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- Day 3
- Tuesday, June 10, 2025 at 4:51 PM
- 🌧 14 °C
- Altitude: 18 m
GermanyStralsund54°17’26” N 13°5’41” E
Störtebeker- Stralsunder Biergeschichten

Wir wurden mit einem breiten Grinsen empfangen – nicht nur von der offenen Tür des altehrwürdigen Störtebeker Brauhauses, sondern auch vom Kellner, der mich schon an Ostern bedient hatte. Damals hatte er mir in einem Nebensatz erzählt, dass das Bier aus der alten VEB Stralsunder Brauerei früher... sagen wir: keine Liebeserklärung war. „Sunder Pisse“, sagte er trocken. Eine ganz eigene Art von Lokalkolorit. Heute dagegen: Renaissance! Seit etwa zwei Jahren wird wieder ein „Stralsunder Pils“ gebraut – aber diesmal mit neuer Rezeptur und in „lecker“.
Wir nahmen Platz – schwere Holztische, Backstein, hanseatisch dunkel und gemütlich – und ich bestellte Margriet erst mal ein Bierverkostungstablett: fünf Gläser, fünf Sorten, fünf kleine Abenteuer im Glas. Keller-Bier, Atlantic-Ale, Bernstein-Weizen, Schwarz-Bier und das Frühlings-Bock. Die Namen klangen wie Kapitel aus einem Wikingerroman. Ich erklärte Margriet, wie man so ein Tasting durchführt: Schauen – Riechen – Schlürfen – Denken – Diskutieren – Neutralisieren. Weißbrot und Wasser standen bereit, wir waren bereit für ein kleines Biersymposium.
Margriet schnupperte begeistert am Schwarzbier und verzog leicht das Gesicht beim ersten Schluck. Ich sagte: „Warte, das entwickelt sich noch.“ Sie antwortete: „Wie ich nach dem dritten Glas.“ ;0)... Sympathisch.
Zum Essen bestellte sie Spargel – saisonal und solide. Ich entschied mich für Labskaus (ein norddeutsches Seemannsgericht aus gepökeltem Rindfleisch, Kartoffelpüree, Zwiebeln, Rote Bete und Rollmops; einst erfunden, um Seeleute auf langen Fahrten mit Nährstoffen zu versorgen). Margriet verzog das Gesicht, als ich ihr das erklärte. Ich sagte: „Vertrau mir, das schmeckt besser als es klingt.“ Spoiler: es holte sie leider nicht ab.
Zwischen den Bissen erzählte ich ihr von der langen Geschichte der Braukunst in Stralsund: Mehr als 800 Jahre Bierkultur. Schon im Mittelalter war Stralsund mit über 220 Braugerechtigkeiten ein echtes Biermekka. Bier galt als Grundnahrungsmittel – auch für Kinder. Schließlich war es oft sicherer als das Trinkwasser. Das stärkste Bier ging in den Export – der Rest für den Hausgebrauch oder in die Biersuppe.
Dann der Hopfen – Gamechanger des Nordens. Während im Süden noch mit "Grut" (Kräutern) gebraut wurde, mischten die Stralsunder längst Hopfen ins Bier. Bitter, haltbar, bakterienfeindlich. Das Bier wurde besser und exportfähiger. England, Dänemark, Norwegen – Stralsund lieferte. Die Hanse trank. So erzählte ich ihr auch vom IPA – das Bier, das nach Indien wollte (und nicht verdursten wollte).
Das India Pale Ale, kurz IPA, entstand im 18. Jahrhundert – nicht in Indien, sondern in England. Die Briten hatten nämlich das dringende Bedürfnis, ihre Kolonialbeamten in Indien auch dort mit ordentlich Bier zu versorgen. Problem: Das normale Bier verdarb auf der langen Schiffsreise durch tropische Hitze und ruppige See.
Die Lösung? Mehr Hopfen. Viel mehr Hopfen.
Hopfen wirkt wie ein natürliches Konservierungsmittel – und gibt dem Bier gleichzeitig diese typisch herbe Note. Also brauten die Engländer ein besonders starkes, hopfenreiches Bier, das die Reise überstand und in Indien noch halbwegs frisch aus dem Fass kam.
Eigentlich war vorgesehen, das kräftige Bier vor dem Trinken mit Wasser zu verdünnen – aber die Kolonialbeamten fanden: "Ach, schmeckt auch so hervorragend!" Und beließen es dabei. Der starke Geschmack setzte sich durch – und der Legendenstatus war geboren.
Heute ist IPA der Rockstar unter den Craft-Bieren – mit Aromen von Zitrus, Pinie, tropischen Früchten bis Grapefruit und bitter wie ein ungeöffneter Liebesbrief.
Oder wie Margriet es sagen würde:
„Hopfen, der tanzen kann – im Mund.“
Ich erzählte vom Niedergang der Braukultur durch die Weltkriege, der sozialistischen Planwirtschaft und von der Rettung durch die Familie Nordmann nach der Wende. 2011 wurde aus der Stralsunder Brauerei die Störtebeker Braumanufaktur – handwerklich, vielfältig, international ausgezeichnet. Ein Bierwunder made in Mecklenburg Vorpommern.
Margriet trank genüsslich ihr Atlantic-Ale aus und sagte: „Schade, dass man Bier nicht zu allem essen kann.“ Ich schaute sie an, als hätte sie gesagt, die Erde sei flach. „Doch“, sagte ich, „Bier ist wie Wein – man kann es zu allem kombinieren. Man muss nur wissen wie.“ Sie lachte. Ich ahnte: Wir würden diese Woche noch ein paar Bier-Food-Pairings erleben, die selbst sie überzeugen würden.
Und während sie das letzte Restchen Frühlings-Bock aus dem Glas nippte, dachte ich: Wenn Geschichte so schmeckt – dann bitte mehr davon...Read more