• Day 120

    Beerdigungskult in Pozzallo

    March 6 in Italy ⋅ ⛅ 15 °C

    Von Syrakus aus machten wir uns auf den Weg zum Lido Otello, wenige Kilometer vor Pozzallo. Dort fanden wir einen wunderschönen Platz direkt am Sandstrand – die perfekte Kulisse für ein paar entspannte Tage. Morgens konnte ich kilometerweit am Ufer entlanglaufen, das leise Rauschen der Wellen begleitete mich, während der feine Sand unter meinen Füßen nachgab. Abends tauchte die untergehende Sonne das Meer in ein Farbenmeer aus Gold, Orange und Rot – ein Naturschauspiel, das immer wieder aufs Neue beeindruckt.

    Doch am Donnerstag zog, wie angekündigt, das schlechte Wetter auf. Regen war für die nächsten Tage vorhergesagt, und so entschieden wir uns, langsam in Richtung Palermo weiterzuziehen. Bevor wir Pozzallo verließen, machten wir jedoch noch einen Halt an einem Ort, der in starkem Kontrast zu den unbeschwerten Tagen am Strand stand: dem Friedhof von Pozzallo.

    Schon die lange Baumallee am Eingang ließ erahnen, dass dieser Friedhof mehr war als nur ein einfacher Begräbnisort. Hinter dem großen Tor, über dem ein mächtiges Kreuz thront, erstreckt sich ein Labyrinth aus geraden Wegen und verwinkelten Nischen. Hier stehen prächtige Familiengruften, kleine Paläste aus Marmor, teils wie Burgen gebaut, teils modern mit großen Glasfronten – ein Ausdruck tiefer Verehrung und der Bedeutung, die viele Familien ihren Ahnen beimessen.

    Doch zwischen diesen imposanten Bauwerken verlaufen auch lange Reihen schlichter Urnenwände. In kleinen, identischen Betonplatten eingelassen, ruhen hier jene, die sich kein Familiengrab leisten konnten. Und doch sind auch diese Gräber liebevoll gepflegt, frische Blumen schmücken viele der Nischen – ein Zeichen, dass hier jemand vermisst wird.

    Dann aber bleiben wir an einer Reihe von Platten stehen, vor denen die Blumentöpfe leer sind. Keine Kerze, kein Gedenkstein, keine Plastikblume. Denn niemand kennt die Namen der Menschen, die hier begraben liegen. Es sind jene, die auf der Überfahrt von Nordafrika nach Sizilien ihr Leben verloren, von den Wellen an Land gespült und hier anonym bestattet wurden.

    Pozzallo, eine kleine Stadt ohne große Sehenswürdigkeiten, wurde einst weltbekannt, weil hier täglich Hunderte von Migranten ankamen. Neben Lampedusa war es einer der Orte, an denen überfüllte und oft kaum seetaugliche Boote strandeten. So viele Menschen starben auf dem Weg in die vermeintliche Freiheit, dass die Behörden gezwungen waren, den Kühlanhänger eines Lastwagens als provisorisches Leichenhaus zu nutzen. Journalisten aus aller Welt kamen, schrieben große Reportagen – doch das Meer spülte weiterhin Körper an den Strand.

    Nach dieser eindrucksvollen und bedrückenden Besichtigung machten wir uns nachdenklich auf den Weg nach Palermo.

    Solche Orte zu besuchen ist uns wichtig. Sie erinnern uns daran, wie gut es uns geht – und wie viele Menschen für die Hoffnung auf ein besseres Leben alles riskieren. Manche von ihnen zahlen dafür den höchsten Preis.
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