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- Day 20
- Wednesday, January 1, 2025 at 1:17 PM
- ☁️ 22 °C
- Altitude: 1,833 m
ColombiaSan Carlos6°32’19” N 75°54’57” W
Silvester in El Poblado

Am 30.12. kommen wir in der Millionenstadt Medellín an, nachdem wir mit unserer Kleinstmaschine über die umliegenden, von backsteinfarbenen Häusern überzogenen Berge geflogen sind. Nach so viel Natur und Meerluft liegt der Stadtsmog schwer auf der Lunge. Im Airbnb kommt es zum freudigen Wiedersehen mit Luca, der ausserdem zwei miauende Begleitungen im Gepäck hat, mit denen sich die nicht-Allergiker unter uns direkt ins Bett schmusen. Beim Abendessen lernen wir Andres kennen, ein Freund von Luca. Da uns am nächsten Tag eine lange Silversternacht bevorsteht, entscheiden wir uns verantwortungsvoll, früh ins Bett zu gehen - scheitern dabei unglücklicherweise kläglich und landen stattdessen im "Perreo Brutal", einem Reggaeton-Club, der seinem Namen alle Ehre macht. Dort schwingen wir bis in die Morgenstunden die Hüften und freunden uns mit einer Gruppe Einheimischer an, die uns auf diverse Aguardientes einladen und uns erzählen, dass sie gemeinsam in einem Restaurant mit Blick über die Stadt arbeiten, in dem wir sie an einem der kommenden Abende besuchen werden.
Manche mehr, manche weniger angeschlagen (Luca & Phil haben etwas früher den Absprung geschafft) und manche mehr, manche weniger von der senilen Bettflucht geplagt (dreimal dürft ihr raten, wer) machen wir uns am nächsten Morgen (wohl eher Mittag) auf den Weg in die Comuna 13, wo wir Conny (richtig geraten) treffen. Die Comuna 13 ist ein Stadtteil, der einst als einer der gefährlichsten Orte von Medellín galt. In den 80er- und 90er-Jahren war das Viertel stark von Armut, Drogenhandel und bewaffneten Konflikten zwischen Guerillagruppen, Paramilitärs und der staatlichen Armee geprägt. Heute hat sich die Comuna 13 stark verändert: Farbenfrohe Graffitis, Musik, Strassenverkäufer:innen, offene Rolltreppen und Touri-Massen prägen das Viertel – nur in kleinen, abgelegenen Nebengassen ist noch in Ansätzen vorstellbar, wie der Alltag hier einmal ausgesehen haben muss. Mit unseren matschigen Kater-Birnen lassen wir uns durch den Trubel treiben, snacken frische Früchte, beobachten Breakdance-Gruppen und geniessen die Aussicht über die Stadt.
Für unsere Silvesternacht haben wir noch keinen richtigen Plan. So begeben wir uns auf Verdacht auf die Carrera 70, eine einheimische Party-Meile, wo wir auch unsere Freundin Louisa wiedertreffen, die wir an der Pazifikküste kennengelernt hatten. Mit einem Fläschchen Aguardiente auf dem Tisch hebt sich allmählich die Stimmung und wir werden von zwei ca. 50-jährigen Kolumbianerinnen in ein intensives Gespräch verwickelt. Die Uhr bewegt sich stetig auf Mitternacht zu und irgendwo wollen wir noch feiern gehen, daher machen wir uns im Taxi auf den Weg zu einem Club, der uns empfohlen worden war. Enttäuscht stellen wir bei der Ankunft fest, dass dieser geschlossen ist und schauen ein wenig verdutzt aus der Wäsche. Welcher Club hat denn an Silvester geschlossen? Vom Taxifahrer erfahren wir, dass Silvester in Medellín tatsächlich eher ein Familienfest ist und nur die Touris (wir) zum Jahresende eine grosse Party erwarten. Die wahre Party geht an Weihnachten - tja, blöd für uns. So ganz wollen wir es aber noch nicht aufgeben und lassen uns aus Mangel an Alternativen in das Touri-Viertel El Poblado fahren, welches wir eigentlich tunlichst meiden wollten. Dort angekommen wird uns auch direkt klar, warum. Die Mischung aus fremdsprachigen (alles, ausser Spanisch) Touri-Gruppen in Partylaune und auf der Strasse lebenden indigenen Kindern (Mädchen im Teenager-Alter, die selber kleine Babys auf dem Bauch tragen) ist schrecklich und hinterlässt uns mit einem unangenehmen Gefühl im Magen. Wir schieben uns durch die Menschenmassen, die dem Kapitalismus und der neokolonialen Gentrifizierung fröhnen (ich nehme uns dabei nicht aus) und landen schliesslich an einem etwas abgelegenen Pärkchen. Ein Blick auf die Uhr zeigt noch wenige Minuten bis Mitternacht, so holen wir uns kurzerhand ein Bier bei einem Strassenverkäufer und stossen auf das alte und das neue Jahr an. Trotz der skurrilen Atmosphäre, die uns umgibt, entsteht ein kleiner, schöner Moment der Verbundheit und menschlichen Wärme, den wir auskosten.
Aber die Nacht ist noch nicht vorbei. Am Vortag haben wir nämlich den Kontakt einer herzlichen Klamotten-Verkäuferin ergattert, welche uns per Instagram einen Tipp für eine lokale Strassenparty gibt. Wir verlassen also El Poblado und fahren zur Adresse, die uns Lisa geschickt hat. Dort angekommen können wir es kaum glauben, dass dort tatsächlich laute Musik läuft und es ein paar Hundert Einheimische in unserem Alter offenbar doch noch aus dem Haus geschafft haben und dort in unterschiedlichesten Outfits auf der offenen Strasse tanzen, während billiger Auguardiente von einer alten Frau aus einem Kiosk verkauft wird - diese Party ist schon um einiges mehr nach unserem Geschmack (vor allem für die Reggaeton-Liebhabenden unserer Gruppe)! Damit aber auch alle auf ihre Kosten kommen, fahren wir nach einer Weile gemeinsam mit Lisa und ein paar Friends von ihr weiter zu einem Techno Club, welcher sich im Stadtzentrum befindet (dort, wo wir auf keinen Fall hinfahren sollten, und schon gar nicht nachts, wie uns von verschiedener Seite gesagt wurde). Der Club befindet sich in einem alten Salsa Lokal und wir werden vom Türsteher hineingelassen, indem er ein rostiges Metall-Tor von Hand hochzieht. Innen ist nicht mehr zu erkennen, ob wir uns in Medellín oder Berlin befinden und wir tanzen bis frühmorgens zu den stampfenden Bässen (für genauere Auskünfte bitte an eine Person wenden, die sich besser mit Techno auskennt und ganz generell eine weniger vernebelte Erinnerung an die Nacht hat). Alles in allem war es ein denkwürdiges, einzigartiges, abwechslungsreiches, unvergessliches Silvester 2024/25!Read more