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  • Day 302

    Der Heimflug

    July 10, 2019 in Singapore ⋅ ⛅ 31 °C

    Gestern noch mit der Kelle geduscht, heute weinschlürfend die Skyline Singapurs betrachten. Vom Reis- und Kokosnussdschungel in den Großstadtdschungel. Völlige Überforderung. In Singapur dürfen wir netterweise unseren Stopover in der luxuriösen Wohnung von Adrian und Alex verbringen. Nachdem wir es wie verwilderte Affen durch die Mehrfachsicherheitsschleuse der neu gebauten „Marina One Residence“ geschafft haben, stehen wir in einer riesigen glänzenden Lobby und fühlen uns fehl am Platz. Wo gehts hier gleich nochmal zum Strand?
    Der nette Consierge mit schnurgeradem Seitenscheitel ruft im 23. Stock an und fragt Adrian, ob er Besuch erwarte. Daraufhin schleppt er meinen mit kiloweise Muscheln bepackten Rucksack zum Aufzug. Wie fancy hier alles ist. Pling! Da geht die Türe auch schon auf und wir stehen bereits mitten in der hochglanzpolierten Wohnung von Adrian und Alex. Kaffeevollautomat. Per Handy verstellbare Wohnraumbeleuchtung. Ein Kühlschrank mit Käse, Butter, Oliven, hausgemachter Marmelade und Brot. Mein Highlight: ein Waschbecken im Bad. Was für eine geniale Erfindung. Dafür suche ich vergeblich den Mülleimer, bis mir einfällt, dass man das Klopapier ja einfach ins Klo werfen darf. Balkon, dessen Glasfront den Blick auf die Marina Bay freigibt. Kühler Roséwein aus Stielglas. Heißes Wasser aus der Dusche.

    Auf Nias gibts weder Waschbecken (ja, das macht mich am meisten fertig) oder Weingläser, noch größere Einkaufsläden. Hier wandern (oder eher rennen) wir durch die imposant beleuchteten Wolkenkratzer zu einer übertrieben großen und super schicken Mall. Das ist also das Tempo, das man hier drauf hat und ich zuhause vermutlich meistens auch.
    Mir wird bewusst, dass ich in den vergangenen Monaten ein paar Gänge zurück geschalten habe.
    Muss man den Gang wieder hochschalten, um im „normalen“ Leben mithalten zu können? Ich werde es sehen...

    Mit Alex und Adrian gehen wir zu Abend essen. Hmhmhmh.
    Salat mit richtigem Dressing. Burger! Pizza! Alles Dinge, die wir vermisst haben. Aber jetzt, da wir sie essen, fällt uns das Kauen echt schwer. Der Kiefer ist gewohnt, Reis mit Gemüse zu essen, das man locker mit der Zunge am Gaumen zerdrücken kann. Kiefermuskelkater vom Pizzakauen. Wer hätte das gedacht?

    Und dann sitzen wir tatsächlich im Flugzeug, an dessen Boarding - Gate BERLIN steht.

    Die verschiedensten Gefühle sind zu Gast in meinem Kopf. Mein Herz schlägt Purzelbäume. Meine Gedanken sind so flatterhaft, dass ich geistig von einem Thema zum nächsten springe.

    Wenn ich jetzt an die Besteigung des Kilimandscharos denke, an das Tauchen im Malawisee, an das Schwimmen mit Walhaien, an das Festival im Flüchtlingslager, an die Schimpansen, an die Löwen, Giraffen, Nilpferde, Erdmännchen und Zebras, an Seeadler und Südafrikaner, dann kommt mir das vor, als sei es aus einem anderen Leben. Auch die pinken Kaktusfrüchte in der roten Wüste in Kolumbien, die Kuna Yala auf den San-Blas-Inseln, Faultiere, Reggaeton und bananenfressende Iguanas kommen mir ewig her vor.

    Vergeht die Zeit auf Reisen eigentlich gefühlt schneller oder langsamer als zuhause im normalen Alltagsleben?
    Irgendwie ging dieses Sabbatjahr jetzt total schnell rum, aber andererseits schien die Zeit auch langsamer zu vergehen.
    Die Zeit beim Reisen ist wie gedehnt. Man packt mehr rein und erlebt so unglaublich viele Dinge.

    Manchmal fühlt es sich an wie ein Traum, wenn ich an einzelne Momente der Reise zurück denke. Immer wieder katapultiert mich ein Geruch, ein Geräusch, ein Geschmack oder ein Lied zu einer bestimmten Situation der vergangenen Monate.
    Und während ich diese Gedanken aufschreibe, singt zufällig gerade Colin Hay in meinem Ohr:
    „I watch the sun as it comes up. I watch it as it sets. Yeah, this is as good as it gets.
    Ma Ma Ma it’s a beautiful world. I like swimming in the sea....“

    Sofort kommen mir Bilder der unzähligen spektakulären Sonnenauf- und -untergänge, die ich miterleben durfte. Hinterm Berg, über dem Meer, auf meinem Oberarm.

    It’s a beautiful world! Wie Recht Colin Hay doch hat. So eine schöne Welt. Eine Welt. Und doch liegen Welten dazwischen. Das Leben auf Nias beispielsweise ist so grundlegend anders als in Deutschland. Genau dieser Punkt macht das Reisen so spannend. Andererseits auch anstrengend. Vor allem für so sensible Herzchen wie meins.

    Zehn Monate Abenteuer. In 99 verschiedenen Betten geschlafen. In 13 verschiedenen Währungen gezahlt. Auf Berge geklettert. In Meere getaucht. Gelacht. Geweint. Gespürt. Und stets der Sonne gefolgt.

    Da fällt mir doch glatt ein passendes Lied ein. Da es bei unserer tollen Airline Scoop eh keine Boardanimation gibt, kann ich mich ausgiebig Spotify und meinen wirren Gedanken hingeben.

    „So follow, follow the sun,
    The direction of the bird,
    The direction of love.
    Breathe, breathe in the air,
    Cherish this moment,
    Cherish this breath.
    Tomorrow is a new day for everyone.
    Brand new moon, brand new sun.
    So which way does the wind blow, what does your heart say?“

    What does my heart say, Mr. Rudd?

    Es sagt: Waaaaaah! Gefühlsüberforderung!

    Und der Pilot sagt:

    „Ladies and Gentlemen. Welcome to Berlin. The outside temperature is 11 Degree Celsius. Blablabla. We wish you a pleasant stay.“

    11 Grad.
    A pleasant stay.
    Wielange bleiben wir hier nochmal genau, bevor es weitergeht?

    In manchen Momenten zerreißt mir die Sehnsucht nach der Ferne fast das Herz. Fernweh. Wieso gibts das eigentlich? Wieso sehnt man sich nach Ferne, wenn man doch eine so schöne Heimat hat?
    Ist es die Neugierde? Die Neugierde, wissen zu wollen, wie mongolisches Essen schmeckt, wie kalt der Titacacasee ist, welche Musik die Japaner hören, warum Indonesier selten Brot essen, wie es sich anfühlt, durch den Amazonas zu laufen? Und diese Dinge nicht nur zu wissen. Sondern zu schmecken, fühlen, riechen, erleben.
    Oder wird man mit „Hummeln im Hintern“ geboren? Meine Oma, die begeisterte Wanderin ist, sagt immer: Tini, du bist ein Wandervogel wie ich.
    In meinem allerersten Bericht dieser Reise habe ich die weisen Worte meiner Oma zitiert: „Trudle durch die Welt. Sie ist so schön!“

    Mehr denn je kann ich jetzt sagen: Oma, du hast so Recht!

    Ein letztes Mal warten wir am Gepäckband und halten Ausschau nach unseren Rucksäcken. Ein letztes Mal hieven wir sie auf unsere Rücken. Ich bin vollbepackt. Mit verwaschenen Klamotten, Muscheln und mit Eindrücken, die es nun nach und nach zu verarbeiten gilt.

    Hallo Deutschland!
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