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  • Day 8

    Via Dolorosa mit Lücken und rückwärts

    May 10, 2019 in Palestine ⋅ ☀️ 18 °C

    Side-Fact zur Klagemauer: Männer und Frauen sind getrennt, wobei die Männer mehr Platz haben als die Frauen.

    Ansonsten ist es einfach beeindruckend: Menschen pressen ihre Gesichter in ihre Gebetsbücher, stecken Zettel in die Mauer... auf einmal herrscht Ruhe inmitten der Hektik Jerusalems.

    Wir verabschieden uns vom Schwafel-Ami und ziehen mit 3 Mädels von der Klagemauer aus allein los.

    Unterwegs sammeln wir noch Richard ein, unseren 73-jährigen schwulen Kanadier. Der ist auf der Führung abhanden gekommen, ohne dass es dem Guide aufgefallen wäre. Dankbar schließt er sich uns an.

    Erst mal einen Erholungs-Eiskaffee, dann geht es an die Planung des restlichen Nachmittags.

    Anja ist der neue Guide, zusammen mit ihrem Lonely Planet. Der Tempelberg ist heute - wegen Shabbat - für Touristen gesperrt. Also versuchen wir, die Via Dolorosa - den ehemaligen Kreuzweg - unsicher zu machen. Zwar rückwärts, aber egal.

    Die Altstadt ist extrem verwinkelt und - wegen Freitag - so voller Menschen, dass die Orientierung schwerfällt und wir aus Versehen fast alle Stationen auslassen, was für mich nicht weiter wild ist. 😜

    Mit fällt es ohnehin schwer, mich auf diese ganze Jesusgeschichte einzulassen, zumal ich mittlerweile sehe, wieviel falsch überliefert wurde und/oder wie viele verschiedene Interpretationen es zu allen vermeintlichen Tatsachen gibt, weswegen sie die Menschen die Köpfe einhauen...

    Trotzdem finde ich die Gläubigen und ihr Verhalten interessant und habe auch Ehrfurcht vor der Macht der Religion und vor der Möglichkeit, Menschen friedlich zu vereinen.

    Wir starten an der Grabeskirche, wo Jesus gekreuzigt wurde und wieder auferstanden ist.

    Beeindruckend ist der Bau auf jeden Fall, er hat gigantische Ausmaße.

    In der Warteschlange für den Blick auf Jesus Grab treffen wir zwei deutschsprachige Jungs, die gerade eine Art Priester - Praktikum machen, und uns einiges erklären.

    Gleich am Anfang der Kirche ist der Salbungsstein Jesus, was erklärt, warum dort so viele Menschen den Boden küssen.

    Errichtet wurde die Kirche von Helena um 300 n. Chr. auf dem Golgata Felsen, auf dem Jesus gekreuzigt wurde.

    Vorher stand da Hadrians Venustempel. Helena nahm an, dass dieser die Christen vertreiben ließ und hat daher den Tempel platt gemacht und durch die Kirche ersetzt. Und wohl auch den Leichnam Jesus "umgeparkt".

    Auf der Rückseite vom Grab Jesus gibt es eine winzige Kapelle, in der ausgewählte Gläubige auf Knien beten und weinen.

    Als wir dran sind mit dem Blick auf das Grab, dauert es keine 5 Sekunden, bevor ein Priestertürsteher energisch gegen die Wand klatscht und "Come on!" schreit, Fotos sind natürlich eh verboten. Ist schon so eine Sache mit dem Business Religion.

    Mein Fazit: So beeindruckend der Prunk und die Intensität der Gläubigen auch ist, habe ich mich in den kleineren Kirchen in Nazareth viel entspannter und heimeliger gefühlt. Hier geht es zu wie einem Taubenschlag aus Selfies.

    Vorbei an weiteren Kreuzwegstationen enden wir bei Station 2, es wird ja auch später und alle machen pünktlich Feierabend 😅
    Diese Station ist ein hübscher Innenhof.
    Hier soll Jesus gegenüber dem Eingang zur Verurteilungskapelle sein Kreuz genommen haben. In der Geißelungskapelle soll er gegeißelt worden sein.

    Vor dem Altar hängt eine große Dornenkrone von der Gewölbedecke. Die Fenster dieser Kapelle zeigen die Menschenmassen, die sich das Ereignis nicht entgehen lassen wollten.

    Yoah. Reicht für mich. Fühle mich ein Bisschen wie in einer Märchenstunde, und freue mich, dass jetzt Feierabend mit Kreuzweg ist.

    Durch wahnsinnige Menschenmassen, die aus der Al-Aqsa-Moschee zurückkommen, lassen wir uns aus einem der vielen Alstadttore schieben. Ich halte mich zwischen ein paar Frauen versteckt, um möglichem Gegrabbel zu entgehen und entdecke unter ihnen auf das ein oder andere freundliche Gesicht, was mich mit Blicken ermutigt, durchzuhalten.

    Alles klappt super.

    Weiter auf den Ölberg, wo es zum Hintergrund der sinkenden Sonne einen traumhaften Blick über Jerusalem gibt.
    Und über den gigantischen Friedhof unter uns.

    Wer sich hier heute begraben lassen möchte, zahlt etwa 100.000 Euro pro Grab und wir philosophieren in der Abenddämmerung darüber, ob einem das wohl einen der vorderen Plätze im Himmel sichert oder ob man mit dem Geld nicht lieber was Gutes anstellen sollte.

    Da Rich die Klagemauer am Tag verpasst hat, aber auch etwas orientierungslos ist begleite ich ihn am Abend noch einmal und bin begeistert. Jaaaaa. Eigentlich sollte man als Tourist da wohl nicht unbedingt Freitag Abend hin, aber die Stimmung und das Ambiente waren einmalig und ganz anders als am Tag. Frauen und Männer singen und tanzen, liegen sich in den Armen und sind ganz beisammen. Fast ein bisschen Festivalfeeling, alles ist ganz friedlich.

    Ich bin erstaunt, wie viele junge Menschen hier sind. Nur vereinzelt ist mal jemand über 40 zu sehen...

    Zurück geht es wieder durch die Gassen der Altstadt, wo diesmal anstelle der Muslime die Juden durch die Gänge sausen, auf dem Weg zur Mauer, in Hektik, Kinder werden angetrieben und Touristen aus dem Weg geschoben mit arroganten Blicken, die zu sagen scheinen "Aus dem Weg, Gott wartet auf mich!" 🙃
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