, die ich damals auf der Party geschenkt bekommen habe. Jincha. Eine lokale Marke, die wie viele Andere aufgrund der Proteste im letzten Jahr leider den Bach runter ging. Da man so ein Tshirt also nicht mehr kaufen kann, überlässt Rachel mir ihres. Darauf abgedruckt sind Nica-typische Worte wie Deacachimba! Tuani! Brutal! Bestial! Bacanal! Alles Ausdrücke, die ich von ihr und meiner unfassbar tollen Lehrerin Marcela gelernt habe. Marcela meint, ich sei jetzt schon eine halbe Nica - ‚du tanzt wie eine, redest wie eine - jetzt unterscheidet dich nur noch deine chele- Haut von einer richtigen Nicaragüense‘.

    Und tatsächlich fühle ich mich auch ein bisschen heimisch hier. Alle sind so herzlich, so offen und so gastfreundlich. Die Menschen hier in Gigante kreieren eine unglaublich entspannte und friedvolle Atmosphäre. Jeder grüßt jeden, man hat immer Zeit für ein Schwätzchen, die Uhr tickt irgendwie langsamer. „Tranquila! Toma tu tiempo!“ - „Ganz Ruhig! Nimm dir deine Zeit!“ ist ein Satz, den ich immer und immer wieder zu Hören bekomme. Disfrutar (Genießen). Pasar la bien (Gute Zeit verbringen). Buena Onda (Gute Stimmung).

    An meinem letzten Abend kocht meine mamacita nochmal richtig auf - Lobsterspaghetti, gegrillten Lobster, Repuchetas und Salat.

    Und dann ist es soweit.
    Der letzte Morgen. Wie es der Zufall so will, hat Maria Helena heute Geburtstag. 57 Jahre. Also eigentlich 37 Jahre, zumindest im Herzen, meint sie lachend. Sie ist so ein Sonnenschein und ein Witzbold. Was haben wir uns in den letzten 5 Wochen krumm gelacht.
    Für ihren Geburtstag haben Marcela und ich einen Bananenkuchen gebacken, den wir jetzt zusammen mit Juan, dem Chef der Schule und Julian, dem lustigsten Lehrer weit und breit verputzen. Ich habe für meine mamacita eine Tasse mit Fotos von uns beiden bedrucken lassen. Als sie sie auspackt, lacht sie sich schief, weil ich natürlich ein Grimassenbild ausgewählt habe. Und ältere Nicas tendieren dazu, bei Fotos die ernsteste Miene aufzusetzen, die sie nur können. Aber ich habe sie natürlich für unsere Selfiesession zum Lachen gebracht, was nicht wirklich schwer ist.

    Ach was werde ich Gigante und seine Menschen vermissen.
    Aber wie heißt es so schön?

    Leuchtende Tage.
    Nicht weinen, dass sie vorüber.
    Lächeln, dass sie gewesen.

    :)
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