• Durch Dorf und Feld nach Gjakovë

    9 octobre 2024, Kosovo ⋅ ☀️ 21 °C

    Wieder zieht das Wetter komisch herum und in der Nacht hat es geregnet. Dicke schwarze Wolken hängen über uns. Trotzdem entscheiden wir uns mit dem Rad nach Gjakovë zu fahren. Eine verkehrsarme Straße führt entlang von Dörfern. Überall sehen wir Marterl und Kriegerdenkmale aller Menschen, die in den vielen Kriegen, denen die Gegend ausgeliefert war erinnern. Extrem nationalistisch wirkt die albanische Bevölkerung mit Symbolen und Fahnen überall. Ein Beispiel, das stark an Österreich erinnert, sind die mehrsprachigen Ortstafeln, Wegweiser auf Autbahnen. Die serbischen Namen und Bezeichnungen sind alle mit Hand geschwärzt. Die Gegend hat so ein ähnliches Schicksal wie Ostdeutschland erfahren. Die Grenzziehung nach dem Balkankrieg (1912/13) hat die albanische Bevölkerung getrennt. Trotzdem bestehen weiterhin sehr enge Verbindungen, ein Beispiel ist der Grenzübergang am Korab, der nur den Einheimischen zugänglich ist und vor, glaube nicht zu erinnern, 2,3 Jahren geöffnet wurde.
    Kosovo hat keine Wehrpflicht und nur 5000 Berufssoldaten und ein paar Freiwillige. Der junge Parkplatzmitarbeiter in Prishtina erklärte mir, dass auch er nicht zur Armee ging, obwohl man dort ein besserer Mensch werde, in seiner Persönlichkeit wachse, aber er übt, so wie die Mehrheit der Jungen, auf Schießstellen mit seinem Gewehr und sollte es einen serbischen Übergriff gegen, wäre er bereit sich zu verteidigen. Den Rest erledigt die NATO.
    Bevor wir nach Gjakovë kommen, halten wir bei der Gedenkstätte von Meië. Am 27.4.99 wurden in den umliegenden Orten 376 Menschen massakriert, auf Lastwagen nach Serbien gebracht um das Verbrechen zu vertuschen. Später exhumiert als man die Massengräber fand und hier an dem Gedenkort bestattet, bzw. erinnert, da nicht alle gefunden wurden. Die Frauen der Ortschaften wurden 10 Tage früher getötet.
    Da fällt mir wieder ein, dass in Prizren bis vor Kurzem keine Serben wohnten. Die Stadt bemüht sich jedoch um die Rücksiedelung der Familien die dort immer wohnten und so sind es inzwischen wieder 10 Familien, die zurückgekommen sind. In anderen Orten gibt es keine Serben mehr.
    Nach dem traurigen Ort fahren wir ins Zentrum. Gjakovë hat den größten erhaltenen osmanischen Bazar am Balkan und ist ein Tourihotspot. Ausserdem ist hier eine Dislokation der pädagogischen Hochschule Pristhina und wie überall in Kosovo gibt es enorm viele junge Leute. Laut Statistik sind >60% unter 25 und nur 20% >60. Durchschnitt Lebensdauer ist 71 🫣🫣🫣
    Auch eine Uniklinik bringt viel akademisches Potential in die Stadt. In der Einfahtsstraße dominieren Ärztepraxen, Stomatologen, ästhetische Chirurgie und Autoschrauber das Bild. Die einen auf der rechten, die anderen auf der linken Seite. Möglicherweise besteht ein Zusammenhang mit den unglaublich prächtigen, hochmodernen Anwesen, die wir am Weg gesehen haben.
    Die albanische Bevölkerung hier ist ja vorwiegend muslimisch, aber Hijab wird fast nie oder wenn, dann eher von türkischstämmigen getragen. Insgesamt sind die Mädchen auch am Land recht modern zurecht gerichtet.
    Was uns schon die ganze Zeit auffällt, es wird extrem wenig Alkohol getrunken. Sehr viel Kaffee, und wenn man einmal bestellt hat, kommt niemand mehr um wegen einer neuen Bestellung zu fragen. Für uns ungewöhnlich, weil meistens brauchen wir eine 2. Fuhre, für die Gäste, die einfach die Atmosphäre des Beieinandersitzens haben wollen und sich nur ein Kaffee ausgeht, super stresslos. Man darf einfach sitzen bleiben.
    Wir radschlendern durch die engen Gässchen des Bazars. Vieles wurde der Gastronomie gewidmet, einige Teile werden gerade renoviert, ein bisschen abseits Unmengen von Fakeklamotten, Anzügen, Hochzeitskleider, Trachten, Schuhe. Lange nicht gesehen: eine chinesische Reisegruppe knipst sich ganz begeistert durch die Gassen. Ich werfe noch einen Blick in die mittelalterliche Tekke, die wunderschön renoviert wurde. Der islamische Bektashiorden ist ja in Albanien anerkannt, in der Türkei verboten. Es sind Sufis und sie haben definitiv eine Heimat in Albanien. Edi Rama wird, ich glaube, noch dieses Jahr einen, dem Vatikan ähnlichen Bektashistaat in Tirana "eröffnen".
    A propos Edi Rama. In Tirana sind grausliche Unruhen gegen die Regierung am Werk. Wie es scheint hat Rama seinen oppositionellen Mitbewerber mit dem Korruptionsargument, Berisha, einsperren lassen. Ohne Verfahren. Die Bevölkerung wirft Rama Korruption und Willkür vor. Einige Regierungsgebäude sollen gebrannt haben. Uahhhh, so arg, wenn man grad da war und weiß wo das alles ist.
    Bevor wir uns wieder auf den Rückweg machen, ich werde wieder wie ein Alien angeschaut in meinem Radlgwand 🤣, suchen wir uns einen hübschen Gastgarten. Nach einer hervorragenden Jause sausen wir durch die Felder wieder zurück. Wir haben beschlossen, dass wir heute noch auf den Berg hinauffahren. Das heißt morgen erwartet uns der höchste Berg Kosovos.
    Wir treffen die Schweizer am CP, die heute die Straße dahin erkundet haben. Leider glauben wir ihnen, die von gut ausgebaut und unproblematische Schotterpiste sprechen. Den Grant, den Franzi hat, als wir mühselig hinaufwackeln, lasse ich hier aus 🤣🤣🤣.
    Jedenfalls fällt unser Kleiderschrank quasi auseinander und ich verbringe die Fahrt am Bett sitzend mit Halten. 🙈
    Stockfinster ist es als wir ankommen und wir stellen uns auf die nächste ebene Stelle, trinken eine Flasche sehr feinen kosovarischen Wein und schauen uns Bauer sucht Frau an. Internet gibt es keines, aber der Fernseher geht. 😁😁😁
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