• Federstreich
Jul – Nov 2024

Seelenpfade

Eine Pilgerreise in die Vergangenheit. Read more
  • Trip start
    July 24, 2024

    Aufbruchstimmung

    July 24, 2024 in Germany ⋅ ☁️ 21 °C

    Lieber Bruder,

    zumeist startet alles mit einer simplen Idee. Einem knisternden Zusammenspiel unserer Synapsen, aus dem sich grandiose Vorstellungen vor unserem inneren Auge auf großer Leinwand widerspiegeln. Letztlich, so glaube ich, entsteht dadurch entweder ein tollkühner Plan oder einfach ein vergänglicher Tagtraum.

    Dieser Weg, - diese ungläubige Pilgerreise, ist ebenfalls auf solch eine Art erschaffen worden. Aus einem Gedanken heraus. Vielleicht auch aus einem fragwürdigen Grund. Denn weißt du, wenn man einmal für den Bruchteil einer Sekunde so etwas wie Glückseligkeit gespürt hat, dann läuft man diesem einen Gefühl nach Jahren der Depression wie ein winselnder Hund hinterher. Ganz gleich wie sehr er zuvor vom Leben geknechtet, enttäuscht und mit hölzernen Ruten verdroschen wurde.

    Da du dir gern ein paar meiner Gedanken auf Papier gewünscht hast und ich meinen Rucksack mit Vorliebe so leicht wie möglich halten möchte, versuche ich dir hier - dann und wann, meine Eindrücke im Tagebuchformat zu hinterlassen.

    Sei dir jedoch versichert, dass die meisten Geschichten aus meinem Mund von keinem Happyend geprägt sind. Selten kommt darin ein glorreicher Held vor, der seinen Ängsten mit Schwert und Schild begegnet und auch die sanfte errettende Stimme in finstren Stunden wird wahrscheinlich kaum in der Ferne zu hören sein.
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  • Stolpersteine

    July 28, 2024 in Germany ⋅ ⛅ 16 °C

    Die ersten Tage sind mittlerweile vorüber und an der zitternden Erwartungshaltung ist nun die zerbrechende Ernüchterung im Eiltempo vorbeigezogen. Allerdings ist es doch meist so, wenn die eigenen Ansprüche und Erwartungen nicht erfüllt werden oder sich Ideal-Pläne in Luft auflösen, weil etwas dazwischen kommt. Ich denke, du kannst das mehr als jeder andere nachempfinden.

    Auf der Karte siehst du ganz gut was ich meine. Erst aufgrund der wankelmütigen Knie und einzelnen Wehwehchen langsam vorangekommen, dann dank körperlicher Gebrechen zur Auszeit verdonnert.

    Ich mache also eine kleine Sightseeing-Tour durch meine Heimat, lerne ein wenig Arnstadt und die Notaufnahme in Saalfeld kennen. Auch Rottenbach muss erwähnt werden, denn nur hier konnte ich es schaffen, die Bahn vor meiner Nase zu ignorieren, um eine zusätzliche Stunde Zeit zum Nachdenken zu bekommen.

    Seitdem ich aufgebrochen bin, habe ich jedoch auch zugleich so viel Freundlichkeit und Hilfsbereitschaft erfahren, wie gefühlt nie zuvor. Vielleicht, weil ich sonst zu sehr im Alltag gefangen und meist nicht darauf angewiesen bin. Oder weil ich einfach zu wenig mit den Menschen rede...

    Kostenlose Unterkünfte, Gartenlauben zum Schlafen, freies Essen und Trinken, liebe Worte und ehrlich gemeinte Segensgrüße. Das alles zeigt eine Seite der Menschheit, die zumindest bei mir - schon lange in Vergessenheit geraten ist.

    Durch einzelne Gespräche ist mir auch aufgefallen, dass diesen Weg so unbeschreiblich viele Personen gehen wollen. Vom hochrangigen Arzt bis hin zur Rentnerin. Dadurch entsteht eine Art Verbundenheit und Sympathie ohnegleichen. Ob das bereits im Mittelalter so gewesen ist?
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  • Vertraute Wege

    July 30, 2024 in Germany ⋅ ☀️ 24 °C

    Anfangs sprachen wir ab und an über Ängste und Befürchtungen, erinnerst du dich?

    Obgleich der riesengroßen Auswahl von Panikzuständen bei A wie Ausschlag, bis Z wie Zahnschmerz, war eine große Sorge tatsächlich die Wegbeschaffenheit. Es hat sich schnell bewahrheitet, dass die meisten Streckenabschnitte aus grundsolidem Asphalt, kernigen Forststraßen, hartem Beton und freilich auch aus Schotter bestehen. Darauf war ich gewissermaßen eingestellt und doch schlaucht es schon jetzt ungemein.

    Was beim Begriff Forststraße nicht fehlen darf, ist natürlich der Rennsteig. Wohl einer der ältesten, bekannten Wanderwege Deutschlands und zugleich die Strecke, auf der ich damals den ersten Schritt aus der Melancholie und dem Nichtstun gesetzt habe.

    Bis auf ein paar Highlights, ist mir dabei jedoch nicht mehr viel in Erinnerung geblieben. Gut, der Borkenkäfer hat sicher auch ein wenig dazu beigetragen, die Bilder im Kopf etwas zu verschleiern. Das typisch weiße "R" ließ mich trotzdem an viele denkwürdige Momente zurückblicken.

    Außerdem mag ich diesen traurigen Charme des alten Thüringer Dorflebens. Du siehst verblasste Window-Colour Bilder an Fenstern, Gardinen - welche wahrscheinlich seit 20 Jahren nicht mehr verschoben wurden oder diese kleinen Kaugummi-Automaten, bei denen ich mich nach wie vor frage, wer die Teile wieder auffüllt. Geschweige denn sie kauft. Alles ist, als stünde die Zeit still und nach Corona trifft das leider auf viele Betriebe hier nun für immer zu.

    Etwas weiter, kurz hinter Lichtenfels, rufen mir zwei nette Niederländer zum ersten Mal ein "Buen Camino" zu. Guten Weg.
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  • Mosaik

    August 2, 2024 in Germany ⋅ ⛅ 22 °C

    - Nebengedanken Teil 1 -

    Vielleicht fragen du und der Rest der Geschwisterbande sich ein manches Mal, warum ich eigentlich so bin, wie ich bin.

    Desinteressiert, gleichgültig, fehlend. Anteilslos am Familienleben, ausweichend, kurz angebunden. Schwindend sprunghaft.

    Ich schätze, diese Frage ist mein Hauptantrieb, weshalb ich ein Reisetagebuch für dich anfertigen möchte. Nicht als eine Art Rechtfertigung für mein Wesen, sondern eher als klapprig marode Verständnisbrücke.

    Dazu entführe ich dich zunächst in die Zunft der ehrenwerten Bauherren und Handwerker. Denn anfangs wird dringend eine Fassade gebraucht. Eine möglichst flexible, mit verschiedenen Anstrichen. Bunt kann sie sein, blass und auch in grell. Je nachdem, was gebraucht wird und was gerad' von Nutzen ist.

    Jedoch kann der graue Zement noch so dick gespachtelt, die Risse im Fundament mit den dicksten Beschlägen versehen und die Arbeit von den Besten ihrer Art verrichtet werden. Kein Bauwerk ist für die Ewigkeit.

    Wenn schließlich das facettenreiche Fensterglas in der Mauer zu zerspringen beginnt und du mit bloßen Händen versuchst, die Scherben wieder zusammenzufügen, nur um ein Stück Vertrautheit wieder zu reparieren, bleiben am Ende dennoch nichts als blutige Narben und verschmierte Mosaiksteine verlorener Momente zurück.

    Wie es dazu kam und was aus dem Scherbenhaufen wurde, erfährst du an anderer Stelle...
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  • "Ego autem"

    August 6, 2024 in Germany ⋅ ☀️ 19 °C

    Ich aber... Ich, Ich. - Ich! ...

    ...ich habe Rothenburg passiert. Den ersten größeren Tourenabschnitt vor dem in der Ferne liegenden Ulm.

    Sicher könntest du spontanen Gefallen an der urigen und mittelalterlichen Stadt finden, wie sie noch heute von ihrer begehbaren Stadtmauer geschützt ist. Durch Bilder könnten Sehnsüchte und überaus begierige Reiselust geweckt werden.

    Doch Bilder, die gibt es nicht. Zumindest nicht hier und keine, von öffentlichen Plätzen. Denn das übernehmen andere Menschen. Auf anderen Plattformen und einsehbaren Podesten. Personen, die es schaffen, ihr eigenes Ego durch Social Media zu stärken. Die sich im Mittelpunkt einer Gesellschaft in Szene setzen, während der Alltag und das geschäftige Tagewerk um sie herum geschehen. Für ein Like. Für etwas Dopamin im kolossalen Kortex.

    Dass ich es penetrant und albern finde, weißt du, seitdem ich dieses eine Pseudomodel breitbeinig auf einem Steg habe posieren sehen. Doch was nehme ich mir eigentlich von jenen als Unterschied heraus?

    Alles, was wir machen, wonach wir streben und was als unser Ziel deklariert ist, hat zweifelsfrei bereits jemand anderes erreicht. Auf härteren Wegen, mit größeren Herausforderungen, in schnellerer Zeit, in höheren Höhen oder mit unbeschreiblicher Willenskraft.

    Was macht uns als Individuen also besonders, wenn wir nicht der oder die Beste in etwas sind? Wenn wir der breiten Masse von Schafen nur hinterher trotten, dabei aber weder den Stab, noch den Hirten oder den Boden unter unseren Füßen erkennen können?

    Wie finde ich die eigene Balance in der Seele und ersticke das Ego genügend mit der Plastiktüte, damit es gerade noch genug Luft zum Atmen hat?
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  • Ulm

    August 11, 2024 in Germany ⋅ ☀️ 29 °C

    Alles hat seinen Reiz, seine Zier und endlos Güte. Im Schlechten, wie im Guten. In jedweden Bereich, im Leben und im Sterben.

    Bezogen auf größere Städte, deren Ausläufer und verwinkelten Innenleben ist es ganz ähnlich. Während sich berufliche und genussvolle Möglichkeiten sammeln und tummeln, begrenzt sich zugleich der persönliche Freiraum, die unberührte Luft zum Atmen und nicht zuletzt der hauchdünne Schleier unserer privaten Eigenheiten. Deswegen könnte ich auch nie wie unsere Schwester - Berlin, Rostock oder Hamburg als Rückzugsort erwägen.

    Doch gerade hier wird - mehr als anderswo, noch etwas anderes sichtbar, etwas, das sonst eher selten durch das Licht der Morgendämmerung auf unsere Netzhaut geworfen wird. Es ist die Schere eines unermüdlichen Schneiders. Lang ist sie und trennt mit unsagbar scharfer Klinge. Sie reißt die marginale und zerfranste Naht von Arm und Reich erbarmungslos auseinander.

    Sie schafft dabei eine wirre Kluft, einen gewundenen Canyon in dem der Wind von banger Demut, Unbehagen und schlichter Ignoranz aufgefächert wird.

    Wie gehst du damit um, wenn du einen Bettler siehst? Würdest du mir etwas zustecken, während ich auf der steinernen Treppe kniend um Zuwendung bitte?
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  • Kons(ch)tanz

    August 19, 2024 in Germany ⋅ ☁️ 20 °C

    Es ist die Stadt, auf die ich mich im visionären Vorfeld am meisten gefreut hatte. Allein des schönen und klangvollen Namens wegen.

    Mittelalterlich anmutend, wahrscheinlich wichtiger Dreh - und Angelpunkt der damaligen Handelswelt und für mich, die letzte begleitende Grenzlinie zur eigenen Heimat. Denn Deutschland verlassen, das habe ich bislang nur sehr selten.

    Mit dem folgenden Übertritt in die Schweiz stellt Konstanz daher mein aktuelles Tor zur Welt dar. Und diese neue Welt ist irrsinnig interessant, eindrucksvoll und aufregend.
    Oh, und teuer.

    Bereits einen Tag später lerne ich die ersten richtigen Pilger kennen. Nur zwei Tage später machen die Beine wieder das, was sie sollen. Ein Übertritt, der Veränderungen mit sich bringt und diesmal sogar durchweg positive.
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  • Ah, du sprichst Hochdeutsch...

    August 23, 2024 in Switzerland ⋅ ☀️ 22 °C

    ... than let's talk in english please!

    Von leichten Verständnisproblemen und morgendlichen Grummelleien der Ansässigen einmal abgesehen, ist die Schweiz für mich vor allem zu einem landschaftlichen Phänomen geworden.

    Alles, was das sehnsüchtige Wandererherz begehren könnte, ist hier vorhanden. Von grau erklimmbaren Nebelwänden, über tief verschlungene Waldpfade, bis hin zu türkis schimmernden Bergseen, bei denen sich wohl ein Narziss niemals lösen könnte.

    Selbst im Sommer schmecken manche Brötchen dank Rosinen, Anis und Zucker nach Weihnachten, wodurch ich mich unweigerlich Frage, wie es in diesem Land erst zur kalten schneebedeckten Jahreszeit hergehen muss.

    Mir fallen freilich auch ein paar Unterschiede auf. Während glückliche deutsche Eltern zum Beispiel die Namen ihrer Nachzügler auf die Heckscheibe der Autos kleben, gibt es hier ähnlich kitschige Bilder aus Holz, welche an den Häusern angebracht werden. Tankstellen sind bislang viel kleiner. Müll hat einen respektableren Stellenwert und Pfand ist aufgrund der höheren Eigenverantwortung auch nicht notwendig.

    Sicherlich sind das alles Dinge, die dich vielleicht weniger interessieren. Doch ich bemühe mich, es hier zu genießen und bei diesem Versuch befinden sich meine Gedanken seit langem einmal nicht in einem maroden Karussell, das rostige Schrauben verliert oder die gleichen, einladenden Lügen aus dem blechernen Lautsprecher erschallen lässt.
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  • Schimmerglanz

    August 28, 2024 in Switzerland ⋅ ☀️ 25 °C

    - Nebengedanken Teil 2 -

    Der besagte metaphorische Scherbenhaufen birgt viele blutige Rinnsale zwischen dem Sediment. Vergangenheit, Gegenwart, Zukunft, Familie... selbst die eigene Persönlichkeit teilt sich wie ein zu kleiner Bachlauf und zerfließt letztlich nicht im rettend' klaren See, sondern versinkt in hitzig verbrannter Erde.

    Wenn du nicht mehr weißt, wer du bist. Wer du sein sollst oder möchtest, stellst du unweigerlich nicht nur dich selbst infrage, sondern auch alles andere um dich herum.

    Dir fehlt eine Ahnung von Orientierung. Der Halt im luftleeren Fall. Du blickst dich Hilfe suchend um, während deine Augen blinzelnd, verzweifelt nicht mehr als ein rettendes Kerzenlicht erhaschen wollen.

    Doch noch ehe du wieder zur Besinnung kommst, wirst du bereits erlösend umarmt. Nicht von einem Menschen, nicht von einem Wesen aus Fleisch und Blut. Es ist eher wie ein Schleier zu benennen. Einer, der dich umhüllt und der dir falsche Geborgenheit schenkt. Doch immerhin offeriert er dir etwas im Verlorensein.

    Um mich zu revanchieren, half ich diesem unliebsamen Gast, sich so wohl wie nur irgend möglich zu fühlen und schon bald verdunkelten sich nicht nur meine Gedanken, sondern auch das Dach unter dem ich Obhut fand.
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  • Düfte der Natur

    August 31, 2024 in Switzerland ⋅ ☁️ 28 °C

    In den damaligen Therapiegruppen gab es ab und an kleinere Wahrnehmungsübungen und Spiele. Sachen im Sinne von: "Was löst diese Musik in dir aus?" - "Was fühlst du, wenn du mit deiner Hand über ein Stück Stoff streichst?" - "Welche Geräusche hörst du gerade im Raum?"

    Damit konnte ich offen gesagt nie viel etwas anfangen. Es schien belanglos. Unzugänglich, wie der gescheiterte Versuch an einem Greiferautomaten, der zwar dein Geld einsackt, dich aber anschließend verdutzt und mit leeren Händen an der Plexiglasscheibe stehen lässt.

    Klar lösen Dinge und Aktionen etwas in uns aus, doch inwieweit wir uns darauf einlassen, uns wie ein Bollwerk verschließen oder es gänzlich ignorieren, ist am Ende allein uns selbst überlassen. Und ich bin ein Ignorant.

    Beim in sich gekehrten Wandern jedoch, ist mir schon in Deutschland aufgefallen, dass der Geruch etwas mit mir macht. Nicht der eigene beißende Gestank, sondern eher der, in der Natur und auch in den Städten.

    Frisch geformter Teer auf den Straßen lässt mich unweigerlich an meine Heimatstadt denken, - an den Weg zum dortigen Bergbad an heißen Tagen. Kiefer und Fichtennadeln wirken beruhigend, vertraut und urig auf mich. Wie zu dem Moment, als ich als Kind unter dem Weihnachtsbaum saß. Ja, ich weiß, das ist eine Tanne. Zumindest ein Nadelgehölz.

    Salbei, Seeluft, Regen... Zum Ende der Schweizer Etappe, waren es die Gerüche, die mich täglich zur nächsten Grenze begleitet haben. Denn während du dies hier liest, erreiche ich die prunkvolle Stadt Genf, über der schon jetzt, eine beinah sichtbar rosa Parfümwolke schwebt.
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  • Eintausend

    September 2, 2024 in Switzerland ⋅ ☀️ 24 °C

    Eintausend Kilometer - oder etwas bei 1.302.507 Schritten. So ziemlich ein Drittel des Weges ist bereits vorüber und als ich in den sonnen überfluteten Morgenstunden Nyon erreiche, komme ich ins Grübeln und Reflektieren. Gibt es teilbare Weisheiten und gewonnene Erkenntnisse aus den letzten Tagen?

    Ich habe irrsinnig viel gesehen und erlebt. Mehr, als es mir im bloßen Alltag irgend möglich wäre. Habe harmonische Chormusik in heiligen Hallen gehört, bin durch Säulen und Gemäuer gegangen, älter, als wir beide es jemals zusammen sein könnten.

    Habe in Gesichter geblickt, deren Münder ihre eigenen Geschichten wiedergaben und deren Worten ich sehr gerne lauschte. Zumindest zu einem Teil. Für eine kurze Weile, denn wie so oft im Leben, ist es nur ein flüchtiges Treffen und ein rasch folgender Abschied.

    Das, was ich dir bislang mitgeben kann, ist wahrlich nicht viel. Doch es ist eine Sache, an der ich selber akribisch arbeiten mag. Wer weiß, vielleicht bringt sie mich in meiner eigenen Persönlichkeit, genau wie meine tragend Füße, ein Stück weit voran.

    Stolpere keinen Idealen hinterher, die nicht deine eigenen sind. Lass dich von ihnen inspirieren, motivieren und dich gern wie tosender Wind im Segel antreiben, aber finde dein eigenes Tempo auf dem weiten Meer. Deinen eigenen Trampelpfad im Dasein.

    Noch bevor ich diese Reise antrat, gabst du mir zweitausend Kilometer, ehe ich abbrechen würde. Weißt du noch?

    Gib mir ein paar weitere Wochen Zeit, um mich an dieses Limit heranzutasten.
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  • Gastfreundschaft

    September 6, 2024 in France ⋅ ⛅ 24 °C

    Während mir die bezaubernde Schweiz mit ohrenbetäubenden Paukenschlägen und in ärgster Manier ihre unbestechliche Schönheit in den Frontallappen gehämmert hat, schwingen in Frankreich eher sanfte Harfenklänge durch den gewundenen Gehörgang.

    Dekorativ geschmückte Dörfer, geduldig zuhörende Anwohner und schweißtreibende Höhenmeter. Es ist beinah so, als würde der aktuelle Streckenabschnitt mir Zeit zur inneren Besinnung geben. Kaum Pilger unterwegs, zumindest habe ich von einem abgesehen, keine anderen getroffen - fürs Wildcampen sind es paradiesische Zustände und allen voran, ist die Gastfreundschaft und Freundlichkeit das oberste Sahnehäubchen auf der gewaltigen Erfahrungstorte.

    Um dir einen kleinen Einblick zu bieten, möchte ich dir von einer Familie erzählen, die mir erlaubte mein Zelt im Garten aufzuschlagen, als Tropfen um Tropfen vom Himmel fiel. Kaum stand die mobile Behausung, folgte die Einladung zum unsicheren Gespräch, Bier, Kuchen und zwei saftigen Tomaten.

    Drei Tage später vergesse ich meine stockartigen Ersatzbeine an einer Apotheke. Als ich zurückkomme, hat diese bereits geschlossen. Der nette Besitzer kommt aus einer Seitentür, überreicht mir meine Stützen und ruft ein Deutsches "Auf Wiedersehen" hinterher. Autofahrer, die mir den Daumen entgegenstrecken, für das was ich tue. Nicht den Mittelfinger, weil ich auf der Straße latsche.

    Nach all diesen Begebenheiten frage ich mich; warum hatte ich all die Jahre Angst vor Sprachbarrieren, wenn Kommunikation doch so vielfältig ist?
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  • Zusammenleben

    September 13, 2024 in France ⋅ ⛅ 8 °C

    - Nebengedanken Teil 3 -

    Die Sichtweise von Optimisten ist beneidenswert. In der tiefen, stockfinstren Nacht, erhellen die leuchtenden Sterne den Himmel. Selbst im verborgensten Tunnel durchbricht am Ende der fade Schein die Staubschicht und ein einzelnd brennend' Licht, kann den Raum mit aller nötig Hoffnung durchziehen.

    Der zuletzt hereingelassene Gast fand recht schnell großen Gefallen an mir und während im Gleichzug die Prozentzahl der eigenen Gesundheit rapide abnahm, labte er sich mit Genuss an Botenstoffen und meiner schwindenden Lebensfreude.

    Schon bald war der Wunsch nach Abgrenzung plötzlich stärker geworden als die bloße Anziehungskraft zweier Magnete.

    Denn in der schweigenden Isolation, gibt es niemanden, der einem dazwischenredet.

    Versteckt unter Bettdecken, die mir den persönlichen Sargdeckel mimten oder in kochenden Badewannen, die zumindest etwas Wärme gaben, wurde das beschauliche Spielfeld auf dieser weiten runden Erde zu einer Winzigkeit reduziert.

    "Alles nur eine Phase, das geht vorüber. Geh zur Arbeit, das lenkt dich ab. Ab nach draußen mit dir - mach mal Sport. Sieh mal hier die Landschaft, ist doch alles nur halb so schlimm. Du brauchst 'ne kleine Auszeit, mach doch mal Urlaub in Baden-Württemberg."

    Schwierig, unter Menschen tragbar zu sein, wenn der Blick nur auf die wackligste Kante eines Hochhauses gerichtet ist.

    Schwierig, sich zu bewegen, wenn dich deine gesamten Emotionen als einzelne Eisenkugel wie ein Anker nach unten in die Tiefe zieht.

    Schwierig, Schönheit zu sehen, wenn auf einmal alles Schöne in der Vergangenheit zu liegen scheint.

    Eine Kerze mag den Raum hell durchfluten, doch irgendwann schmilzt das Wachs zu einem trostlosen Klecks zusammen. Ist der gewundene Tunnel erst einmal eingestürzt, dringt auch kein klares Licht mehr hinein und selbst die Sterne, sind durch eine bedrohlich wirkende Sturmfront nicht immer frei zu erkennen.

    Ganz schön hier, aber waren Sie eigentlich schon mal depressiv?
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  • Seitengassen

    September 16, 2024 in France ⋅ ⛅ 12 °C

    Das, was ich mir ursprünglich unter Konstanz vorgestellt hatte, tat sich mir schließlich ein paar hundert Kilometer später in Le Puy-en-Velay auf.

    Seitengassen, in denen ich mich gern der drehenden Orientierungslosigkeit hingab. In denen schmucke Fahnen und Dekorationen für ganz wunderbare Gefühle von Heimlichkeit sorgten. Es wirkte auf mich beinah wie ein lebendig gewordenes Kunstwerk aus einer anderen Epoche oder zumindest so, wie eines dieser sprechenden Gemälde aus dem Harry Potter Universum.

    Eine Kurve, über die Kreuzung hinweg, an der steinernen Wand entlang und auf einmal stehst du vor der Kathedrale, deren Stufen ein letztes Hindernis zu Gottes irdenen Pforte darstellen.

    Ich weiß, so langsam wäre es ohnehin an der Zeit, das Thema Glauben, Kirche und den Allmächtigen in die Geschichte mit einfließen zu lassen. Nur leider fühle ich mich unwohl dabei, meine persönliche Meinung gemeinsam mit einer großen Prise angesammelten Halbwissens in einem Cocktail-Shaker zu mixen und das Ganze in einer viel zu großen Suppenschüssel zu servieren.

    Daher erzähle ich dir einfach, dass ich in den frühen Morgenstunden die französische Pilgermesse besucht habe und nach beinahe zwei Monaten des Alleinseins, für einige Momente in angespannter Schockstarre verharrte, als sich das steinerne Bollwerk zunehmend mit interessierten Teilnehmern und Mitpilgern füllte.

    Wenn ich überlege, dass dies die gesamte Woche über stattfindet, schwirrt mir der Kopf mit einer mathematisch surrealen überschlagenen Zahl an plötzlich aufgetauchten Menschenwesen. Im Leben war ich noch nie gut in Mathe, jedoch treffe ich nach der Gleichung von nun an täglich etwa dreißig bis vierzig Leute...

    Eine ziemlich krasse Umstellung im Vergleich zu den vergangenen Kilometern, doch einzelne bemerkenswerte Persönlichkeiten erleichtern mir diesen Übergang ungemein und zeigen mir viele neue Perspektiven auf. Ich verstehe mich gut mit ihnen, wenngleich auch nicht auf Französisch.

    In den späten Nachmittagstunden wird es wieder gewohnt ruhig auf dem Weg und da der mürrische Herbst schon lange dabei ist, seinen farbenprächtigen und zugleich tödlichen Einzug zu halten, stehe ich aktuell mit der Sonne auf und verschwinde mit ihrem Untergang im vertrauten Zelt.
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  • Stimmungsschwankungen

    September 28, 2024 in France ⋅ ☀️ 14 °C

    Oha, schon beinahe kurz vor knapp. Das virtuelle Tagebuch ist am Verstauben und erlebte Momente finden bereits seit Tagen keinen wortreichen Platz mehr in der langatmigen Lektüre.

    Seit meinem letzten Eintrag sind viele Kilometer ohne Lebenszeichen verstrichen und das ist vor allem meiner aktuellen Stimmung geschuldet. Ich bin knartschig. Grantig, mit zusammen gezogenen Augenbrauen. Grummlig und schlichtweg in einer missgünstigen Laune.

    Unweit nach Le Puy hat sich meine emotionale Befindlichkeit, wie die abgebrochene deutsche Wirtschaftskurve schnell nach unten wegbewegt.

    Sollte noch ein Mitpilger seinen euphorischen Senf dazu abgeben, wie malerisch dieser Weg doch sei und was für eine ganzheitliche Bereicherung diese Wanderung mit sich bringt, dann breche ich seinen bedeutungsvollen Wortschwall mit sämtlichen Süßigkeiten, die ich im Rucksack mit mir schleppe und stopfe ihm damit beide Backen.

    Keine Angst, - ist diesmal wirklich nur eine Phase. Vor körperlicher Gewalt habe ich außerdem schon immer zurückgeschreckt.

    Versteh mich bitte nicht falsch, es gab schöne Highlights, wie das pittoreske Dorf "Conques" oder den langgezogenen Landschaftsteil mit der Viehwirtschaft. Doch ansonsten ist es, zumindest für mich, eher arg bescheiden.

    Nach einer ziemlich lustlosen Woche wollte ich mir dann selbst entgegenwirken und steuerte hoffnungsvoll auf ein beschauliches Kloster zu. Endlich ein sauberes Bett, eine Mahlzeit, die nicht aus nur aus Croissants, French Fries und Sandwiches besteht und vielleicht, ja nur vielleicht, gäbe es sogar die Möglichkeit, meine Sachen zu waschen.

    Eigentlich traf alles zu.

    Doch dann befand ich mich plötzlich bei Kammerbewohnern, die mich so unbedingt gern an ihren Schnarchgewohnheiten teilhaben lassen wollten, dass ich beinahe zwischen zwei Optionen wählen wollte. Im passenden Moment ein Kissen auf den tonalen Ausgang drauf zudrücken oder doch eher den Notarzt zu verständigen. Nach dieser Nacht war die Gesamterfahrung mit einem simplen Fingerschnips wieder zunichtegemacht.

    Gaststuben, wo sich das Wasser in Schubfächern sammelt, während es von der Decke tropft. Schlecht gewählte Zeltplätze, Regentage, Asphalt und steinerne Wege gaben dann noch ihren seligen Rest zu dieser explosiven Mischung mit zu kurzer Lunte hinzu.

    Ich weiß natürlich, dass meine Wut in die falsche Richtung gelenkt wird. Hätte' ja schließlich auch woanders schlafen können. Ich weiß, dass es wahrscheinlich nur der Neid ist, der aus mir spricht, denn mit einer anderen Einstellung hätte ich vielleicht längst die Offenbarung meines Lebens erfahren. Doch ich weiß auch, dass ich garstig sein darf und das es ab und an einfach mit dazu gehört.
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  • Vergangene Architektur

    October 2, 2024 in France ⋅ ☁️ 16 °C

    Der Wunsch endlos nach oben zu thronen, gen fernen Himmel zu ragen und auf filigrane Weise empor zu steigen.

    Mein Wissen über alte Baukunst ist arg beschränkt, aber so wurde mir die Zeitachse der Gotik beschrieben. Während mir als ein Paradebeispiel dieser Meisterarbeiten dafür nur der Kölner Dom mit seiner dunklen Farbpalette in Erinnerung schwebt, fühlte ich mich in der Kathedrale der Stadt Condom beinah hell auf beseelt.

    Steck dir dein Grinsen ein und verkneife dir einen unpassenden Spruch, denn ja, die Stadt heißt wirklich so und nein, es gibt neben dem Namen keine anzüglichen Verbindungen oder Relationen. Das soll auch gar nicht das Thema sein.

    Ich hatte dich einmal gefragt, ob du glaubst, dass wir in unserem Dasein noch ein Zeitalter der Renaissance, eine kreative und aufbrechende Epoche erleben würden. Deine Antwort darauf war ziemlich klar und sehr eindeutig zu verstehen. - Nein.

    Sicherlich liegt die Schönheit aller Dinge dieser Welt im Auge des Betrachters. Verborgen, im überfüllten Wimmelbild oder offensichtlich, in der richtig gebrochenen Perspektive. Gewiss gibt es Menschen, die sich an modernen Strukturen erfreuen und einen kreativen Mehrwert in scheinbar banalen Skulpturen oder Bauwerken aus stabilem Beton und gekräuseltem Metall ziehen können.

    Mir selbst gefällt diese Art von Kunst kein kleines bisschen. Jedoch, dieses alte Kirchenschiff mit den grauen, lichtdurchfluteten Fenstern, den melancholischen Figuren und Bögen...

    Denk dir einmal, wie viele dutzend Träume auf abgenutzten Papier und in schweren Stein einstürzen mussten, ehe Bauherren aus Erfahrung wussten, wie nah man dem Himmel kommen darf. Nach all diesen Niederschlägen etwas Graziles, halbwegs beständiges zu erschaffen - kannst du da nicht auch gewisse Parallelen zum Leben ziehen?

    Ich versuche es zu versuchen. Nicht immer klappt es und die steinigen Wege der Vergangenheit, plagen mich nur zu häufig mit ihren spitzen Kieseln auch weiter in der Gegenwart.
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  • "Wie geht's dir?"

    October 5, 2024 in France ⋅ ⛅ 21 °C

    - Nebengedanken Teil 4 -

    Da war die garstige und kratzbürstige Katze also endlich aus dem Sack. Der reichhaltige Tisch mit der unappetitlichen Realität gedeckt und das Spieglein an der Wand mit tiefen Furchen zum Schweigen verdonnert.

    Wenn mich jemand fragen würde, wie es sich anfühlt depressiv zu sein, dann wäre meine Antwort wohl, wie zu ertrinken. Allerdings ohne den dramatischen Höhepunkt, wo man im Akt stirbt oder sich schwindend der beruhigenden Ohnmacht hingibt.

    Wobei, ohnmächtig wirst du in gewisser Weise.

    Gelähmt im undurchsichtigen Ozean, wo Welle für Welle dich erneut nach unten zieht, während nur wenig dutzend Meter über dir, sich oberhalb der Normalnull die Sonnenstrahlen auf ganzer Flur ausbreiten. Unterdessen, im strudelnden Sog, schafft es maximal ein nachlässiger grauer Himmelsschein, deine müden Augen zu erreichen.

    Da dir bislang noch immer bestimmte kulturelle Filme fremd sind, lass es mich vielleicht so beschreiben. Es ist wie der Moment, als Boromir sieht, dass die Halblinge entführt werden und er trotz aller Ambitionen und Stärke nichts dagegen unternehmen konnte. Wie ein schemenhafter Dementor, der Hogwarts Schülern sämtlichen Frohsinn und Heiterkeit aussaugt, ohne dass sie in der Lage wären, sich ihm zu erwehren.

    Schlichtweg alles erscheint mit einem Mal belanglos und die geniale Frage: "Wie geht's dir?", landet ohne oppositionelle Gegenstimme deines Kopfes auf Seite eins des Buchs der nervigsten Dinge weltweit.

    Dicht darauf folgen in den anderen Kapiteln bröckelnde, aber eigentlich wichtige Freundschaften und soziale Kontakte. Pausenlose Dauerfahrten im kostenlosen Gedankenkarussell. Bewegungslose Schonhaltung im Winterschlafmodus.

    Vorstellungen zur Zukunft befinden sich im Epilog, denn das Ende der Geschichte steht für dich schon längst fest geschrieben und in Sandstein gemeißelt.

    Mit der verspäteten Einsicht folgte sogleich die zermarternde Erkenntnis und so beendete ich umgehend mein damaliges Tagewerk, floh von der Arbeitsstelle und befand mich nur kurze Zeit darauf in einer psychiatrischen Tagesklinik wieder.
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  • Anfang und Ende

    October 9, 2024 in France ⋅ 🌧 18 °C

    Okay lieber Bruder, es gibt so viele wichtige Höhepunkte, welche ich am heutigen Tag unbedingt mit dir zelebrieren möchte!

    Die zweitausend Kilometermarke wurde unlängst überschritten und ich habe das nächste große Etappenziel erreicht. Der Sinn des Lebens ist mir nun ganz klar offengelegt und scheint wie eine lichterloh brennende Leuchtfackel vor meiner Iris. Auch die Liebe fand unlängst Einzug in meinem zuvor so einsamen Herzen. Endlose güldene Münzen fallen aus meinem Portemonnaie heraus und selbst die kahlen Stellen an meiner Stirn tragen endlich wieder sprießende Haare. Ich liebe einfach dieses Dasein und alle Lebensformen darin, darauf und drumherum.

    ...

    Ab welchem Punkt hast du die Glaubwürdigkeit meinen Worten gegenüber verloren?

    Ich bin in Saint-Jean-Pied-de-Port angelangt. Seit Tagen laufe ich auf die Pyrenäen zu und es ist immer wieder beeindruckend, wie schnell Gebirge im Augenwinkel wachsen können, je aufdringlicher du dich ihnen näherst. Es ist meines Wissens nach die letzte Station, ehe mein Telefonanbieter mir schreiben wird, dass ich Roaming in Spanien betreibe.

    Der anfängliche Zynismus im Text hat seinen Grund. Denn weißt du, ich war zuvor nicht wirklich "gehyped" oder gab mich diesem Ort gegenüber zu unrealistischen Vorstellungen hin, aber... das?

    Es würde nun eine halbe Seite mit Genörgel, Gemecker und Geschimpfe folgen, allerdings - und das ist eine kleine Veränderung, würde es gewiss auch nichts bringen. Weder dir noch mir.

    Stattdessen höre ich auf dem Platz lieber den Reggae-Franzosen mit ihrer Maultrommel zu, weil das ja so fucki.... entspannend ist.

    Viele der Wandersleute aus Le Puy-en-Velay, beenden hier ihre Reise und ein noch viel größerer Prozentsatz beginnt sie von diesem Ort aus. Eine Pilgerorganisation verteilt den Credencial (Pilgerausweis) und stempelt schneller als jede deutsche Behörde darin herum.

    Ich bin gespannt auf die Berge und freilich auch Spanien, doch mindestens genauso viel Sorge bereitet mir als introvertierter Sonderling der Kommerz und die Anzahl von Menschen, die diesen Weg bestreiten. Ausgerechnet den Camino Frances zu laufen mag sich unter Umständen als die falsche Entscheidung herausstellen. Doch wie war das - wir wachsen an unseren Herausforderungen?
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  • Hinauf und Hinunter

    October 14, 2024 in Spain ⋅ ☁️ 15 °C

    Eine gewisse Schreibfaulheit breitet sich wie ein verqueres Vorfahrtsschild demonstrativ in meinen Gedankengängen aus. Zu sehr bin ich mittlerweile damit beschäftigt, fluffige Wolkenformen zu beobachten oder Abends einfach blindlings in die Ferne zu starren, während auf der naheliegenden Autobahn indes viele Scheinwerfer ihre gradlinigen Wege ziehen. Grillen zirpen zugleich lautstark im Chor und der seicht warme Wind fegt gemächlich über die gewundenen Täler. Es ist beschaulich friedlich und sicher kennst du das Gefühl oder diese Situation, wenn du eine bestimmte Momentaufnahme am liebsten für immer im Denkpalast abspeichern möchtest.

    Spanien also.

    Die bezaubernden Pyrenäen liegen kaum hinter mir, da überflügelt mich ein neuer Schwarm an gewaltigen Eindrücken. Ich wollte diesem Land ein wenig vorurteilsfreie Zeit verschaffen, ehe sich meine, mit Stereotypen gefüllte Schublade, zu schließen beginnt. Mich darauf einlassen und dem Ganzen offen gegenüber stehen, wie es mir die lieben Mitpilger wohl anraten würden.

    Um dem entgegen gleich mal ein vorschnelles Fazit abzulegen; es mangelt ganz klar an Toiletten. Oder am allgemeinen Regelverständnis. Dutzende Taschentücher säumen stellenweise die Wege, der restliche Müll hält sich angesichts der schieren Massen noch in Grenzen - wohl auch zum Dank einiger freiwilliger Unterstützer und alles in allem, ist es einigen Anwohnern mittlerweile einfach nur zu viel des Guten. Verständlicherweise.

    Im berühmten Kloster von Roncesvalles bekam ich bereits einen ersten Eindruck von der Beliebtheit dieses französischen Jakobswegs und bin den dortigen niederländischen Ehrenhelfern noch immer dankbar für die Gespräche und Zuweisung eines Zeltplatzes neben dem alten Gemäuer.

    Kontrastreich. Ich denke, dieses Wort trifft es ganz gut. Zwischen florierenden Weinreben und dem Kampf nach Unabhängigkeit, zwischen stinkendem Tourismuspfad und angehender Dystopie. Okay, das ist sicher ein Müh' übertrieben, aber manche Orte und Gegenden wirken auf mich recht verwahrlost und heruntergekommen.

    Dafür spielen Lebensfreude und die Gemeinschaft untereinander zugleich eine große Rolle. In den Restaurants und Bars kommen spätestens am Abend viele Anwohner zusammen und halten energische Gespräche ab. Hier sehe ich dich vor meinem inneren Auge sitzen, wie du mit deinem Laptop an skurrilen Skripten arbeitest und dir einen Milchkaffee nach dem anderen orderst.

    Spanien. Es ist für mich das erste Land, das aufgrund seiner Vielseitigkeit oder eben seiner Kontraste Lust auf mehr macht..
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  • Prozesse im System

    October 15, 2024 in Spain ⋅ ⛅ 18 °C

    - Nebengedanken Teil 5 -

    Unsere gesellschaftlichen Erwartungshaltungen sind eigentlich ziemlich simpel. So bekommst du beispielsweise das, wofür du bezahlst. Du beauftragst jemanden und der Dienst wird erledigt. Du gehst zu einem Arzt und wirst anschließend wieder genesen.

    Klingt doch überraschend einleuchtend, oder?

    Wie du aus eigener leidvoller Erfahrung allerdings gelernt hast, weicht die Theorie von der realen Praxis so weit ab, dass die ursprünglich glückliche Vorstellung im enttäuschten Wunschdenken elendig verendet.

    Der Grundgedanke einer Tagesklinik ist ähnlich einfach aufgebaut. Die Probleme offenlegen, Einsicht schaffen, Mentalität stabilisieren und anschließend schnell zum nächsten Zahnrad im Systemgetriebe weiterschicken. Währenddessen rutscht bereits ein anderer Patient hinterher und verlangt nach neuer Justierung. Klick. Klack.

    Aufgrund unserer diversen kleinen Eigenheiten als Persönlichkeit, ist daher ein gewisses Maß an Feinheit erforderlich, um die richtigen Wörter und Denkanstöße im perfekten Sekundenschlag eines Metronom sowie mit einer bedeutungsschwangeren Tonlage dem Norm-Abweichler einzuflößen.

    Nur, mit der betörenden Psyche ist das so eine Sache. Denn die hat schon in der vergangenen Mythologie Menschen und selbst Götter um den seligen Verstand gebracht. Nicht die Ausnahmen bestätigen hier die Regel, sondern die Regel bleibt schlichtweg die Ausnahme in der Therapie.

    Vielen hilft es jedoch und so zunächst auch mir. Wenn Pandoras verzierte Büchse erst einmal geöffnet ist, alle Ängste, Befürchtungen und vergangene Taten auf dem Faktentisch zum Studieren ausgebreitet sind, dann steht dem Heilungsprozess nämlich eigentlich nur noch eines im Weg.

    Dein eigenes selbst.
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  • Die Meseta

    October 21, 2024 in Spain ⋅ ☀️ 8 °C

    Durch anschauliche Dokumentationen, Blogs und unzählige Mittelalter Schundromane, wusste ich eigentlich bereits, welche gewichtigen Stationen mich auf dem Weg in Spanien erwarten würden. Gewissermaßen dachte ich sogar, dass ich dieses Mal wenigstens halbwegs vorbereitet die unkenntliche Grenze in neues Land übertreten hätte.

    Da wäre zum einen dieser bescheidene Ort, wo ein ohrenbetäubendes Konzert mit Kirchturmglocken veranstaltet wird, worüber sich die verbliebene Nachbarschaft bestimmt gewaltig freut. Zum anderen sind, etwas höher gelegen, noch diese schmucklosen und stillschweigenden braunen Metallfiguren aufgestellt, an denen sich viele Menschen rostend hintereinander einreihen, um ein passendes Erinnerungsfoto zu schießen. Oh, und nicht zu vergessen den beliebten Weinbrunnen, der das süffige Gut direkt unter den wachsamen Augen der laufenden Webcam in deinen Mund befördert, während die Liebsten zu Hause dabei euphorisch zugucken können.

    Die hier im Titel festgehalten und verewigte Hochebene allerdings, muss irgendwie auf der Nervenbahn zum Gedächtnis falsch abgebogen sein. Ziemlich merkwürdig, denn ihre Fläche ist schlichtweg riesig im geografischen Ausmaß.

    Was für die Seefahrer das tiefblaue Meer unter der brechenden Kante des Horizonts ist, sind hier die bewirtschafteten Felder und steinernen Wege. Tausende Sonnenblumen, die sich mit gesenktem Kopf bereits vor einiger Zeit ihrem liebsten Himmelskörper abgewandt haben, warten hier geduldig auf ihr abschließendes Ende. Abgetrennte Halme fungieren als Zeitzeugen einer hoffentlich reichen Weizenernte und in manchen Dörfern, fehlt auf den Straßen eigentlich nur noch ein Steppenläufer, um das Bild von Einsamkeit zu komplettieren.

    Wählst du dazu gern den strikten Weg, die effiziente Route, so ist dein treuer Begleiter die nah gelegene Autobahn. Kein allzu großes Wunder also, dass laut diversen Forenbeiträgen ein gar nicht so geringer Anteil an Pilgersleuten diesen Abschnitt des Weges ganz einfach überspringt und erst in León wieder einsteigt.

    Doch auch aus der Not und Langeweile heraus werden wir kreativ. Wenn du auf einer eintönigen Tour nicht mehr in der Lage bist, dich abzulenken, dann wird das Vogelgezwitscher zu deinem Radio, der Sonnenuntergang dein liebster Fernsehsender und der klare Sternenhimmel zur theatralischen Bühnenshow, für die du gern frierend und zitternd mitten im Nirgendwo campierst.

    Es mag gewiss kein sonderlich abwechslungsreicher Teil der Strecke sein, doch mir bot er unterwegs einen der schönsten Abende, die ich jemals in diesem Dasein genießen durfte. In guter Gesellschaft, mit lehrreichen Erkenntnissen und ja, nach Ewigkeiten auch mit einem entzündenden Funken Glückseligkeit.

    Für diese Erinnerung bin ich zutiefst dankbar und gebe mir die größte Mühe, sie nicht den traurigen Fängen der Melancholie zu überlassen. Denn wie heißt es: "Das Schöne gilt es jetzt zu genießen und nicht in der Vergangenheit."
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  • Lebensgründe

    October 24, 2024 in Spain ⋅ ☁️ 18 °C

    - Nebengedanken Teil 6 -

    Sich über die Zeit hinweg selbst zu verändern, die Gedanken in andere kreisrunde Bahnen zu lenken und das flüchtige Glück, wie auch die Hilfe von Außenstehenden einfach zulassen. Ist doch wohl ein simples Kinderspiel, wenn du endlich weißt, wo der Kern des Problems liegt, oder etwa nicht?

    Etwas reißt dich plötzlich aus dieser Wunschvorstellung heraus. Der eigene Sicherheitsgurt schnappt in aller Abruptheit zu und versperrt dir mit Luftnot die Wörter im Mund.

    Genau wie der Raucher weiß, dass dem Qualm nichts Gutes nachgesagt wird, der Säufer seine inneren Monologe pro Glas ertränkt und der Junkie sich die Spritze für einen Moment im Himmel setzt, kann auch ich irgendwie nicht aus diesem eintönigen Dunkel heraus. Je mehr Zuspruch, Lob, Bestätigung, je mehr Versicherungen und Liebe mir entgegengebracht wird, desto länger fällt einfach nur der Schatten vor mir auf den Weg und erinnert mich daran, dass mir all dies nicht zusteht. Dass es stets zu teilen ist, mit Divisor, Dividend und das im Ergebnis weniger als Null zu verbleiben hat. Denn mein Wert als Mensch ist nichtig und meine eigenen Fehler zu prägnant auf der Seele.

    Sich selbst auszutricksen, die Gedanken umzuformen, Mantren zu erschaffen und das Positive einfach über das Negative zu stellen. Klappt der erste Versuch nicht, gibst du schließlich nicht gleich auf und gehst alphabetisch die Notfallpläne aller Buchstaben der Reihe nach durch.

    Da die Depression bisweilen, ähnlich wie bei einer Rucksacktour, in Etappen auftritt, folgten in unterschiedlichen Phasen Einzeltherapien mit verschiedenen Persönlichkeiten, wöchentlich erleuchtende Gespräche, eine weitere Tagesklinik, entmachtende Tabletten und irgendwo dazwischen die mir hilfreichste Frage; "Wofür leben Sie denn eigentlich noch?"
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  • Kreuzungen

    October 27, 2024 in Spain ⋅ ⛅ 14 °C

    Im trägen Schritttempo sinkt die eingeklebte Zahl auf den Wegmarkierungen zusehends nach unten. Was das bedeutet ist ganz klar. Die anfangs unsichere Reise neigt sich nach schon bald mehr als einhundert Tagen allmählich ihrem Ende entgegen.

    In León lockte zunächst noch die Entscheidung, gen Norden auf den ursprünglichsten Jakobsweg auszuweichen und damit näher an den Bergen und imposanten Aussichten zu sein. Von einigen erfahrenen Pilgern wurde mir jedoch davon abgeraten. Das Wetter könnte sich in dieser Jahreszeit in Regengüssen äußern und dichter, klammer Nebel würde einem die Sicht versperren. Sogar Schnee auf den kahlen Köpfen der Berge wäre durchaus möglich.

    Trotz des reizvollen Abenteuers, bin ich längst nicht mutig genug, mich diesem zu stellen. Ich bleibe also vorübergehend auf dem traditionellen Pfad, verlasse eilends León und Astorga und gebe mich derzeit immer wieder der Frage hin, weshalb Spaniens Kirchen entweder verschlossen oder nur zum Preis klimpernder Münzen betreten werden können.

    Unterwegs wird die Landschaft indes etwas abwechslungsreicher. Es geht nach oben, ehe sich in Ponferada eine weitere Möglichkeit auftut, vom betriebsamen Pfad abzuweichen und diesmal ergreife ich die Chance beim Schopfe.

    Ich wechsel auf den Camino Inverno. Wohl auch der Weg, den die Pilger im Winter gewählt haben, da er klimatisch milder sein soll. Nicht der hohe Norden ist am Ende also das Ziel, sondern die gewundene Route durch Höhenzüge und weitsichtigen Täler im Süden.
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  • Zielsichtung

    November 1, 2024 in Spain ⋅ ⛅ 16 °C

    Passend zu Halloween habe ich mich einen Tag verspätet als Retro-Perspektive verkleidet. Etwas Furchterregenderes gibt es doch auch kaum, als rückblickend etwas auszuwerten und dann festzustellen, das bereits einige Erinnerungen und Bilder aus dem überfüllten Gedächtnis Portfolio verschwunden sind.

    Es ist zu offensichtlich, ich hinke mit dem virtuellen Tagebuch mal wieder etwas hinterher. Nützt nichts, sich davon freizusprechen. Dabei ist es mit dem Schreiben, wie mit vielem anderen gleichauf. Ist ein "Muss" in die Rinde geritzt, wird aus Zwang ganz sicher kein Motivationszweig herauswachsen.

    Fest steht jedoch, dass das Verlassen der vorherigen Route die absolut richtige Entscheidung gewesen ist. Im Gegenteil zum Bereuen, war ich daher zufrieden und mit mir selbst im Reinen. Du merkst, nach nur drei Monaten erweiterte ich meinen Wortschatz sowie das heimische Emotionsvokabular.

    Wenn du das Alleinsein schätzt und einen traurigen Gefallen an aussterbenden Dorfsiedlungen hast, bist du auf dem Camino Inverno genau richtig. Gerade einmal vier andere Pilger traf ich auf diesem Weg und wenngleich es häufig an durchaus gefährlichen Straßen entlang ging, so waren die Aussichten und geschlungenen Pfade durch die Canyons ein beeindruckendes Schauspiel von Ursache, Natur und Wirkung.

    Auf den kargen Felslandschaften duftet es immer wieder nach einem Zitrus-Busch, zu dem ich den allwissenden Google mehrfach um Rat gebeten habe. Mit betörender Signalfarbe wachsen dann noch die verlockend schönen Erdbeeren oder Litschis, von denen mir in den Weiten des Internets geraten wird sie zu probieren, während die Anwohner eher Gegenteiliges empfehlen.

    Da es ein Pilgerweg ist, nehme ich mir ein Beispiel an der Bibel und lasse mich lieber nicht von der roten Frucht in Versuchung führen. Das ging wohl angeblich schon einmal schief.

    Mein vertrautes Zelt findet Abends zwischen durchgängigem Hundegebell, Flutlicht beleuchteten Industrieanlagen und aufgegebenen Wohngegenden seinen angestammten Platz. Viele der restlichen Anwohner weisen dich in den Städten immer wieder freundlich auf den rechten Weg zurück, zeigen Interesse und sprechen hier und da sogar die Artikelreiche Heimatsprache.

    Nach nur wenigen Tagen verschwindet bereits die dreistellige Zahl auf den übergroßen Findlingen, der Wald erobert das Gelände zurück und teilt sich das unebene Reich im harmonischen Einklang mit den farbenfrohen Weinreben. Die routinierten Tagesabläufe verstreichen im Zeitraffer, bis dir dann plötzlich gewahr wird - die nächste Stadt in Sichtweite, ist das angestrebte große Ziel Santiago. Also schnell ein flinker Kostümwechsel zur Prospektive. Dem Blick in die Zukunft und nach vorn.
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  • Hagiolatrie

    November 5, 2024 in Spain ⋅ ⛅ 13 °C

    Ohrenbetäubende Fanfaren ertönen in der Ferne, als sie die zerlumpte Gestalt des Pilgers erblicken. Duftende Rosenblüten fallen wie sanfte Küsse vom Himmel auf deinen Kopf herab und die ansässige tobende Menge applaudiert einzig allein deines Verdienstes, hier lebendig am Ziel angekommen zu sein.

    Nein halt, warte einen Augenblick, das war nur eine Hommage an einen berühmten Film mit einem Gladiator, den du auch noch nicht gesehen hast!

    Die Wirklichkeit hingegen schnippst dir stattdessen mütterlich gegen die Stirn und scheltet dich einen Dummkopf, angesichts dieser vollends übertriebenen Vorstellung. Abseits von CGI und Filmeffekten, landest du zum großen Abschluss dieser Etappe auf dem Vorplatz einer weiteren Kathedrale und anschließend im Pilgerbüro, wenn du denn die bürokratische Bestätigung deiner Reise ausgedruckt haben möchtest.

    Hier beschreibe ich dir schließlich auf Deutsch, wie ein sichtlich genervter Spanier im Akzentreichen Englisch einer Südkoreanerin erklärt, dass sie sich an der gelben Markierung zu orientieren hat, während eine Gruppe Franzosen, drängelnd hinten ansteht. Damit ist der internationale Plot dann auch komplett.

    Ja ich weiß, der süffisante Zynismus macht es sich wieder zwischen den einzelnen Buchstaben bequem und wabert bereits wie ein unschöner Ölfleck durch die meisten Seiten hindurch. Es ist eine ähnliche Stimmung wie in Saint-Jean-Pied-de-Port zu spüren und ehrlich gesagt, zieht sie wolkengleich um mich herum, unter meinen Füßen hinweg, aber einfach nicht durch mich hindurch.

    Geht es dir beim großen Ankommen an dieser Station daher um Erkenntnisse, Epiphanie oder Katharsis, dann bin ich leider nicht der richtige Ansprechpartner für dich und empfehle dir, deine eigene Erfahrung zu machen. Denn lass mich dir sagen, es gibt diese Momente ganz gewiss für manch einen Pilger. Gruppen, die sich Beifall klatschend in den Armen liegen, Alleingänger, die weinend durch die Straßen ziehen oder auch für manch einen stillen Seitenrandbeobachter.

    Mein eigener Weg führt mich noch ein Stückchen weiter, doch mit jedem Meter wird klarer, dass schon bald die letzte Kurzgeschichte dieser Reise auf den verbliebenen Blättern ihren Platz finden wird.
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