Satellite
Show on map
  • Day 57

    Bohemian Rhapsody I

    July 26, 2023 in Czech Republic ⋅ ☁️ 18 °C

    Vor 10 Tagen kam ich am späten Nachmittag auf dem Zeltplatz in Jetrichovice an. Ich hatte eine Etappe hinter mir, die mir psychisch und physisch alles abverlangt hatte. Für den ersten Kilometer hatte ich eine ganze Stunde gebraucht, weil der Weg beinahe senkrecht über Felswände und Waldwege noch oben führte. Dabei waren ständig große Felsbrocken, Treppen und riesige Wurzeln zu überwinden. Die zu bewältigenden Stufen waren dermaßen groß, dass man sie nur bezwingen konnte, wenn man gelenkig genug war, sich das eigene Knie immer wieder schwungvoll zwischen die Augenbrauen zu heften. Ich war das erste Mal kurz davor zu verzweifeln. Als der Weg dann aber auch noch auf einer Seite von senkrechten Felswänden und auf der anderen Seite von einem senkrechten Abgrund flankiert wurde, setzte echte Angst ein. Ich begann zu zittern, hatte zur Abwechslung mal kalten Schweiß auf der Stirn und versuchte mich krampfhaft irgendwo festzuhalten. Entgegenkommenden Wanderer und die dadurch notwendigen Ausweichmanöver auf dem schmalen Pfad machten die Situation ebenso nicht besser, wie die Last meines Rucksacks, welche es zusätzlich auszuballansieren galt. Wenn Platz gewesen wäre, hätte ich mich am liebsten auf den Weg geworfen, fest in einer Bauwurzel oder einem fremden Wanderstiefel verbissen und gehofft, dass der so entstehende Stau die Bergwacht auf den Plan ruft. Sie hätten mir große Mengen krampflösende Mittel spritzen müssen, um meinen Kiefer auseinanderzubekommen. Danach hätten sie um mich herum Bäume fällen und Felsen sprengen müssen, damit mich ein großer russischer Bergungshubschrauber an einem armdicken Seil, in einem Netz zurück ins Tal hätte bringen können. Ich aber, kämpfte mich zitternd und in Trance Meter für Meter weiter. An viel mehr kann ich mich nicht erinnern, nur dass ich irgendwann total erschöpft auf dem Rasen des Zeltplatz lag. An solchen Tagen läuft die Ankunft immer gleich ab. Sowie ich bezahlt habe, suche ich einen Platz für mein Zelt, lasse erst den Rucksack und dann mich ins Gras fallen und bleibe dann dort erstmal einfach auf dem Rücken liegen. Das Gefühl, welches ich dabei habe, gleicht dem, welches ich nach ersten ungeübten Alkoholexzessen oder gewollten übertriebenen Alkoholmissbräuchen hatte. Ich bin mir sicher, dass so einige von euch diesen "NIE WIEDER !" Moment kennen. Manchmal liege ich 20 Minuten einfach so da. Regungslos schaue ich in die Wolken oder höre mit geschlossenen Augen meinem Blut zu, das rauschend und wie ein Gebirgsbach durch meine Adern strömt. Das kann ich so gut, dass bereits jemand befürchtete, ich sei tot. Ein anderes mal kam jemand und fragte, ob er Hilfe holen soll. Vielleicht bastle ich mir noch ein Schild mit der Aufschrift "Bitte liegen lassen". Die einzige Frage, die ich mir in diesem Moment noch Stelle ist, ziehe ich meine Wanderschuhe noch aus, oder nicht. Ich habe herausgefunden, daß ich bei etwas härteren Böden die Heringe meines Zeltes super mit meinen Schuhen und meinem Eigengewicht in die Erde bekomme. Ziehe ich mir meine Schuhe jetzt also aus, was ein unglaublich schönes Gefühl ist, dann muss ich sie später wieder anziehen. Bis heute kann ich mich da nicht wirklich entscheiden. Wie ich also einfach nur so daliege, bemerke ich, dass sich mir eine Junge Frau mit großem Rucksack und Hund nähert. Anders als üblich, versucht sich nicht, um Privatsphäre bemüht, großen Abstand zu dem reglosen Deutschen zu halten. Sie bleibt nur wenige Meter von mir entfernt stehen und gibt mir die Möglichkeit einem, nur all zu bekannten Ritual, zuzusehen. Sie lässt erst ihren Rucksack und dann sich selbst zu Boden fallen. Zieht ihre Schuhe aus und bleibt reglos liegen. Ich muss schmunzeln und freue mich über geteiltes Leid. Ich weiß nicht mehr genau, was die ersten Sätze waren, die wir miteinander sprachen. Vermutlich hat ihr Hund die Rolle des Eisbrechers übernommen. Von nun an aber sollten die nächsten 7 Tage so vollkommen unglaublich und wunderbar anders verlaufen, als ich es geplant hatte. Ihr Name war Barbora. Wenn sie es ausspricht, klingt es für mein deutsches Ohr wir Barbara. Die Kurzform, welche ich hier benutzen werde ist Baru. Sie ist Lehrerin in einem Kindergarten, hat eine sympathisches dreckiges und lautes Lachen, arbeitet nebenbei in einem Hanfshop und lebt in Prag. Ihre Hündin heißt Amy, weil Baru The Big Bang Theorie so mag und ist zutraulich, wachsam, intelligent und verfressen wie ein Fass ohne Boden. Wir unterhielten uns in Schulenglisch und einigten uns recht schnell darauf, daß Grammatik für die Völkerfreundschaft etwas überbewertet ist. Trotzdem möchte ich mich an dieser Stelle einmal mehr bei meiner Englischlehrerin bedanken, die in vielen, nicht immer einfachen Unterrichtsstunden den Grundstein dafür gelegt hat, dass ich mich in der Fremde nicht nur mit Händen und Füßen verständigen muss. Am nächsten Morgen waren wir uns einig, das wir als 3er Team starten und die folgenden Tage gemeinsam unterwegs sein werden. Welche Abenteuer wir dabei erlebt haben erfahrt ihr in Teil II meiner persönlichen Bohemian Rhapsody.Read more