• Stralsund Altstadtführung mit Schauspiel

    June 11 in Germany ⋅ 🌬 15 °C

    Auf dem historischen Markt in Stralsund wurden wir schon von drei mittelalterlich gekleideten Menschen herzlich empfangen. Wir stellten uns kurz vor und warteten, bis die Gruppe komplett war – wir waren etwa zehn Leute. Die Ausschreibung zum Spektakel klang so spannend, dass wir uns richtig freuten:

    „Erleben Sie über 750 Jahre Hansestadt-Geschichte, mit reichen Pfeffersäcken, frommen Priestern und aufgeputzten Damen. Warum der Rat eine Hochzeitsordnung erlassen musste, wie die Nudel nach Stralsund kam und was das mit einer Intrige gegen Bürgermeister Wulflam zu tun hat. Wie finster die Nacht aus Geiz war und was ein Heringsfass alles kann – inklusive dem Kopf des Freiheitskämpfers Ferdinand von Schill in einem Einmachglas!“

    Unser Guide Harald, der Priester mit seiner schwarz-roten Kutte, war schwer zu übersehen. Thilo und Anna hatten abwechselnde Rollen, und 11 Uhr verabschiedeten sie sich. Harald stellte uns den Markt vor und zeigte das alte Rathaus (das alte Rathaus von Stralsund wurde im 13. Jahrhundert errichtet, der markante Giebel im Backsteinstil wurde erst im 14. Jahrhundert hinzugefügt und prägt seitdem das Stadtbild mit seinem gotischen Charme). Gegenüber wohnte einst der Bürgermeister Wulflam mit seiner Frau – ein Mann, der für seinen extravaganten Stil bekannt war: Um ins Rathaus zu gelangen, soll er angeblich mit seinem Pferd über extra ausgelegte Stoffbahnen geritten sein, um das Pflaster nicht zu beschädigen. (Bürgermeister Wulflam war im 14. Jahrhundert eine schillernde Figur – bekannt für seine Macht, aber auch für Korruptionsvorwürfe, die sogar eine Intrige gegen ihn auslösten. Man sagt, er griff öfter mal in die Stadtkasse, was ihm nicht nur Freunde bescherte.)

    Am Marktplatz gab es natürlich auch ein Brauhaus (im Mittelalter unverzichtbar für Geselligkeit und wichtige Stadttreffen), sowie verschiedene Handwerker und Händler: der Schmied, der Bäcker, die Färberin und der Krämer. Alle waren wichtige Stützen der lebendigen Hansestadt.

    Wir zogen weiter und Harald führte uns zur alten Lateinschule (die Stralsunder Lateinschule wurde im 16. Jahrhundert gegründet und war eine der ersten Bildungseinrichtungen der Stadt – hier lernten die Söhne der wohlhabenden Bürger Latein, Religion und Rhetorik, damit sie später in Handel und Politik mitmischen konnten). Danach kamen wir zur imposanten Kirche mit den zwei Türmen, wobei einer ohne Spitzdach dastand – ein Zeichen, dass der Bau damals nie ganz fertig wurde.

    Anna saß dort auf einer Treppe eines historischen Bürgerhauses und begann ihre Szene: „Habt ihr schon das Neueste gehört? Weingläser aus Murano – aus Glas, nicht aus Ton.“ Sie hielt ein kleines Körbchen mit abgedecktem Tuch in der Hand. Anna spielte eine verheiratete Kauffrau, die gerade versuchte, dem einflussreichen Kaufmann Gerwin von Semlow (ein bedeutendes Mitglied des Stadtrats, an den heute noch eine Straße erinnert), welcher gerade um die Ecke kam, ihre neuen Waren anzupreisen.

    Herr Semlow war ein geiziger, misstrauischer Mann, der über Weingläser aus Glas nur lachte. Anna versuchte ihn mit Gerüchten zu erpressen, dass sie denkt, dass der Bürgermeister in die Stadtkasse greift und sie denkt, dass der werte Kaufmann, da er im Stadtrat sitzt, ja davon wissen müsse - doch Semlow mahnte sie, besser auf ihre Zunge zu achten. Daraufhin schlug sie das Tuch zurück und präsentierte ihm den neuesten Hit: eine Nudel – ebenfalls aus Murano. Herr Semlow nahm beherzt eine rohe Nudel und wollte gerade reinbeißen, als Anna ihm erklärte, dass man die erst kochen müsse, dann werde sie weich und zart. Semlow blieb skeptisch.

    Die beiden spielten ihre Rollen so lebendig, dass wir uns mitten in der reichen Hansestadt des Mittelalters fühlten. Tolle Kostüme, Drama, Geschrei – und ein Happy End. Wir applaudierten herzlich und folgten Harald weiter durch die Stadt...
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