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  • Day 57

    Bohemian Rhapsody II

    July 26, 2023 in Czech Republic ⋅ 🌙 12 °C

    Wir verließen nach einem gemeinsamen Frühstück den Zeltplatz gegen 11:00 Uhr. An diesem, für meine Verhältnisse, recht späten Aufbruch, sollte sich in den nächsten Tagen nix ändern. Auch die täglichen Kilometer gingen deutlich zurück, dafür stieg der Spaß- und Bildungsfaktor immens an. Ein Tausch, den ich jederzeit wieder eingehen würde. Baru verpasste mir unterwegs ein kleines tschechische Überlebenstraining. Wir sorgten in beinahe jeder Kneipe am Wegesrand dafür, dass wir nicht dehydrierten und als ich einmal nach einem anstrengend Anstieg glaubte, verdurstend vor einem geschlossenen Dorfausschank zu stehen, übersetzte sie mir das Schild mit der Information, man möge bitte die, an einem Zaunpfahl hängende Glocke läuten. Im Nu erschien eine bekittelschürzte ältere Dame in der Haustür, fragte nach unseren Wünschen, bot uns Platz in ihrem Vorgarten an und servierte wenig später 2 köstliche, frischgezapfte Bier. Ich werde nie wieder vergessen, nach einer Glocke ausschaut zu halten, wenn ich vor einer verschlossenen Kneipentür stehe. Baru zeigte mir die Dorfläden, an denen ich zu vor bestimmt mehrfach vorbeigelaufen war, weil selbige von außen ehr wie eine Spielothek aussehen und eben nicht wie ein Dorfladen. Betritt man solch ein Geschäft, gerät man in ein Labyrinth aus Kühlregalen, Tiefkühltruhe, Getränkekästen und Verkaufsregalen. Hier gibt es definitiv nichts, was es nicht gibt. Raufasertapete, Wandfarbe, Stoffe und Garne, Haustierfutter und Zubehör, Schreibwaren, Haushaltswaren, Spielzeug, Drogerieartikel, unzählige alkoholische Getränke jeglicher Art und Stärke, nichtalkoholische Getränke in ebensolcher Vielfalt. Backwaren, eine Theke mit Frischfleisch und Wurst und eine Theke mit Molkereiprodukten. Alles natürlich auch nochmal in abgepackter Form im Kühlregal. Für Freunde berauschender Rauchwaren gibt es mancherorts sogar eine völlig legale Beratung und ein umfassendes Angebot. Das alles auf gefühlt 20 Quadratmetern. Diese Läden sind in fast jedem Dorf und in jeder Stadt zu finden und werden fast ausnahmslos von Vietnamesen geführt. Eine Verständigung ist auch hier mit etwas Englisch und Händen und Füßen problemlos möglich. Heute war ich zum Beispiel in Liberec in so einem Zauberladen und habe den Verkäufer mit Hilfe meines Handys gefragt, ob er mir sagen kann, wo ich in Liberec Karabinerhaken bekommen kann. Ich hätte eigentlich wissen müssen, dass er mich umgehend und ganz selbstverständlich zu einem Regal führte, in dem Karabinerhaken in verschiedenen Größen, Farben und Ausführungen lagen. Immer, wenn wir einkaufen gingen, blieb jemand von uns mit Amy vor dem Laden und wartete, bis der andere fertig war. Mir machte es große Freude, bei meinen Shopingtouren, auch unserer aufgeweckten, vierbeinigen Begleiterin eine kleine Aufmerksamkeit mitzubringen. Während wir bei einem kühlen Bier irgendwo vor den Läden Platz nahmen, erfreute ich mich daran zu beobachten, wie Amy innerhalb von wenigen Sekunden große Fleischwürste und andere Leckereien verschlang. Am Ende des ersten Tages waren wir trotz einiger Pausen und Verpflegungsstops recht ausgelaugt. Ein Campingplatz war nicht in sicht und für einen geeigneten Platz für unser Zelt in freier Wildbahn, hätten wir noch ein paar zusätzliche Kilometer zurücklegen müssen. Natürlich fand Bora eine Pension, welche mir meine Karte nicht anzeigte. Nach einem kurzen Telefonat war der Schlafplatz geklärt und außerdem auch abgesprochen, dass wir den Garten zum Grillen nutzen können nebst Grill natürlich. Einem unterhaltsamen Abend folgte eine erholsame Nacht in einem gemütlichen Bett, ohne vorher ein Zelt aufbauen zu müssen. Nach dem Blick auf die Karte, beschlossen wir auch am zweiten Tag gemeinsamen zu wandern. Baru hatte 7 Tage frei und wollte ein Stück eines Wanderweges zurücklegen, der einmal an der Landesgrenze rings um Tschechien führt. Unsere Wege überlagerten sich teilweise oder verliefen in nicht all zu großen Abstand zueinander. Mir war es recht egal, ob ich auf dem EB blieb oder nicht. Am Ende unseres zweiten Tages steuerten wir ein großes Dorf in der Hoffnung an, dort unsere Vorräte auffrischen und unseren Durst stillen zu können. Zu unserer großen Enttäuschung gab es hier jedoch weder Gastronomie noch Dorfladen. Letzte Rettung schien ein nahegelegener Unterhaltungspark zu sein. Auf halben Weg dort hin, bekam ich aber starke Zweifel, daß Ziel noch vor Ende der Öffnungszeiten erreichen zu können. Ich schlug vor, den etwas längeren Weg in die nächste Kleinstadt zu nehmen. Da dieser Berg ab führte, waren wir uns sehr schnell einig. Eine Stunde später saßen wir kraftlos auf einem kleinen Platz vor einer Kirche. Baru nutzte ihre letzten Rerven und besorgte aus einer Kneipe auf der anderen Seite der Straße 2 köstliche Bier. Natürlich würde Amy nicht in unser Team passen, wenn auch sie einem guten Frischgezapften ab und zu nicht abgeneigt wäre. So ließen wir 3 es uns erstmal schmecken, um anschließend die Entspannungsphase a la scheintoter Wanderer einzuleiten. Jetzt blieb nur noch den Gang in den Dorfladen zu erledigen und dann ein Platzt für unsere Zelte zu finden. Ich blieb bei Amy und Baru ging als erste einkaufen. Als sie zurückkehrte, erzählte sie mir, dass sie gerade einen guten Freund ihres Vaters im Laden getroffen habe, welcher eigentlich auch nicht nur annähernd in der Gegend leben würde, hier Momentan aber als Restaurator die Aufgabe hätte, auf dem Friedhof das Familiengrab einer deutschen Familie zu restaurieren. Sie hatte ihm von uns erzählt, woraufhin er uns einlud, in der Ferienwohnung zu übernachten, in der er mit 2 Mitarbeitern schlief. Was für ein unglaublicher Zufall und was für eine unglaubliche Gastfreundschaft. Wenig später fuhr Přéma (Bschehma gesprochen) mit seinem Transporter vor und ich fand mich zwischen Jarda, Standa, Zementsäcken, Werkzeug und Bierkisten im Laderaum wieder. Weshalb ich mich in diesem Moment extrem zu Hause, wohl und irgendwie angekommen gefühlt habe und weshalb mir das hier in Tschechien immer wieder so geht, möchte ich in einem separaten Kapitel beschreiben. Es dauerte nur wenige Minuten, und wir waren am Sportplatz von Jedlova angekommen. Hier befand sich in einer Art Schulgebäude eine großzügig Ferienwohnung und nur 10 Meter von der Eingangstür entfernt ein Biergarten. Natürlich mit Fassbier und einem kleinen Speiseangebot. Herz was willst du mehr. Přéma war mir vom ersten Moment an sympathisch. Von seiner Erscheinung her, hatte er etwas von einem Abenteurer. Er bat mich, so viel wie möglich auf deutsch mit ihm zu sprechen, damit er seine Deutschkentnisse aufbessern könne. Jarda und Standa hingegen sprachen entweder garnicht, oder schon akustisches nur sehr schwer zu identifizierendes Tschechisch. Was dem unglaublichen und permanenten Alkoholkonsum, oder der Tatsache zuzuschreiben war, dass man sich immer noch im unteren einstelligen Bereich befand, wenn man den Zahnbestand der beiden addierte. Jardas Kopf wurde von einem dermaßen abgewetzten Lederhut gekrönt, dass man meinen konnte, er sei schon mit selbigen auf die Welt gekommen. Schlägt man bei Wikipedia den Ausdruck Charaktergesicht nach, ist dort garantiert ein Bild von ihm zu finden. Standa war meistens stumm und hatte eine ehr unangenehme Vorliebe für vermeintlich lustige Naziandeutungen. Einen kurzen Moment lang wurde es etwas ungemütlich, als Jarda recht lautstark und leidenschaftlich betrunken immer wieder in meine Richtung deutete. Ich war mir sicher verstanden zu haben, dass er sich ärgerte, nichts zu verstehen, wenn ich mit Přéma Deutsch oder Englisch sprach. Ich beruhigte die Gemüter mit einer Runde Bier und irgendwie standen plötzlich auch noch mehrere Teller mit sauer eingelegten Würsten auf dem Tisch. Natürlich waren wir irgendwann die letzten im Biergarten und ich weiß nicht mehr, wo der Typ, mit einer Ausgabe von Mein Kampf in der Hand, neben mir hergekommen war. Ein echt schräger Abend, der seinen Höhepunkt noch nicht gefunden haben sollte. Da der Ausschank schon längst geschlossen hatte, wechselten wir in die Ferienwohnung. Auch Přéma war nun reichlich angetrunken, viel aber nicht wie die anderen beiden wie tot ins Bett, sondern stieg auf einen Stuhl und begann voller Inbrunst Lieder von Karel Gott zu singen. Ein paar Stunden zu vor wurde ich gefragt, ob ich berühmte Tschechen kennen würde. Ich antwortete Karel Gott und Jiří Korn und hatte sofort sowohl lautes Gelächter als auch Beifall auf meiner Seite. Womit jedoch keiner meiner tschechischen Freunde gerechnet hatte war, dass ich ihnen im nächsten Augenblick Bilder vom Märchenfilmfestivals in Annaberg Buchholz vor die Nase hielt, auf der mein Freund Dirk Seite an Seite mit dem tschechischen Märchenprinzen Nr. 1 zu sehen war. Nehmt das ihr Witzbolde und schon war Ruhe im Karton. Diese Nummer wiederholte sich den ganzen Abend mehrfach und selbst der grummelige Jarda und der stumme Standa mussten lachen. Irgendwann stieg Přéma wieder vom Stuhl herunter und wir gingen schlafen. Als ich am Morgen aufwachte, stand ein ältere Mann mit Glatze, einem schütteren Haarkranz und nur mit Unterhose bekleidet vor meinem Bett und suchte unverständlich nuschelnd irgend etwas. Das der Mann nur eine Unterhose trug, wunderte mich nach dem letzten Abend auch nicht mehr, dass ich mir aber nicht erklären konnte, wer das war und an welcher Stelle mein Gehirn gestern abgeschaltet hatte, verwirrte mich dann doch ein wenig. Wäre ich nicht wenig später Zeuge davon geworden, wie sich dieser Unbekannte einen alten, speckigen Lederhut aufsetzen und sich in Jarda verqandelte, würde ich heute noch grübeln. Alle 3 verließen irgendwann die Ferienwohnung und fuhren zum Friedhof. Wir schliefen noch etwas, packten dann unsere Sachen und begaben uns ebenfalls auf den Weg zum Friedhof um Přéma den Wohnungsschlüssel zu bringen und uns von allen drei zu verabschieden. Was aus diesem Plan wurde und warum ich jetzt jemanden kenne, der ein Foto von einem Haus hat, in dem ein Mann lebt, der persönlich die Nabelschnur von Chuck Norris durchgebissen hat, erfahrt ihr in Teil III.Read more