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  • Day 56

    Liberec

    July 25, 2023 in Czech Republic ⋅ ☁️ 18 °C

    Gestern habe ich mein Zelt recht unbedacht auf einer Wiese plaziert, die ich für sehr geeignet hielt. Was mir nicht aufgefallen war, ist die Tatsache, dass genau diese Wiese eine Kreuzung verschiedener Trampelpfade ist, welche aus allen Richtungen zum Sanitärtrakt führen. Ich wohne also gerade auf dem Notdurftverkersknotenpunkt. Dementsprechend wurde ich heute früh von einer Mischung aus Flipflopgeflipfloppe und Stimmengewirr geweckt. Ich gönnte mir 10 Minuten heiße Dusche für 20 Kronen, knüpfte die langen Hosenbeine an meine Wanderhose und begab mich auf den Weg ins Zentrum von Liberec. Die 4km kamen mir vor, als würde ich auf dem Mond umherlaufen. Nicht, dass die Straßenzüge diesen Eindruck machen würden, nein das fehlende Gewicht des Rucksacks ließ mich förmlich die Treppen und kleinen Anstiege hinaufschweben. Ein großartiges Gefühl. Liberec ist optisch mit jeder deutschen Kleinstadt vergleichbar. Neubaublöcke, Siedlungen mit älteren und neuen Eigenheimen und eine Kulisse aus den typischen Supermärkten und Tankstellen. Die Innenstadt ist geprägt von alten herrschaftlichen Häusern und kleinen Gassen mit einer unglaublichen Vielzahl schöner Geschäfte. Als Tourist hier auf Entdeckungstour zu gehen, kann wirklich Spaß machen. Neben dem Martplatz befindet sich eine große Kirche, deren Tür leider verschlossen war. Wenn es mir möglich ist, besuche ich gern die Kirchen auf meinem Weg und zünde dort eine Kerze für meine Familie, meine Freunde und für ein bisschen Glück auf meinem Weg an. Kann ja nicht schaden. Da auch in Kirchen Staub gesaugt werden muss, findet man dort auch meistens eine Steckdose, um im Notfall sein Handy aufladen zu können. Ich ging zum Marktplatz, bestaunt das beeindruckende Rathaus, kaufte mir ein Stück Pizza und ließ mich am Neptunbrunnen auf einer Bank nieder. Unweit von mir sang eine Frau im Rollstuhl und mit einem beachtlichen Klankörper Lieder. Begleitet wurde sie von einem CD-Player aus dem das, mit Begleitinstrumenten überfrachtete Repertoire des Alleinunterhalters des Teufels dröhnte. Sie selbst traf mit unglaublicher Sicherheit, in der Stimmlage einer Katze mit Mundfäule, nicht eine einzige Note. Hut ab. Selbiger lag vor ihr auf dem Boden und wollte mit Münzen gefüllt werden. Ab und zu kam ein Passant und warf etwas in den Hut. Der aufmerksame Betrachter hatte hier die seltene Möglichkeit zu erleben, wie die Erwerbsquelle Straßenmusik von dieser leidenschaftlichen Wiedergeburt einer Florence Foster Jenkins auf eine andere Metaebene gehoben wurde. Ich bin überzeugt davon, dass sie sang, damit die Leute dafür bezahlten, dass sie aufhört. Spätestens bei "My hart will go on" stellten sich auch mir die Haare zu Berge. Ich entschloss mich, mein Geld nicht zum Hut, sondern zu einem Barbier zu tragen. Nach einer guten halben Stunde und dem Einsatz diverser, schwerer Haarschneidegerätschaften, sah ich endlich wieder aus wie ein Mensch und nicht wie Tom Hanks in Cast away. Zwar roch ich jetzt wie diese Zitronentücher, die man früher bei McDonald's bekam, wenn man einen MC Rib bestellte, aber ich konnte mir sicher sein, in den nächsten Tagen im Wald von niemanden im Punkt Attraktivität überboten zu werden. Blieb noch ein Problem zu lösen. Durch den fehlenden Sonnenschein der letzten Tage, hat mein Solarmodul ein Schattendasein geführt. Steckdosen gab es auch keine und so sind meine Stromvorräte auf Null gesunken. Bei einem Telefonat brachte mich meine Schwester auf die Idee einen MCDONALD'S aufzusuchen. Altersbedingt war mir die Tatsache fremd, dass es dort Steckdosen und USB Anschlüsse gibt. Super Idee, ich hatte eh Appetit auf einen MC Rib. Mein Handy hatte noch 30% und verriet mir, dass sich die Lösung meines Problems in einem Kaufhaus in unmittelbarer Nähe befand. Der Erzählstrang wird an dieser Stelle von einer Nebenhandlung barsch unterbrochen, weil mir meine Freundin Pia (damit niemand durcheinander kommt, Freundin heißt in diesem Fall Partnerin, Lebensgefährtin, Vertraute auf nicht platonische Art, also mit ausziehen und anfassen und so) weil mir also meine Freundin Pia, als ich vom Barbier zurück kam, ein Foto mehrer Personen vom Jested schickte. Sie wollte wissen, ob ich die Leute gestern gesehen habe, was ich sofort mit ja beantworten konnte. Ein kleiner Junge, welcher auch auf dem Foto zu sehen war, hatte die Anwesenden auf dem Gipfelplateau mit seiner Begeisterung für Feuerwehrmänner und einem, nicht zu überhörenden Spielzeugtelefon unterhalten. Diese Gruppe Besucher sind gute Freunde von Pia. Mir jedoch nicht bekannt, haben wir unbemerkt 2 Stunden nebeneinander gesessen, ohne zu wissen, was uns verbindet. Verrückt. Zurück aber zum Einkaufszentrum und meinem Stromproblem. Ich hatte in weißer Voraussicht ein Ladekabel eingesteckt, aber leider, wie mir im Gasthaus zum goldenen M bewusst wurde, das Ladegerät im Zelt zurückgelassen. Nur die Tatsache, dass ich ein fleißiger in Kirchen Kerzenentflammer bin, hat mich dann inmitten des Konsumtempels Sitzmöglichkeiten mit USB Anschlüssen finden lassen. Aufatmen, oder doch nicht. Mein Ladekabel hat an beiden Enden einen USB-C Anschluss und der passende Adapter steckte natürlich noch am Ladegerät, welches sich im Zelt befand. Och nöööööööö. Also wieder los und im Labyrinth der Geschäfte einen Elektronikmarkt gesucht. Jetzt gehören 4 Ladekabel zu meiner Ausrüstung. Ich hoffe, das genügt. Die 2 Stunden Wartezeit verbrachte ich mit einer Portion Pommes, deren dazugehörige Mayonnaise schmeckte, als hätte jemand zwei Rollmöpse vor der Fahrt in den Sommerurlaub unter einer Heizdecke geparkt. Nebenbei konnte ich ein paar Schulkinder dabei beobachten, wie sie sich die Zeit damit vertrieben, mit einer Wasserflaschen Flaschendrehen zu spielen. Obwohl einem der Jungs ein Feuerzeug aus der Hosentasche viel und ein anderer ein T-Shirt mit einer leicht begleiteten Frau trug, waren die Aufgaben, welche der Gewinner oder Verlierer zu erledigen hatte von beinahe niedlicher Unschuldigkeit. Es gab Küsschen auf die Wange, wenn es richtig abenteuerliche wurde, auch mal einen dahingehuschten Kuss auf den Mund, oder es wurden laut Worte gerufen, die Bestimmt nicht über Popoloch hinausgingen. Als mein Handy endlich geladen war, begab ich mich auf den Rückweg. Jetzt sitze ich im Zelt, auf welches dicke Regentropfen prasseln. Laut Wetterbericht, soll sich daran bis morgen Nachmittag nix ändern. Sollte dies so sein, werde ich das als willkommene Ausrede nutzen und noch einen Tag verlängern. Wenn ich auf die Karte schaue, sehe ich, dass die nächste Etappe direkt am Rand der Stadt von 400m auf 1000m führt. Määäähhhhhh, meine Motivation sitzt sicherlich noch beim Barbier.Read more