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  • Day 103

    Bewegendes Medellín

    January 22, 2023 in Colombia ⋅ 🌧 22 °C

    Medellín ist die zweitgrösste Stadt Kolumbiens - und die ehemals wohl gefährlichste Stadt der Welt. Kein Wunder versprach unser Tourguide auf der Walking Tour: Heute werde ich Euch erklären, weshalb Eure Eltern Angst haben, dass ihr hier in Kolumbien seid...😉 Er hatte nicht zu viel versprochen, die Stadt und ihre Geschichte waren eindrücklich und haben uns bewegt, auch wenn es heute sicher ist, Medellin zu bereisen. Fangen wir aber vorne an...
    Nach unserer Ankunft spätabends in El Poblado - eines der beiden touristischen Viertel Medellíns - blieb uns nur eine kurze Nacht, denn vor der gebuchten Free Walking Tour machten wir uns auf die Suche nach einem Frühstück. Es wurde uns leicht gemacht - hier reihen sich Hotels, Restaurants und Cafés aneinander. Und so ergatterten wir tatsächlich das wohl beste Frühstück unserer bisherigen Reise!🤩
    Nach der erfolgreichen Mission Frühstück folgte die nächste Herausforderung: Metro. Auch diese war aber einfach zu lösen. Obwohl die Metro Medellíns schon fast 30-jährig ist, befindet sich alles in einwandfreiem Zustand und kommt erstaunlich modern daher. So konnte es dann punkt 10 Uhr losgehen mit der geführten Tour durch das Stadtzentrum.
    Unser Guide Dio begrüsste uns mit einem historischen Überblick über die Entwicklung Medellíns (kein Gewähr für die Richtigkeit aller folgender Erzählungen, wir geben nur weiter was wir auf spanglish gehört haben😉🙈).
    Einst war Medellín ein kleines, landwirtschaftliches Städtchen, das sogar für die ankommenden Spanier uninteressant war, da es hier nichts Wertvolles zu holen gab, sodass sie bald in andere Gebiete Kolumbiens weiterzogen. Erst als sie merkten, wie heiss es in den Küstenregionen sein kann, kamen einige zurück in das angenehmere Klima der hiesigen Berge. Tatsächlich wird Medellín auch die Stadt des ewigen Frühlings genannt aufgrund dem idealen ganzjährigen Klima - auch wir genossen, wie grün es hier ist!🌿

    Erst mit der Einführung und dem weltweit steigenden Bedarf an Kaffee Anfang des 20. Jahrhunderts explodierte Medellín förmlich, wuchs innert kürzester Zeit um mehr als das siebenfache und wurde zum wirtschaftlichen Motor Kolumbiens! Kein Wunder entwickelte sich neben der geplanten Stadt auch ein informelles Medellín an den Hängen der umliegenden Berge, wo heute u.a. die berühmte 'Comuna 13' liegt.

    Ab den 70er und 80er Jahren folgte dann die richtig dunkle Zeit. Nachdem im den USA ehemalige Soldaten mit dem in Deutschland als Medizin entwickelten Kokain gegen die posttraumatischen Belastungsstörungen aus dem zweiten Weltkrieg behandelt werden, startet das weisse Pulver seinen Siegeszug. Die Nachfrage war plötzlich (und ist immer noch) riesig - und Kolumbien kann liefern. Man schätzt, dass in Kolumbien heute rund 70% des weltweiten Kokains produziert wird! Heute überwiegend ohne offensichtliche Gewalt, da der Transport und Verkauf von mexikanischen Kartellen übernommen wurde - auch aus dem einfachen Grund, dass Kolumbien, im Gegensatz zu Mexiko, ein Auslieferungsabkommen mit den USA hat. Wer hier angeklagt wird, Drogen nach Amerika geschmuggelt oder verkauft zu haben, wird an die USA ausgeliefert, dort verurteilt und wird im schlimmsten Fall nie mehr gesehen. Davor haben sogar die Gangsterbosse zu viel Angst...

    Vor diesem Abkommen in den 80er und 90er war das alles ganz anders. Ganz Kolumbien und vor allem Medellín war durchsetzt von unzähligen kleinen Kartellen - bevor sich ein Mann nach oben arbeitete und all die kleinen Gruppierungen unter einer starken Hand vereinigte. Pablo Escobar - ein Name, den unser Guide Dio nicht laut aussprechen wollte in der Stadt und ihn nur Voldemort nannte... Dio ist nur ganz wenig älter als wir, aber als er erzählte wie er aufgewachsen ist, sich beim Spielen immer wieder unter dem Bett versteckend oder draussen hinter geparkten Autos wartend, bis die nächste Schiesserei vorbei war oder wie er auf dem Schulweg an auf der Strasse liegenden Opfern derselben vorbei laufen musste - das nahm uns alle mit. Während mehreren Jahrzehnten herrschte ein unerbittlicher Krieg zwischen den Drogenkartellen, dem Staat, den linksextremen Guerillas (z.B. die Farc) und den rechtsextremen Paramilitärs, der 2003 mit der Entwaffnen der Paramilitärs abebbte und schliesslich 2016 mit dem Friedensabkommen zwischen Staat und den Farc-Rebellen zumindest oberflächlich endete. Bis dahin sorgte er zur Höchstzeit um 1991 alleine in Medellin für über 6'600 Morde pro Jahr.
    Nicht erstaunlich also, dass Dio und viele Kolumbianer:innen den Ruhm Pablo Escobars, unter anderem durch Netflix-Serien wie 'Narcos', sehr kritisch sehen. Und um so erstaunlicher, dass die Kolumbianer:innen trotz all dem Elend, dass wir alleine auf dieser Tour gehört haben, so lebensbejahend und fröhlich bleiben konnten! Vor allem helfe da die Einstellung, sich auf positive Erlebnisse zu fokussieren und Negatives aus der Vergangenheit selektiv zu vergessen, um nicht in dem erlebten Leid unterzugehen.
    Gerade Medellín tankt heute auch viel Energie aus der Transformation, die diese Stadt hinter sich hat. Dank 'sozialer Architektur' wurden gezielt die dunkelsten Ecken der Stadt aufgewertet und entwickelten sich mit neuen Plätzen, Gebäuden sowie zahlreichen sozialen Angeboten zu einladenden Begegnungsorten und zu Zeichen der Hoffnung. Mit Gondeln wurden die Stadtteile an den Hängen mit dem Zentrum verbunden - und bereits mitten in der Blüte der Kriminalität wurde die Metro eröffnet, die die Mobilität in Medellín völlig veränderte und als Zeichen für eine bessere Zukunft von allen so heilig gehalten wird, dass kaum ein Kratzer oder Graffiti zu finden ist!
    Mit neuen Schulen und 10 grossen Bibliotheken in den problematischsten Vierteln wurde der Bildung neuer Aufschwung gegeben und Kinder in die Schule geholt statt in die Hände der Kartelle getrieben. So hat sich Medellín zu einem Vorzeigebeispiel und einer der innovativsten Städte weltweit entwickelt. Eine Entwicklung, die man sieht und vor allem spürt - und die uns sehr bewegt hat!😊
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