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  • Day 29–32

    Die geteilte Stadt

    August 14, 2023 in Bosnia and Herzegovina ⋅ ☀️ 29 °C

    Wir kommen mitten in der Nacht mit dem Zug in Sarajevo an und finden einen menschenleeren alten sowjetischen Bahnhof vor, der irgendwie aus der Zeit gefallen wirkt und gleichzeitig auch wunderschön. Uralte Telefonzellen, die noch in Betrieb sind, und einige Busunternehmen mit zig deutschen Städten auf ihren Routen. Es zeigt, dass die Ströme vieler Bosnier weiterhin ungebrochen ins Ausland pulsieren, teils wegen Verwandtschaft und teils wegen der besseren Lebensperspektiven.

    An der Ecke dampft der Cevapcici-Grill, ein im ganzen Balkan typisches Bild...diesen hätten wir besser überspringen sollen. Am nächsten Tag streckt uns diese Essen nieder, Bauschmerzen und Durchfall bestimmen unseren Tag. Die Stadtführung durch ein schlauchartiges Sarajevo, welches von Bergen umschlossen ist, wird zäh, weil der Magen immer wieder streikt. C'est la vie auf Reisen, wer gerne einfach, authentisch und lokal isst, wird zwangsläufig mal daneben greifen. Nach zwei Tagen mit viel Bett, Suppe und Cola sind wir wider aufnahmefähig.

    Sarajevo schockt einfach, eine Mischung aus der osmanischen Periode, Habsburger-Königszeit, alten Jugoslawien-Zeit, Olympiabauten von 1984 und modernen Wolkenkratzern. Alles in den Mixer und voilá das Stadtbild Sarajevo ist fertig, alles umrahmt vom Miljaka Fluss, welcher zentral in der Stadt fließt. Die Epochen der Stadt spiegeln sich auch in der bewegenden Geschichte wieder, die überall spürbar ist.

    Wir spazieren über die Brücke vom Attentat auf den ungarisch-österreichischen Thronfolger Franz Ferdinand, welches den 1. Weltkrieg auslöste und besuchen das wirklich kleine Museum dazu. Danach trinken wir einen bosnischen Café im osmanischen Teil der Stadt und schlendern durch den alten Bazar mit Souvenirs aus vergangenen Tagen. Auf der anderen Flussseite steht der alte Sportkomplex von Olympia, der seine beste Zeit hinter sich hat und nun finden dort eine Diskothek und ein Museum für Musikgeschichte platz. Hier zeigen in einem Kooperationsprojekt junge Künstler die Rock-Geschichte Jugoslawiens bis Anfang der 90er Jahre.

    Einschusslöcher in Gebäuden sind Zeitzeugen des Balkankriegs, während dessen die Stadt über drei Jahre von den Serben belagert war. Im Nationalmuseum Sarajevos mit angeschlossen Tito Café finden wir eine weitere Lebensgeschichte der Stadt. Zum einem die Heroisierung des Gründungsvaters Jugoslawiens Josip Broz "Tito", der hier bis heute ungebrochen von vielen verehrt wird. Von vielen aber auch ungebrochen verabscheut aufgrund all seiner Gräueltaten. Im umliegenden Garten gibt es einen Militär-Friedhof mit Panzern und Waffenarsenal. In der aktuellen Ausstellung reist man in einem Wohnzimmer den Flüchtlingsgeschichten nach Deutschland im Balkan-Krieg nach.

    Am Abend pulsiert die Stadt wegen des Film-Festivals, welches ein internationales Publikum, hunderte Filme und Partys in die Stadt spült und das heutige Leben gut widerspiegelt auf dem Weg in eine sichere und moderne Welt. Es ist eine laue Sommernacht, mitten im Innenhof eines Wohnviertel Sarajevos wird ein Kino geschaffen und wir chillen in Liegestühlen und lauschen der Dokumentation von Joan Baez "I am a Noise".

    Und dann kommt die Realität und haut uns wieder um. Sarajevo teilt sich in zwei Teile auf, einen bosnischen und einen serbischen. Diese leben nebeneinander und trennen die Stadt bis heute spürbar: In der Verwaltung, im Schulsystem, Telekommunikation und vor allem in den Köpfen der Menschen. Letzteres erschreckt uns am deutlichsten. Wir fragen mehrere Bewohner der Stadt nach dem Weg zum Busbahnhof, der uns nach Srebrenica bringen soll. Dieser liegt im serbischen Teil der Stadt und wir wohnten im bosnischen. Meinungen der Bürger gingen von "ich weißt es nicht, das geht glaube ich nicht" über "nimmt ein Taxi, das geht sonst nicht anders" bis hin zu "nur mit Taxi, weil es viel zu gefährlich ist" und "die Menschen im anderen Teil sind gefährlich". Was skuril wirkt, ist jedoch die Wahrheit und lebendige Zeitgeschichte und Folge vieler Traumata. Wir nehmen den Bus und finden selber unseren Weg. Der bosnische Bus fährt jedoch nicht über die innere Stadtgrenze, die anschließenden 500 Meter laufen wir zu Fuß in den serbischen Teil. Das Misstrauen, die Distanz und die Haltung des jeweils Anderen, in der wohlgemerkt selben Stadt, hinterlassen in uns ein furchtbares Gefühl und viele Gedanken.

    Sarajevo ist resistent gegen alle harten Zeiten der Geschichte und steht noch heute genau dafür. Eine unfassbar lebendig und aus unseren Augen wunderschöne Stadt. Die mit ihrer Authentizität und Lebendigkeit uns in den Bann gezogen hat.
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