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- Day 3
- Tuesday, June 10, 2025 at 7:58 AM
- ☁️ 14 °C
- Altitude: 3 m
GermanyMönchgut54°19’46” N 13°42’18” E
Zurück auf die Schulbank...

Punktlandung. Zwei Minuten vor zehn betreten wir die historische Dorfschule von Middelhagen – und werden sofort in eine andere Zeit gesogen. Der Klassenraum ist voll, die Luft ein bisschen staubig, die Blicke neugierig. Wir pressen uns in eine hölzerne Schulbank, Baujahr vermutlich 1900, mit Klapp-Pult vorne dran und unnachgiebiger Rückenlehne. Margriet strahlt. Sie findet das Möbel „sehr charmant“ – was übersetzt heißt: unbequem wie Hölle, aber voller Erinnerungen.
Das Schulmuseum Middelhagen liegt idyllisch mitten im Dorfzentrum. Die Dorfschule wurde um 1825 erbaut und beherbergt heute neben dem alten Klassenraum auch die authentisch eingerichtete Lehrerwohnung. Mehrmals in der Woche kann man hier historische Schulstunden selbst erleben. Wie war der Schulalltag vor hundert Jahren auf Mönchgut? Was wurde gelernt, wie gelebt? Hier ging es auf eine Zeitreise ins Jahr 1825.
Wir schauten uns um. Es gab viel zu entdecken: ausgestopfte Tiere, einen riesigen Holzrechenschieber – wie hieß der nochmal? „Abakus“? Gerade, als wir noch grübelten, betrat die Lehrerin den Raum. Haare streng hochgesteckt, nordisch kühl. Ein Blick, der jede Diskussion im Keim erstickt. Wir stehen auf, wollen höflich sein und antworten brav: „Guten Morgen!“ – und fangen uns direkt die erste Rüge ein: „Es heißt Guten Morgen, Fräulein Lehrerin! – und zwar im Chor. Nochmal!“ Wir wiederholen es wie geprügelte Lämmer. Das Eis ist gebrochen ;0)...
Dann sollten wir alle unsere Hände zeigen, ob sie sauber und frisch gewaschen waren – schließlich kämen wir gerade vom Feld oder hatten Hausarbeit gemacht. Sie war ganz in ihrer Rolle. Etwa 30 „Schüler“ zeigten brav ihre Hände. Zwei kamen zu spät. Die Frau entschuldigte sich und nannte die Gründe – der Mann nickte nur. Das hat garantiert noch ein Nachspiel, murmelt jemand hinter mir. Ich nicke innerlich.
Jetzt wird’s ernst: Taschentuchkontrolle. Stofftaschentücher, bitte. Kein Zellstoff, kein Papierschnupfer. Margriet wedelt eifrig mit ihrem, sie hat’s sich ja gemerkt. Aber insgesamt? Maximal fünf im Raum sind vorbereitet. Und wehe, man zeigt das falsche: Jungs brauchen ein weißes Tuch zum Vorzeigen, ein farbiges zum Benutzen. Mädchen ein feines, besticktes mit Häkelbordüre zum Präsentieren, und ein einfaches ohne Spitze zum tatsächlichen Gebrauch. Wer das verwechselt oder gar ein benutztes zeigt, hat den Rohrstock verdient – den präsentiert die Fräulein Lehrerin dann auch gleich mal. Mädchen: Handrücken. Jungs: Hintern. Willkommen in der guten alten Zeit.
„Nun“, sagte sie, „fangen wir erstmal mit einem Lied an: ‘Jetzt fahr’n wir übern See’. Mal sehen, wer alles drüber fährt.“
Jetzt fahr’n wir übern See ist ein deutsches Scherzlied aus dem 19. Jahrhundert. Es handelt sich um ein Volkslied, da nicht überliefert ist, wer für Melodie und Text verantwortlich war. Hier der Text:
Jetzt fahren wir übern See, übern See,
Jetzt fahren wir übern ________ See.
Mit einer hölzern' Wurzel, Wurzel, Wurzel, Wurzel,
mit einer hölzern' Wurzel, kein Ruder war nicht _______ dran.
Beim ersten Versuch sangen einige einfach weiter und stoppten nicht rechtzeitig - sie fuhren quasi über den See ;0)... Also nochmal von vorn – diesmal klappte es besser. Wir lachten herzlich und genossen die Atmosphäre.
Anschließend: Naturkunde mit ausgestopften Tieren. Sie zeigte mit ihrem Rohrstock auf das jeweilige Tier. Immer wenn sie fragte, was das für ein Vogel oder Tier sei, mussten wir uns im ganzen Satz melden und hinten dran „Fräulein Lehrerin“ sagen. Sie erzählte viel aus dem ländlichen Leben Rügens, vom Schulleben und von den Lehrern. Interessant war, dass Rügen lange zu Schweden gehörte (Rügen war von 1648 bis 1815 schwedisch, nachdem es im Westfälischen Frieden von Brandenburg an Schweden abgetreten wurde – bis es im Wiener Kongress an Preußen fiel). Plattdeutsch-Lesung inklusive. Ich verstehe nichts. Margriet auch nicht. Aber es ist unterhaltsam. Und immerhin übersetzt sie ab und zu – norddeutsche Höflichkeit.
Nun bekamen wir Schiefertafeln mit Griffeln, um Schönschrift zu üben. Früher schrieb man in Sütterlin (eine deutsche Schreibschrift, die von 1915 bis etwa 1941 offiziell verwendet wurde, bevor sie durch lateinische Handschriften abgelöst wurde). Auf einer Tafel stand ein Satz in Sütterlin, den wir laut vorlesen sollten. Es war gar nicht so einfach, diese elegante Schrift zu entziffern. Gemeinsam schafften wir es.
Dann hieß es, unsere Namen auf die Tafel zu schreiben – einmal mit rechts, einmal mit links, natürlich innerhalb der Linien. In Schönschrift. Margriet lacht – wann schreibt man schon mal mit links? Die Lehrerin kontrollierte und lobte: „Gut gemacht!“
Zum Finale der Strafblock: Der Zuspätkommer muss nach vorn, bückt sich über den Pultdeckel. Der Rohrstock kommt zum Einsatz – zehnmal. Wir zählen laut mit. Zehnmal. Wir lachten herzlich – Der Geschlagene bleibt stumm - komisch ;0)...
Zum Schluss erhielt jeder von uns ein Zeugnis, geschrieben in Altdeutsch mit dem Namen handgeschrieben in wunderschöner Kalligrafie. Wir bedankten uns höflich mit „Danke, Fräulein Lehrerin“. Die Stunde verging wie im Flug, alle klatschten.
Anschließend durften wir den Schulhof, die angrenzende Lehrerwohnung und die Ausstellung mit Schulsachen besichtigen – eine wirklich tolle Schulstunde.Read more