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  • Eine tolle Stadt ohne Schokoladenseite

    August 2, 2018 in Colombia ⋅ ⛅ 16 °C

    Bogotá also. Ein neues Kapitel unserer Reise. Von dieser Stadt hatten wir so unglaublich viel Ambivalentes gehört (die Meinungen gingen von „geht da bloß nicht hin“ bis hin zu „beste Stadt meines Trips“), dass wir ganz gespannt waren, als wir am Flughafen ankamen. Der Reiseführer beschreibt die Stadt außerdem als „Herausforderung“, der es sich zu stellen gilt und als Blickduell, welches es sich lohnt, einzugehen. Mit dieser Schilderung im Hinterkopf ließen wir uns also auf die 8-Millionen-Stadt ein. Das Folgende ist eine Sammlung unserer Erlebnisse, Eindrücke und Erfahrungen. Dabei gilt kein Anspruch auf die Richtigkeit der Reihenfolge. Anzumerken ist zudem noch, dass wir die meiste Zeit in Kolumbien gemeinsam mit Alex und Hannah verbracht haben. Die beiden sind gute Freundinnen aus dem Psycho-Studium, reisen durch Kolumbien und waren zur gleichen Zeit in Bogotá. Denkt euch die zwei also einfach dazu, sofern nicht anders angegeben 😉

    1) 25 neue Freunde
    Der erste Tag begann gleich mit einer positiven Überraschung. Gerade hatten wir das Hostel verlassen und schlenderten gemeinsam mit Alex (Hannah war zu dem Zeitpunkt noch nicht in Bogotá angekommen) über einen zentralen Platz, als ein Mitte zwanzig jähriger, europäisch aussehender, langhaariger Typ mit einer leicht südländisch angehauchten Freundin auf uns zulief. Er stellte sich uns als Steve vor, sagte, es sei sein 25. Geburtstag und sein Ziel für den Tag sei, 25 „random people“ zu finden, um mit diesen gemeinsam in einem Partybus (hier „Chiva“ genannt) seinen Ehrentag zu feiern. Und wir sollten Teil dieser zusammengewürfelten Gruppe sein. Selbstverständlich sagten wir ohne Zögern zu und so standen wir wenige Stunden später am abgemachten Treffpunkt. So ganz haben wir wohl unsere deutsche Mentalität noch nicht abgelegt, denn trotz 10-minütiger Verspätung waren wir die ersten. Umso mehr freute sich Steve, uns zu sehen! Allmählich trudelten dann auch die anderen geladenen Gäste ein, manche euphorischer als andere und manche sogar mit Geschenken.
    Nachdem wir ein paar Bier in der Bar getrunken hatten, ging es dann los mit der Chiva – letzten Endes ein alter, mit lauter Musikanlage ausgestatteter Schulbus ohne Wände und Bänke. So fuhren wir zu mal besserer, mal grausamerer Musik durch die Stadt und sogar bis zu einem Aussichtspunkt, der einen großartigen Nachtblick über die Stadt erlaubte. Nach der Spritzfahrt ging es dann noch in eine Disco. Letzten Endes lässt sich das ganze Erlebnis schwer beschreiben und umso glücklicher sind wir, dass Steve ein Youtube-Video von dem Spektakel gemacht hat: https://www.youtube.com/watch?v=SGdx9Emt6GI&amp… (ab Minute 9 geht’s los, für diejenigen, die sich das Vorgeplänkel ersparen wollen)
    Alles in allem war es jedenfalls ein außergewöhnlicher Abend, der uns noch länger in Erinnerung bleiben wird und der ein optimaler Startschuss für unsere Zeit in Kolumbien war.

    2) Ulli & die vermeintliche Free Walking Tour
    Nachdem wir in San Cristobal den Fehler begangen hatten, die Free Walking Tour am letzten Tag zu machen und somit sämtliche Tipps und Empfehlungen nicht umsetzen konnten, rafften wir uns diesmal zu Beginn der Bogotá-Tage (bzw. „Bogotage LOL“ – Zitat Jan) auf und standen um 10 Uhr morgen auf dem zentralen Platz, der Plaza Simón Bolívar. Wir fragten eine kleine Gruppe an Touristen, ob sie ebenfalls auf die Free Walking Tour warteten und die diese Frage bejahten. Es stießen einige weitere Touris dazu, die sich alle irgendwie zu kennen schienen (80% Deutsche mit einem Altersdurchschnitt von über 60). Zuerst genervt, später von der uns gebotenen Unterhaltung begeistert und irgendwie fasziniert zogen wir mit der Gruppe los. Die Free Walking Tour war informativer und professioneller als wir erwartet hatten. Normalerweise führen einen solche Touren durch versteckte Cafés oder kleine Ateliers. Dieses Mal wurden wir an sonst für Zivilisten gesperrte Bereiche vor Regierungsgebäuden geführt und erfuhren einiges über die Kolonialarchitektur, Geldscheine und die Geschichte Bogotás. Unsere Landesmänner präsentierten sich von ihrer klischeehaftesten Seite und glänzten durch Unterbrechen und Unterhaltungen während die Guide Dinge erklärte. Besonders vorbildlich verhielt sich hierbei der gute Ulli (Anfang 70, modische Cordhose-Sandalen-Socken-Kombination), den man direkt vom Bürgersteig des Regierungsgebäudes zurückpfeifen musste. Eine halbe Stunde später waren wir auf der anderen Seite des Regierungsgebäudes und wer hätte es ahnen können – Ulli jedenfalls nicht – galt hier die selbe Regel: betreten des Bürgersteigs am Regierungsgebäude verboten. Während die Guide von Simón Bolívar erzählte, nutze Ulli ihre Unaufmerksamkeit und schlich sich hinter ihrem Rücken in Richtung Bürgersteig, um ein Foto mit seiner Digitalkamera – selbst mein Handy macht bessere Fotos – ein Foto des Gebäudes zu schießen. Ein empörter Schrei seiner Frau „Ulli was machst du denn da schon wieder? Hat man dir das nicht gerade verboten?“ verriet den armen Ulli allerdings und die Guide, welche wahrscheinlich letzte Woche mit einer Grundschulklasse einfacher durch den abgesperrten Regierungsbereich kam, forderte den grauhaarigen Rheinländer geduldig auf, doch bitte aus der verbotenen Zone zu kommen. Somit hielt die Stadtführung nicht nur interessante Infos für uns parat, sondern bot uns auch noch ein kleines Theaterstück mit dem Titel „Deutsche Urlauber von ihrer besten Seite“. Als es am Ende noch ein Gruppenbild gab und die freundliche Guide sagte, sie habe ja von allen die E-Mail-Adressen, um dieses zu verschicken, erschlich uns langsam das Gefühl, dass das eventuell doch nicht die Free Walking Tour war. Wir gaben der Guide unsere E-Mail-Adresse und dieser wurde ebenfalls klar, dass wir uns wohl in eine falsche, gebuchte Gruppe verlaufen hatten. Da wir aber wir ihre Lieblingsteilnehmer waren – der Maßstab lag wie bereits erklärt nicht sehr hoch – schmunzelte sie nur und meinte „Ihr kamt wohl einfach so dazu“. Wir waren übrigens auch die einzigen, die ihre Fragen bezüglich kurz vorher präsentierter Infos beantworten konnten. Somit gaben wir ihr ein kleines Trinkgeld und freuten uns über eine kostenlose und interessante Stadtführung durch Bogotá und seine Geschichte.

    3) Das berühmt berüchtigte Gold-Museum
    Ganz oben auf unserer Liste in Bogotá stand auch das Gold-Museum. Der Grund dafür war, dass dieses in zahlreichen Reiseführen als DAS Highlight und Must-See nicht nur von Bogotá sondern von ganz Kolumbien, wenn nicht sogar Südamerika aufgeführt wurde.
    Voller Vorfreude und ganz gespannt betraten wir also das Museum, schlossen uns einer gratis Tour an und was dann kam, war … ernüchternd. Was wir nämlich nicht bedacht hatten, ist, dass zum Hochgenuss eines Gold-Museums auch ein zumindest geringes Interesse an Gold und allem, was man damit machen kann, vorhanden sein sollte. Andernfalls ist das Betrachten von insgesamt 35.000 Ausstellungsstücken aus Gold sehr bald ermüdend und wenig spannend. Wir ließen also die erste Stunde der Tour über uns ergehen, bis wir uns unauffällig entfernten, im Schnelldurchgang die 4 Stockwerke durchliefen und dann desillusioniert das Museum verließen. Naja, Geschmäcker sind verschieden. 😉

    4) Die Gangboss-Stadtführung
    Auf unserer All-inclusive Free Walking Tour hatten wir am Ende der Führung nach Tipps für eine Stadtführung gefragt, die doch bitte ein bisschen weniger touristisch sein möge und daraufhin die Empfehlung der „Breaking Borders Tours“ erhalten, welche wohl von Ex-Gefängnisinsassen geführt wird und bei der man durch die etwas gefährlicheren Randviertel läuft. Genau richtig also für uns.
    Wir trafen uns wie verabredet mit unserem Guide „Jaime“ und seinem Sohn „Kevin“ (übrigens hier ein weitaus weniger klischeebehafteter Name als bei uns) auf einem in der Nähe unseres Hostels gelegenen Studentenplatz. Die Begrüßung verlief überaus herzlich und nach dem üblichen Anfangs-Geplänkel (Woher kommt ihr, wo wart ihr, wohin geht ihr?) folgten wir Jaime bergauf in ein etwas abgelegeneres, ruhiges Viertel. Die Geschichten, die uns dann erzählt wurden, sind eigentlich noch immer unglaublich.
    Im Jaimes Viertel „Egypto“ gab es noch bis vor kurzem zwei Gangs, die sich, wie das so ist mit den Gangs, nicht ausstehen konnten, sodass es mehrfach zu Schusswechseln und Messerstechereien zwischen den Mitgliedern der Gangs kam. Hinzu kam noch der gemeinsame Feind, die Polizei. Und unser Guide war mal so ganz eben der Boss eben genau einer dieser Gangs gewesen. Nach seinem letzten Knast-Aufenthalt („Der Typ hatte meinen Bruder umgebracht, als ich ihn gesehen hab, hab ich nicht lange gezögert, sondern zweimal geschossen und als er am Boden lag, nochmal auf ihn eingetreten“) hatte er sich dann entschieden, der Kriminalität den Rücken zuzukehren und nicht mehr gegen seine Mitmenschen zu kämpfen, sondern gegen die Stigmata, die seine Gegend behafteten. Das Ganze, um seinen Söhnen und seinem Viertel eine bessere Zukunft zu bescheren. So liefen wir durch das mittlerweile von Graffitis geprägte, bunte Viertel, sahen Einschusslöcher in den Wänden, sahen die Orte, an denen zahlreiche Freunde und Familienmitglieder von Jaime ihr Leben gelassen hatten und bestaunten die zahlreichen Wunden, die Messer und Kugeln an Jaimes Körper hinterlassen hatten. Irgendwie surreal. Außerdem bemerkenswert war Jaimes Ambivalenz zwischen der Einsicht, dass es so nicht weitergehen kann und dass ein Wechsel hermuss und der gleichzeitige Stolz auf die Gang und das Glänzen in den Augen beim Berichten von Messerstechereien und Auseinandersetzungen.
    Auch die Geschichten aus dem Gefängnis waren für uns unglaublich. Dort herrscht wohl eine klare Hierarchie. Wenn du einen Schlafplatz auf einer Pritsche willst, musst du darum kämpfen. Wenn du etwas zu essen willst, musst du darum kämpfen. Wer etwas besitzt, was viele wollen / brauchen, der hat einen Trumpf in der Hand. Das war auch Jaime klar und so ließ er sich von außen Drogen ins Gefängnis schmuggeln (dabei waren ihm Freundinnen behilflich, die die Ware in ihren Geschlechtsteilen versteckten) und arbeitete sich mit dem Handel an die Knast-Spitze.
    Nun hat sich die Lage ein wenig beruhigt, die Polizei darf weitestgehend ungehindert die Straßen betreten, nur Touristen sollen sich nicht dort aufhalten (das wir einem hier zwar über viele Orte gesagt, diesbezüglich jedoch mit so viel Nachdruck, dass man dem getrost Glauben schenken kann). Während unserer Tour fuhren zwei Polizisten auf einer Enduro an uns vorbei und hielten direkt vor uns, um zu schauen, ob alles in Ordnung ist. Der Sozio hatte seine Pistole schon beim Herfahren schussbereit gezogen. Das Viertel besitzt einen Kindergarten, für Kinder werden Videoabende und Fußballturniere organisiert und es herrscht eine fast friedliche Stimmung. Vieles davon ist sicher Jaimes Verdienst.

    5) Das Baustellen-Polizeipuff-Hostel
    Ein paar Worte zu unserem Hostel. Zum einen war da die Baustelle. Eine Baustelle, die sich direkt neben unserem Zimmer befand und auf der die Arbeiter spannenderweise für den Zeitraum von 8-10 Uhr morgens die größtmögliche Motivation hatten und für den sie sich auch gleich die lauteste zu verrichtende Arbeit aussuchten. So waren die meisten Morgen (der Duden verbietet es uns, überraschenderweise, „Morgende“ zu sagen :o ) von Baustellenlärm und einer daraus resultierenden Mischung aus genervtem Stöhnen und Kraftausdrücken in Richtung der Arbeiter geprägt.
    Weniger störend aber umso interessanter war, dass eines Mittags plötzlich eine Gruppe von drei Polizisten im Eingangsbereich stand. Diese schienen sich jedoch wenig um die Hotelgäste geschweige denn die Verbrechensbekämpfung zu kümmern, sondern waren vielmehr damit beschäftigt, mit zwei kräftigen Mädels (eine davon die Tochter der Hostelbesitzerin) zu flirten. Interessant wurde es dann, als es nicht beim Flirten blieb, sondern die Truppe gemeinsam die Treppe hinaufging und nach einer Weile wieder hinunterkam, die Mädels mit verwuschelten Haaren und die jungen Polizisten (ist Jungbullen hier der politisch korrekte Ausdruck?) mit einem breiten Grinsen und offenem Hosenladen. Das Ganze spielte sich in den kommenden Tagen mehrmals ab und führte dazu, dass wir weder die Hosteltochter noch die Polizisten nicht mehr so wirklich ernst nehmen konnten 😉

    6) Sonstiges & Fazit
    Abgesehen von den erwähnenswerten Anekdoten verbrachten wir viel Zeit damit zu, durch die Straßen der Stadt zu schlendern, die kolumbianische Luft auf uns wirken zu lassen und in den Bars und Discotheken zu Reggaeton zu tanzen. Außerdem saßen wir in gemütlichen Cafés und auf studentischen Plätzen, sprachen viel Spanisch mit Einheimischen sowie Ausländern und tranken mal besseren, mal Instant-Kaffee.
    Insgesamt hat uns Bogotá sehr, sehr gut gefallen! Wenn sie auch nicht sonderlich fotogen sein mag, so hat uns die Riesen-Stadt doch mit einem gewissen Charme in ihren Bann gezogen und für mich persönlich wäre es sogar eine Option, dort einmal für einen längeren Zeitraum zu leben. Wer weiß, irgendwann vielleicht…
    Jan & Conny
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