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  • Day 121

    Herbstlich. Herbstlicher. Vermont. 🍁🍄

    October 1, 2023 in the United States ⋅ ☀️ 23 °C

    Nach den Erlebnissen der letzten Tage in und um Boston zieht es uns jetzt noch einmal zurück in den Norden, genauer nach Vermont. Hier sind wir nach den Niagarafällen schon durchgefahren und waren direkt verliebt in die hügelige, dicht bewaldete Landschaft und die skandinavisch anmutenden Holzhäuser mit ihren liebevoll gestalteten Vorgärten. Die 300 Kilometer Highway führen uns durch New Hampshire in den Norden Vermonts, genauer in den New Discovery State Park. Abends auf dem Campground angekommen bauen wir wie üblich unser Lager auf (was im Wesentlichen daraus besteht, die solarbetriebene Lichterkette möglichst schlau zwischen zwei Bäumen aufzuspannen, ohne sich dabei gegenseitig an die Gurgel zu gehen). Danach soll es Mac and Cheese geben - die Instant-Variante zum einrühren von ‘Kraft’, $1,50 pro Packung -. Draußen regnet es, deswegen schließen wir den Campingkocher also Option aus. Strom gibts nur im Sanitärgebäude. Also bauen wir unser elektrisches Kochfeld ohne zu zögern im Klo auf…nach vier Monaten ‘on the road’ sind wir mittlerweile abgebrühte Vollprofis. Während das Wasser langsam zu kochen beginnt fällt uns ein orangener Aushang ins Auge, auf dem Herbstmärkte in der Region beworben werden: Demnach findet ab morgen jeden Tag in einem anderen Dorf ein Markt mit regionalen Speisen, Kunsthandwerk, Musik und vielem mehr statt. Wir sind begeistert, denn so bekommen wir die ultimative Vermont-Herbst-Experience, für die der Nordosten Amerikas so berühmt ist. Unsere Elchjagd-Pläne, die wir kurzeitig ausgetüftelt haben werfen wir wieder über Bord. Erntedankfeste, wir kommen!

    Am nächsten Morgen - es ist Samstag - ist das Wetter hervorragend. Nach dem Frühstück machen wir uns auf nach Cabot. Das 1500-Einwohner Nest ist nur etwa 15 Minuten von Zeltplatz entfernt. Auf der großen Wiese gegenüber der kleinen weißen Holzkirche direkt im Dorfzentrum herrscht reges Treiben. Halbfertige Stände, Pferde die angeleint rumstehen, ein Pizzaofen wird angeheizt, vor der Bühne werden Stühle aufgebaut (kennt man ja schon aus Nebraska). Es herrscht geschäftiges Treiben. Wir sind skeptisch und fahren in unserem schwarzen Van mit runtergekurbelten Scheiben extrem langsam durch die Dorfmitte, „sollen wir jetzt aussteigen und uns ins Getümmel stürzen oder ist uns das alles nicht Geheuer?“. Langsam rollen wir an der Wiese vorbei und verschwinden im Schatten der Kirche. „Man bereut immer die Dinge, die man nicht gemacht hat!“. Mit einem scharfen Rechtsschwenk fahren wir auf den Parkplatz der Grundschule. Vorsichtig laufen wir über das Festgelände. Am Stand des ‚Orga-Teams‘ kommen wir mit den beiden Damen ins Gespräch. Sie weisen uns darauf hin, dass gerade noch aufgebaut wird und es um 12 Uhr los geht. „Are you guys from Germany?“, fragen sie uns noch. Unser Akzent hat uns mal wieder verraten, macht aber nichts, denn die beiden zeigen auf ein paar kleine Stände am Ende der Straße, „there you should find Sarah, she’s from Germany as well“.

    Sarah ist eine Münsteranerin um 40, die mit ihren zwei Jungs in Cabot in einen alternativen Bauernhof-Projekt lebt. Vor einem halben Jahr hat sie sich von ihrem amerikanischen Mann scheiden lassen. An ihrem Stand filzt sie kleine Halloween-Kürbisse und verkauft sie. Sie ist so gerührt, auf ein paar Deutsche hier im abgeschiedenen Nordosten der Staaten zu treffen, dass sie uns direkt umarmt. Wir quatschten aufgeweckt über dieses und jenes und verabredeten uns direkt zu 17 Uhr vor der Bühne, weil die Band echt gut sein soll.

    Für den Moment verabschieden wir uns und es geht erstmal zu einem Wanderweg ein paar Meilen entfernt. Der ist letztlich kaum der Rede wert und ist derart kurz, dass er eher einer Hundegassirunde gleicht. Wir nehmen alle Abzweigungen und Umwege die wir finden können um wenigstens ein paar zusätzliche Meter zu machen. War trotzdem schön, ne halbe Stunde durch den bunten Herbstwald Vermonts zu laufen. Es ist kurz nach 13 Uhr, in Cabot sind die Festivitäten seit einer Stunde in vollem Gange. Zu früh für uns. Auf einem Flyer, den man uns zugesteckt hat, wird Burtt’s Apple Orchard empfohlen. Das muss eine Obstplantage sein. Sie läd zum Erntedank. Etwa 10 Meilen von hier. Also los. Die kleine Landstraße schlängelt sich in engen Kurven durch den herbstlichen Wald. Immer wieder mal ein Gehöfft oder eine Koppel. Zarte Wölkchen am sonst blauen Himmel. Malerisch. Und auf einmal stehen wir mitten im Getümmel: ein große kastanienrot gestrichene Scheune hat ihre Tore geöffnet. Davor und drinnen lebendiges Treiben. Kürbisse in allen denkbaren Farben, Formen und Größen liegen gestapelt auf der Wiese und in Holzkisten. Auf dem Parkplatz - es ist der Acker vor der Scheune - ergattern wir eine Lücke. In der Scheune gibt es ‘Apple Cider’ (frisch gepresster, naturtrüber Apfelsaft) in den Varianten ‘frozen’ und gekühlt im Glas (12Oz) bis zum Kanister (1 Gallone = 3,7 Liter), dazu frisch gebackene Zimt-Donuts, Apfelessig, verschiedenste Marmeladen, Marple-Sirup, Kuchen…es ist ein Paradies. Mit frozen Apple-Cider und lauwarmen Donuts setzen wir uns draußen auf eine der Bänke. Kinder toben durch ein kleines Maislabyrinth und hinter uns in den Reihen der Apfelplantage pflücken die Besucher kiloweise Äpfel.

    Nachdem auch wir einen kurzen Ausflug ins Labyrinth gemacht haben (was ehrlich gesagt jetzt nicht sonderlich anspruchsvoll war) rüsten wir uns mit einem Apfelpflücker aus und laufen die Baumreihen ab. Auf einem Plan ist zu sehen welche Sorten wo gepflanzt sind und welche gerade jetzt reif sind. Wir fassen den Entschluss einen Apfelkuchen zu backen in der nächsten Ferienwohnung und suchen entsprechende Sorten heraus, die besonders gut zum Backen geeignet sind. Zwischendurch genehmigen wir uns noch den ein oder anderen ‘Apfel to Go’ zur Stärkung. Das Erspähen und Pflücken macht richtig Spaß und wir sind erstaunt von der Vielfalt der verschiedenen Apfelsorten. Die älteste Sorte ist von 1830 und sieht mit ihrer rauen und braunen Schale nicht wie die üblichen Hochglanz-Äpfel aus dem Supermarkt aus. Ist auch ein bisschen sauer. Schmeckt trotzdem! Die paar gepfückten Äpfel werden in der roten Scheune gewogen und kosten ‘nen Appel und’n Ei’, dazu noch eine halbe Galleon Apfelmost und so fahren wir glücklich in apfeliger Herbstlaune wieder zurück nach Cabot. Grade rechtzeitig zur 17-Uhr-Band. Und vor allem zum Turkey essen (Truthahn). Der wird von der Kirchengemeinde für wenige Dollar mit Kürbis- und Kartoffelpüree samt Bratensauce an die Besucher des Herbstfests ausgegeben. Schon wieder lecker. Sarah kommt mit ihren Jungs (der eine 7, der andere 4 Jahre alt) wie verabredet auch noch mit dazu und so wippen wir in geselliger Runde zu Countryklängen mit den Beinen (es ist denke ich klar, dass vor der Bühne in klassisch amerikanischer Manier gesessen wird). Als die Band schon beim Abbau ist, die Dämmerung langsam einsetzt und die Jungs anfangen übermütig zu werden, verabschieden wir uns. Und verabreden uns für den nächsten Morgen zur Kürbisernte auf Sarahs Hof. Herbstlicher geht es ja wohl kaum!

    Es ist Sonntag Morgen und wir fahren auf den Bauernhof, auf dem Sarah mit ihren Kids wohnt. Die drei stehen schon erwartungsvoll in der Einfahrt. Auf dem Elektrobuggy fahren wir fünf - Johannes und ich auf der Ladefläche zwischen den Erntekisten - die letzten Meter zum Kürbisfeld. Und dann wird ohne große Umschweife mit dem Ernten begonnen: “erntet einfach alles was ihr finden könnt, die Ausbeute dürfte dieses Jahr wegen des vielen Regens eher dürftig ausfallen”, sagt Sarah und drückt uns jedem eine Rosenschere in die Hand. Die beiden Jungs stürmen begeistert vor und präsentieren uns immer wieder stolz ihre neuesten Kürbisse. Es macht riesig Spaß, schnell haben wir 5 Kisten verschiedenster Kürbisse zusammen und das kleine Feld ist abgeernteten. Wieder zurück auf dem Hof schälen wir Mais der zum Trocknen ausliegt, um Platz zu schaffen für unsere Kürbisse - zum Nachreifen, wie wir lernen -. Dann gibts von den beiden Kleinen noch eine Führung durch die alte Scheune und ihren Dachboden bevor wir mit Sarah noch ein Glas frischen Apfelsaft in der Küche trinken. Wir reden viel über ihre Zeit in Amerika und ihr altes Leben in Münster. Sie scheint es zu genießen, mal Leute aus der Heimat zu Besuch zu haben und wir sind ihr dankbar für die Arbeit auf dem Feld. Feldarbeit ist voll unser Ding! Gegen Mittag ist es dann aber Zeit weiter zu ziehen. Zur Verabschiedung umarmen wir uns alle herzlich.

    Wir steuern gezielt das nächste Herbstfest in der Region an. Diesmal ist es in Marshfield, gleich bei Cabot. Es soll einen Chilli-Contest geben - kennt man von den Simpsons -. Und tatsächlich: Das halbe Dorf ist angetreten, jeder hat sein eigenes Chili gekocht. Für 8 Dollar darf man als Testesser antreten. Und als Testesser darf man sich satt essen am dunkelroten Barbecue-Chilli, dem gelblichen Curry-Chilli, dem rauchigen Chipotle-Chilli oder dem vegetarischen Bohnen-Chilli, um nur einige zu nennen. Satt gegessen haben sich auch wirklich alle. Und da wir spät dran sind, bleiben für uns nur klägliche Reste. Wir kratzen zusammen was zusammenzukratzen ist! Und jedes einzelne Chilli ist so lecker. Eine Countryband spielt auf der Bühne. Es gibt eine Bücherauktion, Holzhandwerk und Kerzen. Und für uns selbst gebackene Cookies zum Nachtisch. Köstlich! Der Sieg geht an das vegetarische Chili und für uns geht es weiter nach Stowe (gesprochen: Stou). Das Städtchen gilt in der Region als eines der schönsten. Schon die Anfahrt nach Stowe ist einfach traumhaft. Über kleinere und größere Hügel schlängelt sich die kurvige Landstraße durch die farbenfrohe Landschaft. Silhouettenhaft ragen Bergketten in der Ferne auf. Stowe besteht im wesentlichen aus einer zentralen Durchfahrtsstraße mit breiten Gehwegen, auf denen ganzschön was los ist. Über allem ragt die weiße Holzkirche mit ihrem elegant spitz zulaufenden Turm. Viele kleine Cafés, Tourishops und Boutiquen säumen die Straße. Alles sieht einfach nett aus, gepflegt. Vielleicht ist das der Grund warum Stowe ein beliebtes Ziel für Tagesbesucher ist. Wir ergattern einen Tisch auf der Terrasse eines kleinen Cafés und beobachten von hier das Treiben bei Kaffee und warmem Apfelcider mit Milch und Zimt (soo lecker!) und frischem Bananen- bzw. Kürbisbrot. So lässts sichs leben. Es ist mittlerweile später nachmittag. Ein Abenteuer könnten wir also ruhig noch erleben heute. Auf dem Weg nach Stowe sind wir an der Ben & Jerry’s Ice Cream Factory vorbei gefahren. „Da fahren wir nochmal kurz ran, ein kleines Eis geht immer“. Es dämmert bereits, als wir das Betriebsgelände getreten. Eisbegeisterte rennen kreuz und quer. Auf einem Wegweiser steht „Flavor Graveyard“ (Friedhof der Geschmacksrichtungen). Das finden wir rattenscharf. Strammen Schrittes gehts den kleinen Hügel hoch und dann stehen wir mitten auf einen Friedhof. Um uns herum Grabsteine, und jeder markiert eine vergangene, zu Grabe getragene Eissorte, die nicht mehr länger im Ben & Jerry‘s Kosmos weilt, aber in unseren Herzen weiterlebt. Das ist so schrill. Etwas betreten aber vor allem sehr belustigt stellen wir uns in die 100 Meter lange Schlange und holen uns zum krönenden Abschluss dieses abwechslungsreichen Tages noch eine riesige Waffel mit den Sorten Chunky Monkey (banana ice cream with fudge chunks and walnuts), Americone Dream (vanilla ice cream with fudge-cover waffle cone pieces and a caramel swirl) und Coconut Seven Layer Bar (coconut non-dairy frozen dessert with fudge chunks, walnuts, & swirls of graham cracker & caramel). Das ist die ultimative amerikanische ‚ice cream experience‘: Irgendwie pervers, aber auf eine sehr gute Art und Weise. Im Dunkeln gehts dann zurück auf unseren Zeltplatz mitten im Wald, wo wir erschöpft ein letztes Mal schlafen bevor es morgen weiter geht nach Süd-Vermont.

    Die nächsten Tage verbringen wir im zwei Autostunden entfernten Putney. Hier haben wir uns für 4 Nächte in ein altes Signalhäuschen der Bahn eingemietet. Es ist so geschmackvoll eingerichtet, dass wir uns sofort wahnsinnig wohl fühlen. Es gibt einen großen Garten, ein nette Terrasse, einen verglasten Erker mit eingelassener Sitzecke und bequeme Sessel und Sofas. Die Küche ist geräumig, mit einen großen Herd samt Backofen, an den Wänden hängen Bilder, Gemälde und Plakate von vergangen Kunstaustellungen in New York. Die folgenden Tage sind schnell zusammengefast: wir verlassen unsere Unterkunft fast garnicht und verbringen die Tage mit Kochen (Hähnchen auf Couscous mit Tzatziki, Bratkartoffeln, Pizza) und Backen (Apple Pie mit den selbst geernteten Äpfeln), Lesen, Zocken, Telefonieren und Schreiben von Postkarten und unserem Blog. Die Planung für New York wird für die Dauer unseres Aufenthaltes der geistig anspruchsvollste Teil. Zwischendurch spielen wir mal Monopoly oder es wird ein Mittagschläfchen gemacht, das höchste der Gefühle ist ein Ausflug zu Aldi (gibts hier, begeistert uns total). Es sind wundervolle Tage.

    Insgesamt sind wir von Vermont mehr als begeistert. Richtige Fans, könnte man sagen. Soviel Herbst, so nette Menschen, so viel Schönes und Schöngeistiges. Wir konnten richtig Kraft tanken, die Seele baumeln lassen.

    Aber es warten schon neue Abenteuer entlang der Ostküste auf uns und dafür sind wir jetzt bereit! (R)
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