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- Day 101
- Friday, November 1, 2024 at 5:23 PM
- ⛅ 16 °C
- Altitude: 661 m
SpainMouricios42°37’30” N 7°49’37” W
Zielsichtung

Passend zu Halloween habe ich mich einen Tag verspätet als Retro-Perspektive verkleidet. Etwas Furchterregenderes gibt es doch auch kaum, als rückblickend etwas auszuwerten und dann festzustellen, das bereits einige Erinnerungen und Bilder aus dem überfüllten Gedächtnis Portfolio verschwunden sind.
Es ist zu offensichtlich, ich hinke mit dem virtuellen Tagebuch mal wieder etwas hinterher. Nützt nichts, sich davon freizusprechen. Dabei ist es mit dem Schreiben, wie mit vielem anderen gleichauf. Ist ein "Muss" in die Rinde geritzt, wird aus Zwang ganz sicher kein Motivationszweig herauswachsen.
Fest steht jedoch, dass das Verlassen der vorherigen Route die absolut richtige Entscheidung gewesen ist. Im Gegenteil zum Bereuen, war ich daher zufrieden und mit mir selbst im Reinen. Du merkst, nach nur drei Monaten erweiterte ich meinen Wortschatz sowie das heimische Emotionsvokabular.
Wenn du das Alleinsein schätzt und einen traurigen Gefallen an aussterbenden Dorfsiedlungen hast, bist du auf dem Camino Inverno genau richtig. Gerade einmal vier andere Pilger traf ich auf diesem Weg und wenngleich es häufig an durchaus gefährlichen Straßen entlang ging, so waren die Aussichten und geschlungenen Pfade durch die Canyons ein beeindruckendes Schauspiel von Ursache, Natur und Wirkung.
Auf den kargen Felslandschaften duftet es immer wieder nach einem Zitrus-Busch, zu dem ich den allwissenden Google mehrfach um Rat gebeten habe. Mit betörender Signalfarbe wachsen dann noch die verlockend schönen Erdbeeren oder Litschis, von denen mir in den Weiten des Internets geraten wird sie zu probieren, während die Anwohner eher Gegenteiliges empfehlen.
Da es ein Pilgerweg ist, nehme ich mir ein Beispiel an der Bibel und lasse mich lieber nicht von der roten Frucht in Versuchung führen. Das ging wohl angeblich schon einmal schief.
Mein vertrautes Zelt findet Abends zwischen durchgängigem Hundegebell, Flutlicht beleuchteten Industrieanlagen und aufgegebenen Wohngegenden seinen angestammten Platz. Viele der restlichen Anwohner weisen dich in den Städten immer wieder freundlich auf den rechten Weg zurück, zeigen Interesse und sprechen hier und da sogar die Artikelreiche Heimatsprache.
Nach nur wenigen Tagen verschwindet bereits die dreistellige Zahl auf den übergroßen Findlingen, der Wald erobert das Gelände zurück und teilt sich das unebene Reich im harmonischen Einklang mit den farbenfrohen Weinreben. Die routinierten Tagesabläufe verstreichen im Zeitraffer, bis dir dann plötzlich gewahr wird - die nächste Stadt in Sichtweite, ist das angestrebte große Ziel Santiago. Also schnell ein flinker Kostümwechsel zur Prospektive. Dem Blick in die Zukunft und nach vorn.Read more