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  • Day 91

    Cowboys und Gentlemen in Nashville 🥃

    September 1, 2023 in the United States ⋅ ☁️ 31 °C

    Nashville in Tennessee, die Hochburg der Country Musik, das Mekka der Whiskey Trinker, ein Must-Have. Nun weiß wahrscheinlich jeder, der uns besser kennt, dass wir mit Country und Whiskey nicht besonders viel am Hut haben. Vielleicht ändert sich das ja in den nächsten Tagen: Wir lassens drauf ankommen und brettern mit unserem Van in 8 Stunden von Chicago im Norden nach Nashville im zentralen Osten der Staaten. Mit jeder Meile die wir machen wird es wärmer und als wir abends an unserer Ferienwohnung ankommen steht die Luft. Das Apartment verfügt zum Glück über eine leistungsstarke Klimaanlage mit der sich das Zimmer in kurzer Zeit runterkühlen lässt. Beim Italiener bestellen wir noch zweimal Pasta und dann fallen wir in unser bequemes Bett.

    Der Donnerstag beginnt erstmal ruhig mit Frühstück und dem ein oder anderen Videocall bevor wir uns zu Fuß aufmachen nach Downtown. Unser Ziel: Die Country Music Hall of Fame, ein Museum das ganz der Country Musik gewidmet ist. Es ist weiterhin brechend heiß und schwül. Die 25 Minuten bis zu unserem Ziel sind beschwerlich. Und nicht besonders schön. Die Straßen sind breit und gut mit Autos gefüllt, die Gehwege schmal und nahezu menschenleer. Es gibt kaum Bäume, Freiflächen sind entweder zubetoniert oder lediglich mit kahl geschorenem Rasen bewachsen. Die halbhohen Wolkenkratzer sind schmucklos und wirken unbelebt, “wenn überhaupt, dann sind das doch hier alles Hauptquartiere von Bösewichten und Superschurken”. Kurz vor dem Museum wird es auf einmal lauter. Ein Stimmengewirr das mit jedem Schritt lauter wird. Und dazu Musik. Wir laufen an den ersten Menschen vorbei. Einige tragen Cowboyhut und Lederstiefel, wieder andere sind in Pink und Glitzer gehüllt. Feierwütig beschwipst bahnen sich Menschenmassen ihren Weg. Der Broadway! Nashville’s Feiermeile, “hier spielt sich also das ganze Leben ab”. Mit dieser Erkenntnis gehts jetzt aber erstmal ins Museum.

    Die Country Music Hall of Fame. Das größte Museum weltweit, dass sich ausschließlich der Country Musik verschrieben hat. Auf drei Etagen werden Gitarren, Banjos, Kostüme, Fotografien, Bild- und Tonaufnahmen sowie ganze Autos von Countrygrößen der letzten 100 Jahre ausgestellt. Alles sehr beeindruckend, die schiere Menge an Ausstellungsstücken ist überwältigend, aber bis auf Johnny Cash, Dolly Parton und Taylor Swift (!) kennen wir keine(n) der ausgestellten KünstlerInnen. Für viele der BesucherInnen scheint es eine wahre Pilgerstätte zu sein, für uns ist es eine nette Sammlung verschiedener Gegenstände. Nach einer Stunde sind wir durch. Hat 64 Dollar gekostet.

    In einem kleinen Restaurant nehmen wir die Happy Hour mit. Happy Hour ist hier nur am Tresen. Kein Problem, wir sitzen also am Tresen, bestellen uns was warmes zu essen (Mac and Cheese mit Hähnchenschenkel-Topping bzw. klassisch Burger) und zwei Bier zum Preis von einem (17 Uhr, beste Zeit). Beim Warten kommen wir mit dem Barkeeper ins Gespräch. Es geht um Musik, er will mal Deutschland besuchen, wir sind in Alaska gestartet, in Nashville trifft man allerlei Stars aus der Musikszene, man muss nur etwas Glück haben..der übliche Smalltalk, immer wieder unterbrochen durch die Bestellungen der anderen Gäste. In Vorfreude auf unser Essen stoßen wir an, da kommt er wieder zu uns und guckt uns abwechselnd durchdringend an: “So, what you gonna do is: Go to this address, enter the red phone booth and call the following number”, er schreibt eine Adresse und eine Telefonnummer auf einen Zettel und schiebt ihn uns rüber. Wir gucken ihn mit großen Augen an, er wendet sich ab und geht wieder Bier zapfen. Während des Essens recherchieren wir, was es mit der Adresse und der Telefonnummer auf sich hat: Es handelt sich um eine exklusive Bar, die über eine alte Londoner Telefonzelle (phone booth) betreten werden kann, vorausgesetzt man kennt die Zugangsnummer. Es herrscht ein Dress code. Aufregend. Wir fühlen uns geehrt, aber das ist kein Event für heute Abend. Gestärkt und voller Euphorie gehts jetzt zum Broadway.

    Der Broadway ist auf einer Länge von vielleicht 300m die reinste Partymeile. In jedem Haus ist eine Bar, die meist über mehrere Stockwerke inkl. Dachterrasse geht. Und auf wirklich jeder Etage spielt eine Liveband - vornehmlich Country -. Es ist eine unvorstellbare Geräuschkulisse. Links und Rechts der Straße drängen sich die Partyhungrigen. Es ist wirklich sehr voll. Die einen wollen rein, die anderen raus. In den Schaufenstern sitzen die Schlagzeuger, flankiert von Bassisten und Gitarristen. Die Leute liegen sich in den Armen und johlen durch die Straße. Bunte Leuchtreklamen flackern überall. Ein unvorstellbarer Trubel im Vergleich zum Rest der menschenleeren Stadt. Wir flüchten auf die Dachterrasse einer vierstöckige Bar. Die Band interpretiert berühmte Songs auf chillige Country Art neu, bei einem Bier (10 Dollar!) lässt sich das bunte Treiben auf der Straße gut beobachten. Nach einer Weile ziehen wir weiter in die nächste Bar. Die Band in der 3. Etage haut in Sachen Rockmusik-Covers richtig einen raus. Die Menge tobt. Menschen drängeln sich an uns vorbei. Neben uns ein Junggesellenabschied. Die Braut schmeißt sich ziemlich an einen männlichen Gast ran. Ihre sichtlich betrunkene Freundin zerrt an ihr. Die Klimaanlage an der Decke tropft nicht, sie läuft aus. Ist uns irgendwie „too much“ hier. Kaum ist auch hier das Bier ausgetrunken treten wir den Heimweg an: Das Level der meisten Broadwaybesucher können wir heute unmöglich erreichen.

    Am nächsten Tag besichtigen wir die Corsair Distillery in Nashville. Hier wird seit 2009 (!!) Whiskey destilliert, was sie zur ältesten Destille Tensenesse’s macht. Warum das so ist? Schnapsbrennen ist in Tennessee erst seit 14 Jahren legal erlaubt, da die in den 1920er Jahren eingeführten Gesetze der Prohibition hier erst 2009 vollständig aufgehoben wurden. Auf der Führung lernen wir, wie Whisky hergestellt wird, besonders viel Insiderwissen gibts jedoch nicht, liegt vielleicht an der dürftigen Firmenhistorie. Die Destille ist zusammen mit zahlreichen Kunsthandwerksbetrieben in einer 130 Jahre alten Eisenwarenmanufaktur untergebracht. Die alten Gemäuer und die ausgestellten Maschinen versetzen uns in eine andere Zeit und geben einen guten Eindruck davon, wie früher produziert wurde.

    Zurück im Apartment schmeißen wir uns in Schale, denn gleich geht es ins Red Phone Booth. Der Dress code ist klar: Elegant aber nicht zwingend steif, Sportklamotten sind verboten, das letzte Wort hat das Personal an der Tür. Etwas nervös betreten wir die Rote Telefonzelle, „phone out of order, just call with your mobile“, steht auf einem Zettel der am alten Telefonapparat klebt. Wir kramen unseren Zettel mit der Telefonnummer heraus und wählen die Nummer. Freizeichen. Die Luft in der Telefonzelle: warm, feucht, kein Sauerstoff. Nach einer Minute hören wir Schritte. Klingt nach schwarzen Anzugschuhen. Eine Seite der Telefonzelle schwingt auf, „Good evening, Gentlemen“, einer adretter Herr mustert uns von Kopf bis Fuß, „Good evening, Sir“. Freundlich bittet er uns herein. Drinnen ist das Licht schummrig, vor den Fenstern zur Straße hängen schweren Vorhänge. Dichter Zigarrenrauch hängt in der Luft. In kleinen Gruppen sitzen Menschen allen Alters zusammen an Tischen, auf Sofas und an der Bar und unterhalten sich angeregt, aber nicht aufgeregt. Im Hintergrund läuft ruhige, loungige Musik. Wir befinden uns in den 1920er Jahren: Die Zeit der Prohibition, in der sich sogenannte „Speakeasies“ etablierten. Das waren illegale Bars die häufig in Hinterzimmern und Kellern existierten. Zutritt bekam nur der, der das Passwort kannte. Sichtbare Trunkenheit und anderes auffälliges Verhalten war verboten um die Staatsdiener nicht auf den Plan zu rufen. Ein elegantes Äußeres sollte vom eigentlich Illegalen ablenken.

    Der Kellner bringt uns zu unserem Platz und reicht uns die Karte. Ein riesiger Zigarrenascher aus geschliffenem Glas steht schwer in der Mitte des massiven Holztisches. In der Karte findet sich eine reiche Auswahl verschiedenster Cocktails basierend auf den gängigen Bränden von Whiskey über Gin bis hin zu Wodka und Rum. Von unserem Platz aus können wir die Bar sehr gut sehen. Die zwei adretten Barkeeper mixen mit viel Hingabe und Geschick einen Drink nach dem anderen. Die Getränke sind mal trüb, mal klar, mal werden sie gerührt, mal geschüttelt, ein Drink geht kurz in Flammen auf. Wir entscheiden uns beide für einen Whisky-basierten Cocktail um an unsere Destillery-Führung anzuknöpfen (Johannes wählt den Brown Derby, ein Bourbon verfeinert mit einem Schuss Grapefruitsaft und Honig und ich nehme den Lion‘s Tail, ein Bourbon mit Limettensaft, Pimentbeeren und Gewürzen auf Eis). Es fühlt sich exklusiv an. Beide Drinks schmecken hervorragend und in Gespräche vertieft schlürfen wir sie genüsslich weg. Eine zweite Runde gibts dann auch noch, ich (Rico) bestelle einen Smoked Old Fashioned, ein Whiskey der - wie zuvor schon beobachtet - kurz bei der Zubereitung in Flammen steht um ein besonderes Raucharoma zu erzeugen. Für Johannes gibt es den Floradora, ein Gin mit blumig-himbeeriger Note, der mit einer süß angemachten Hibiscusblüte garniert ist. Die Drinks entfalten in dieser lauschigen Atmosphäre ihre volle Wirkung und wir quatschen noch eine ganze Weile. Von Politik bis Zukunftsplanung ist alles dabei. Letztlich verlassen wir beschwingt das Red Phone Booth. Das war nicht die typische Nashville Erfahrung, aber in unseren Augen trotzdem die beste. Auf dem Weg nach Hause machen wir noch einen kurzen Abstecher über den Broadway. Es wimmelt natürlich wieder nur so von pink-glitzernden Cowboy-Jungesellenabschieden die alle hacke sind und als wir in einer völlig überfüllten Bar im zweiten Stock vor der Bühne einen süßlich-sauren, leicht beißenden Geruch wahrnehmen, beschließen wir zu gehen. Vielleicht ist der Broadway in Nashville einfach nicht unser Ding.

    Nashville hat einen besonderen Vibe: Als Country Musik Fan mit einem Hang für Reeperbahn-Chick kommt man hier voll auf seine Kosten. Guten Gewissens lassen wir am nächsten Tag die Party-Cowboys und die pinken Bald-Ehefrauen weiter Party machen und brechen auf in Richtung Pittsburgh in Pennsylvania. (R)
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