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  • Day 40–49

    Sailing 1

    September 1, 2023, Flores Sea ⋅ ☀️ 27 °C

    Am 1. September war es endlich so weit und wir konnten auf das Segelboot, die Sailing NV. Das Boot gehörte einem Italiener namens Timo und seiner Freundin Joanna (Jo). Mit ihrem 2-jährigen Sohn Nemo und einem wenig intelligenten Hund namens Solo segelten sie damit um die halbe Welt, genauer gesagt von Fidji bis ins Mittelmeer. Die Sailing NV ist 66 Fuss (ca. 20 Meter) lang, liegt flach im Wasser, hat einen langen Kiel und einen Masten aus Karbon wodurch sie für hohe Geschwindigkeiten und lange Distanzen geeignet ist. Die Familie baute das Schiff in Fidji während 2 Jahren um und machte es wieder seetüchtig. Um dieses Abenteuer zu finanzieren zapfte die Familie diverse Einnahmequellen an. Jo gab bspw. online Nachhilfe in Mathematik und lud von Zeit zu Zeit einige Videos zum Bootsumbau auf YouTube hoch. Und da waren noch abenteuerlustige, meist junge, unwissende Landeier wie wir, die bereit waren für 35 Dollar pro Kopf & Tag auf dem Boot mitanzupacken.

    Selina und ich waren da jedoch nicht die einzigen Idealisten, die sich von der Segelromantik verleiten liessen. Auf dem Boot trafen wir Abby & Jacob, ein nettes Pärchen aus dem USA, welche insgesamt ca. einen Monat auf dem Schiff verbrachten. Zudem lösten wir einen jungen Belgier ab, der in Maumere blieb. Daher waren meist ca. 7 Leute auf dem Segelboot, was gerade gut auszuhalten war, denn alles war sehr eng und klein. Selina und ich konnten in der Kabine nirgendwo aufrecht stehen. Die Betten waren etwa so breit wie die Economy Sitze bei Easyjet und die Toilette war gleich am Fusse unserer Betten in einem 1m2 Kabäuschen. Alles war sehr kompakt, kein Kubikzentimeter war ungenutzt, was ich in einem Segelboot auch so erwartete. Dass man sich kaum bewegen konnte hatte auch seine Vorteile. So musste man wenigstens nie weit laufen um etwas zum futtern zu holen und dank dem kurzen Weg zur Toilette geht auch bei Durchfall selten was in die Hose.

    Obwohl wir weniger Platz hatten als die durchschnittliche Schweizer Legehenne, war dies für uns kaum ein Problem, ausser vlt. wenn wir in der Küche den Abwasch erledigten. Dann standen wir jeweils krum und gebückt über dem Spühlbecken, wie ein Hund der gerade seinen Allerwertesten leckt. Bei 30 Grad in dem Kombüschen fühlte sich der Abwasch an wie im Schwitzkasten von Mike Thyson. Neben dem Abwasch packten wir an wo es gerade Hilfe brauchte, Segel hissen und einholen, halsen, Deck schrubben, Einkäufe erledigen, Nachtwache halten, alles was man auf einem Segelschiff halt so macht. Von uns wurde jedoch nie erwartet, dass wir in der Küche halfen. Der temperamentvolle italienische Skipper Timo hatte einen äusserst sensiblen Gaumen und war dem Anschein nach allergisch auf Gerichte die nicht al dente waren. Daher liessen wir uns täglich von seinen vorzüglichen Kochkünsten verzaubern die nicht nur geschmaklich sondern auch kalorienmässig in der höchsten Liga spielten.

    Mit der Zeit hatten wir aber etwas genug von Mini Pizzas und Pasta zum Frühstück und wir machten uns selbst ein Müsli mit frischen Früchten, was dem Italo Kopfzerbrechen bereitete: "Gazo, You can not eat Musli, this is not really a meal! Not even my dog eats this shit." Und ja das Wort "Gazo", italienische Vulgärsprache für Penis, gehörte in seinen Aussagen so selbstverständlich dazu wie das Amen in der Kirche. "Gazo, Affangulo, Mamma Mia, Putana" gehörten dabei zu seinem Lieblingsvokabular und fluchen konnte er sogar noch besser als segeln. Nebst den Fluchwörtern kamen nicht selten provokante Aussagen aus seinem Mundwerk. So kam bei ihm so ziemlich alles unter die Räder vom Klimawandel über Schwule und Juden bis hin zu seiner Freundin Jo. Die einzigen Dinge die ihm heilig schienen, waren seine Eltern und der Hund "Solo".

    Der Hund war für den Italo das Grösste. Er durfte sitzen, liegen und kacken wo er wollte und bekam auch immer etwas Pasta von Papa Timo. Zudem irrte er ständig auf dem Schiff umher und bellte alles an was im Umkreis von 100 Metern zum Schiff war. Natürlich gehört ein Hund schon gar nicht auf ein Segelboot. Wenn er dann noch kaum eine Erziehung geniesst wird er zur Plage. So musste man bei der Arbeit auf Deck darauf achten dass man nicht auf dem Hundekot ausrutschte. Die Seile mit denen man arbeitete waren mit Hundepisse beträufelt. Beim Essen musste man aufpassen, dass der Teller nicht zum Futternapf wird oder, dass der Hund mit seinem wedelnden Schwanz nicht den Tisch abräumt. Neben dem Hund strauchelte dann noch der zweijährige Nemo umher der, wie in diesem Alter üblich, alles begrabschte und in den Mund nahm. Die Kombination aus Hund, Kleinkind und Platzmangel kratzten schon arg an meiner hygienischen Tolleranzgrenze.

    Hinzu kam, dass das Boot auch sonst relativ chaotisch war. Da die Familie mehr oder weniger ihr Hab und Gut transportierte, war es ziemlich voll. Ständig musste man Material suchen, und wenn man es gefunden hatte war es kaputt oder nicht mehr zu gebrauchen. Es fühlte sich an als wäre das Boot mit den Errungenschaften von einem Räumungsverkauf beim Brokenhaus ausgestattet worden. Leider war auch das Segelboot selbst nicht gerade ein Meisterstück Deutscher Ingenieurskunst, sondern eher eine bunte Auswahl an Ersatzteilen die mit Müh und Not zusammengebastelt wurden. Eines der Segel war gerissen und das Hauptsegel konnte man nur noch zu 3/4 hissen. Beim ankern musste man so vorsichtig sein als würde man auf einer Vespa mit einer 90-jährigen italienischen Grossmutter über den Gotthard fahren und der Motor streikte etwa ähnlich oft wie die Bahnarbeiter in Frankreich.

    Das alles war leider etwas Schade und verlieh einen etwas schäbigen Eindruck. Ich verstehe dass segeln ein sehr teures Hobby ist und die richtigen Ersatzteile sehr viel kosten. Aber vielleicht war die Herausforderung mit Kind, Hund, einer bunt gemischten Crew und einem Segelboot aus dem Bastelkatalog doch etwas zu viel für das Pärchen.

    An dieser Stelle möchte ich jedoch auch noch ein paar positive Worte zur Sailing NV verlieren. Timo war trotz allem ein extrem kompetenter Skipper und guter Koch, auch wenn die Küche nachher jeweils aussah wie ein Schlachtfeld. Er wusste immer eine Lösung, manövrierte souverän und konnte alles reparieren. Auch seine Fähigkeiten als Segler sind unbestritten und beeindruckend sowie seine Fitness und seine charismatische Art. Jo war immer sehr bemüht um das wohlergehen aller an Board und nahm auch Rückschläge oder Anschuldigungen von Timo mit stoischer contenence. Und auch der mühsame Hund war ganz angenehm wenn er schlief. Und schliesslich brachte die Familie uns sicher ans Ziel und konnte unsere Reise um eine wunderbare und einzigartige Erfahrung bereichern.
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