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  • Day 138

    Buenos Aires und die Abrissparty

    December 17, 2022 in Argentina ⋅ ☀️ 23 °C

    Die angedachten 18 Stunden Busfahrt nach Buenos Aires entwickelten sich zu knapp 22 Stunden und wir kamen ziemlich fertig im Hostel an. Im Bus war leider so ziemlich alles kaputt, an schlafen war kaum zu denken und die vorbei ziehende Landschaft war mit dem Norden von Argentinien nicht zu vergleichen und von Monokulturen geprägt. Dem entsprechend war die fast letzte Busfahrt nicht so ganz meine Lieblingsfahrt aber dennoch mit Vorfreude auf das wärmstens empfohlene Buenos Aires.
    Eigentlich hatten wir in den vergangen Monaten immer versucht, große Städte zu meiden, um mehr von der Umgebung kennenzulernen. Einige Städte waren sehenswert, andere ziemlich herausfordernd. Buenos Aires gehört meiner Meinung nach zu den Städten, die man gesehen haben muss und die mir sehr gefallen hat. Nach so vielen Städten in Südamerika, die ein wenig verkommen und runter gewirtschaftet wirkten, ist die Hauptstadt Argentiniens eine architektonische Augenweide. Soweit ich das beurteilen kann, können da eigentlich nur Bogota und Medellin in Kolumbien mithalten (Quito fand ich ja total doof, auch wenn die Altstadt schön ist). Dazu findet man in Buenos Aires in jedem Quartier einen Park und große Straßenbäume. Ein wenig kam es uns so vor, als wäre die Stadt eine Vorbereitung auf Berlin. Überall in der U-Bahn wird live Musik gespielt, die Menschen sind divers, bunt und freundlich. Das Essen war eine sehr willkommene Abwechslung und es gab endlich viele vegane Restaurants. Zum erstmal sah ich queere Menschen, offensichtlich sicher auf der Straße herumlaufen, sich küssen und die Männer sind wesentlich attraktiver, als in den Ländern zuvor. Durch die viele Zuwanderung (hauptsächlich Italiener) hat sich eine vielfältige Kultur entwickelt, vieles wirkt locker flockig und man sah alle möglichen Haar- und Hautfarben. Vielleicht fühlten wir uns deshalb so wohl, weil es so divers europäisch wirkte aber dennoch der südamerikanische Flair zu spüren war. Ein schöner Mix!

    Ein paar Highlights hatten wir uns für die Stadt vorgenommen, die wir teilweise zu Fuß erreichten oder die U-Bahn nahmen. Das Klima war viel gemäßigter als bei den Iguazú Wasserfällen und verschaffte uns ein paar traumhafte letzte Sommertage. Ein bekannter autonomer Stadtteil in Buenos Aires ist La Boca. Einst ein Arbeiterviertel der Fischer, ist er nun Touristen Hotspot. Das dort alle hinpilgern war uns nicht bewusst und wir hofften eigentlich einen unbekannten Ort erkunden zu können. Vor allem wollten wir uns die markanten bunten Häuschen anschauen. Diese sind aus übrig gebliebenem Wellblech der Schiffe entstanden und mit Restfarbe bestrichen worden. Nun haben sich dort Restaurants angesiedelt, die Umgebung ist sicherer geworden, es wird Tango auf den Straßen getanzt und zack ist der Tourismus nicht weit entfernt. Wir fanden also weder leere Straßen, noch einen Geheimtipp vor. Sicherlich hat es etwas an Charme verloren aber dennoch war der Ort sehenswert. Leider hatten wir nicht ganz so viel Zeit, um abseits der Tourimeile die Straßen zu erkunden, da wir noch auf einer kleinen Mission waren. Ein paar Wochen vorher hatten wir uns in Samaipata in Bolivien, in einem schnuckeligen Laden, in kissenartige Lama Stofftiere verliebt. Ich kaufte es direkt und war jede Busfahrt dafür dankbar. Gern wollten wir mehrere davon mitnehmen aber da man sich gut überlegen musste, wie viel man als BackpackerIn schleppen möchte und kann, war das erstmal keine Option. Aber wie immer kamen wir mit den Besitzern ins Gespräch und es stellte sich heraus, dass Gabi im Dezember in Buenos Aires auf Familienbesuch sein sollte. Sie offerierte uns die Süßen mitzunehmen und uns zu übergeben. Genau das passierte auch und nach einigem Hin und Her bzgl. des Treffpunktes in Buenos Aires freuten wir uns sehr über ein Wiedersehen und unsere neuen kleinen Freunde.

    Ein weiterer sehenswerter Stadtteil ist Palermo. Ein junger, lichtdurchfluteter, moderner und vibrierender Teil von Buenos Aires, indem sich ein Restaurant an das andere reiht und in vielen Bars keine Wünsche offen bleiben. Auf dem Weg dorthin nahmen wir noch den botanischen Garten mit, eine städtische Oase mit wunderbaren Bäumen, indem wir ein wenig dem Stadttrubel entkamen. Eine kleine Busfahrt entfernt, besuchten wir noch einen süßen Markt, der voll von lokalen Künstlern, HandwerkerInnen und Musik war. Auch die Nächte lernten wir kennen und mischten uns in einer abgeranzten Rockkneipe unter die Einheimischen und wippten mit den Köpfen. Es machte Spaß in der Stadt zu sein, die Atmosphäre aufzunehmen und die Lebendigkeit zu spüren.

    Sicherlich war dieser Eindruck nochmal besonders durch das anstehende WM Finale geprägt. Als hätten wir es nicht besser planen können, waren wir in der Hauptstadt von Argentinien, das Land das im Finale gegen Frankreich antreten sollte. Die ganze Stadt war in Vorbereitungen, es gab kaum ein anderes Thema, die Mode wechselte zunehmend zu himmelblau-weiß und die Anspannung war in jeder Straße spürbar. Die ganze Stadt entwickelte sich zu einem riesigen Public Viewing und wir überlegten uns, wo und ob wir uns in die Menge schmeißen wollten. Schon in der U-Bahn, noch vor dem Spiel, wurde gesungen und gefeiert. Im Park Plaza Seeber mischten wir uns dann unter die Menge und sahen uns das Spiel an. Mehr noch war es spannend den mitfiebernden Argentiniern zu zuschauen. Die Luft brannte, die Menschen beteten, hofften und bangten um den Sieg. Die Stimmung war während des gesamtes Spieles nicht so heiter, wie von uns erhofft, da wohl die Anspannung einfach zu groß war. Bei der katastrophalen Lage und der wenig hoffnungsgebenden Zukunft des Landes auch nicht zu verdenken, dass sich nach so einem Highlight gesehnt wurde. Umso krasser war dann das finale Tor im Elfmeterschießen, nach ewig langen Spielminuten und zitternden Knien. Die Leute rasteten völlig aus und es folgten stundenlange Straßentänze und Partys an jeder Kreuzung. Es herrschte Ausnahmezustand in der Stadt. Auf alles was erklommen werden konnte, wurde drauf geklettert. Millionen Menschen waren auf den Straßen, tanzten, trommelten, sangen und feierten ihren Stolz auf die Nationalmannschaft und das Land. Mit Fahnen auf den Wangen sangen wir mit und ließen uns von der ansteckenden Atmosphäre durchfluten und mittragen. Bei all den vielen Fragen des warum’s bei der dieser WM, war diese Erfahrung für mich einmalig und ganz besonders. Eine größere Abschiedsfeier hätte ich mir nicht wünschen können. Wir waren definitiv nicht nur dabei sondern mitten drin. Auch, als ich abends meinen Nachtbus nach Montevideo bekommen musste. Die Straßen waren voller Menschen und es fuhr kein einziges öffentliches Verkehrsmittel, Taxis kamen nicht durch die Straßen, also musste ich laufen. Paul half mir mit den Rucksäcken und wir schlängelten uns durch die feierwütige Menge. Wir kamen kaum voran, wurde ständig angesungen und liefen mit großen Augen in die ungefähre Richtung des Terminals. Es war irre anstrengend aber gleichzeitig auch so aufregend. Irgendwann gab es eine Straße, in der ein paar Autos durchrollen konnten. Wir hielten zwei Frauen an, die mich lieberweise mitnahmen, mich um das schwere Gepäck erleichterten und direkt zum Bus brachten. Paul drängte sich erneut durch die Menge, zurück zum Hostel, da er von Buenos Aires zurück flog.
    Angekommen am Terminal, glitt ich völlig platt in den Bussitz und konnte kaum glauben, dass die Reise ein Ende gefunden hatte. Es fiel mir schwer die Gedanken zu sortieren, alles selbst zu glauben und meinen Heimweg anzutreten. Nach einer sehr bequemen Busfahrt, einer nächtlichen Grenzüberfahrt nach Uruguay, kam ich 6:00 in Montevideo an. Eine letzte, sehr sympathische Begegnung mit einer Argentinierin, die mit mir die Zeit bis zum Abflug überbrückte, bescherte mir einen warmherzigen Abschied. Nach weiteren 2 Flügen über Madrid bis nach Frankfurt stieg ich dann in den ICE nach Berlin und kam nach insgesamt ca. 38 Stunden Reisezeit an. Es fühlte sich alles wie ein unglaublich schöner Traum an und ich konnte und kann immer noch nicht richtig fassen, dass all diese wunderbaren Monate passiert sind.

    Argentinien wäre ein Land, in das ich unbedingt zurückkehren würde. Die Natur ist spektakulär und muss im Süden noch umwerfender sein. Die landschaftliche Vielfalt sucht seinesgleichen und die Menschen, sind trotz des schwierigen Akzents wirklich ungemein freundlich. Ein wenig fehlte mir die Ursprünglichkeit, da ich die indigenen Gesichter in den Straßen vermisste und das Land sehr europäisch wirkt. Deshalb bin ich auch sehr froh, die Länder vorher gesehen zu haben und dass ich so viel von Südamerika mitnehmen konnte.
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