• Alfama und Fado

    Apr 18–22 in Portugal ⋅ ⛅ 18 °C

    Der Morgen beginnt wieder mit einem Superlativ. Was die Frauen vom Frühstücksservice in der Casinha das Flores zaubern, ist nicht Essen, sondern Kunst, und das im Plural. In mehreren Räumen verteilt warten Buffets mit Süßem und Salzigem auf uns, wie wir es noch nie erlebt haben. Frisches Obst, Wurst und Käse, Pizzastücke, Wraps, Kuchen, Pralinés, alles aufs Liebevollste zubereitet und arrangiert, dazu Säfte, Kaffee, Tee, es fehlt an nichts. Weil mit Musik alles noch besser schmeckt, gibt es obendrein Pianoklänge, und zwar nicht vom Band, sondern live am Flügel.
    In jeder Hinsicht gestärkt werfen wir uns in den Tag, Karfreitag, wovon allerdings nicht viel zu merken ist. Die Touristenschlangen am Tram-Terminal auf der Praza Camois sind schon wieder lang, aber wir haben sowieso vor, uns hier in Lissabon hauptsächlich auf unsere Beine zu verlassen. Unser erster Weg geht hinab zum Timeout-Market und von dort ans Wasser, das hier noch den Namen des Tejo trägt, aber schon vom Meer träumen lässt, samt Geruch und kreisenden Möwen. Stadt und Fluss wurden in Literatur und Liedern oft besungen als Liebespaar, so etwa von Erich Maria Remarque in „Die Nacht von Lissabon": „Nachts ist es das Märchen einer Stadt, die in Terrassen mit allen Lichtern zum Meer hinabsteigt wie eine festlich geschmückte Frau, die sich niederbeugt zu ihrem dunklen Geliebten.“
    Tatsächlich sind es die Gegensätze von Hoch und Tief, Auf und Ab, von Hügeln und Niederungen, von Terrassen und steil abfallenden Hängen, die Lissabon besonders attraktiv erscheinen lassen. Portugals Metropole ist eine Stadt voller Falten, im allerbesten Sinn. Allerdings auch anstrengend zu bewandern. Auf unserem Weg bergauf zum Castelo San Jorge streifen wir die Igreja do Se Patriarcal mit ihren zwei trutzigen Türmen, die an Notre Dame erinnern. Am Miradouro de Santa Luzia schnaufen die Trams vorbei, rot und gelb, manchmal bleiben sie im Stau der gewundenen Straße stecken, die sie sich mit Autos, Tuk Tuks, Minibussen und Oldtimern teilen. In Souvenirläden findet man hübsche Sächelchen, zum Beispiel Kacheln und gehäkelte Tischsets, auch von Hand gemalte Unikate. Leider ist für Julian, der auf der Suche nach einem Canvas mit Stadtansicht ist, nichts Erschwingliches dabei.
    Auf dem Kastellhügel fangen sich gleichermaßen Touristenmassen und kalter Wind, die einen so gewöhnungsbedürftig wie der andere, wenn auch wenig überraschend. An langen Schlangen vorbei finden wir einen Weg ins Innere der baumbestandenen Burganlage, die nacheinander von Römern, Westgoten, Arabern und schließlich von den Portugiesen bewohnt wurde. Zum Tejo hin bietet sich zwischen Pinien ein unglaublicher Blick auf die Kuppel des Pantheon, auf Plätze, Häuser und Innenhöfe, weiß, blau, hellgrün, gelb und rosafarben. Aus allen Nähten der Stadt platzt der Frühling. Zwischen den Kastellmauern kommunizieren Pfauen geräuschvoll miteinander und schlagen Rad, während wir vespern. Mittlerweile ist der Himmel sattblau, die Sonne scheint; wenn sie in windstille Ecken trifft, sticht sie.
    Auf dem Weg abwärts Richtung Alfama kreuzen wir noch den Largo das Portas do Sol mit fast unerträglichem Gewimmel. Danach wird es ruhiger, manchmal sind wir zwischen den alten Gemäuern ganz allein, und dann hören wir sie in der Stille Geschichten erzählen von der Zeit, als Mauren, Christen und Juden in Lissabons Altstadt lebten; von ihren Bewohnern im 16. Jahrhundert, Fischern, Handwerkern, Arbeitern, Seeleuten. Vor zweihundert Jahren galt die Alfama als Prostituiertenviertel, und mancher wünschte sich nach 1755 ein zweites Erdbeben, das sie dem Erdboden gleichmachen würde.
    Wir selber sind allerdings froh, dass sie noch da ist mit ihrem morbiden Charme, und finden im Licht des Spätnachmittags eine wunderschöne kleine Vinothek. Bei Whiskey Sour (Julian) und Portwein (Guntrun) haben wir nach mehr als zehn Kilometern Fußmarsch durch Lissabons Gassen das Gefühl, endlich angekommen zu sein.
    Für die Rückfahrt in den Chiado genehmigen wir uns Uber und werden von einem Tesla aufgelesen. Nach einem Schlenker in den Timeout-Market, wo wir landestypische Appetizer schnabulieren, landen wir wieder im Bairro Alto. An diesem Abend sind wir bereit für Fado. Ein älterer Mann lotst uns in gebrochenem Deutsch ("Hab gearbeitet Düsseldorf") in ein Lokal, in dem nicht nur portugiesische Volksmusik fürs Herz, sondern auch warmes Essen geboten sein soll. Als hätte man auf uns gewartet, gibt es sofort ein freies Zweiertischchen, ebenso eine Speisekarte samt prompter Lieferung von Getränken. Doch dann gerät der Service ins Stocken. Während des Gesangs der blonden Fadista steht alles still, was ihren Vortrag stören könnte, zu Recht, finden wir da noch, denn sie ist wirklich gut. Nach begeistertem Applaus könnte es mit dem Essen weitergehen, doch es passiert eine lange Zeit - nichts. Nicht für uns. Uns wird bald klar, dass wir in einem Familienbetrieb gelandet sind, in dem alle alles machen, aber nicht alle machen alles gut. Insbesondere der Sohn des Hauses, der sich zwischendurch auch am Fado versucht, scheint heillos überfordert. Nach einer knappen Stunde, als unsere Mägen vernehmlich knurrend bereits dem Gesang Konkurrenz machen, wird Julian mit der Nachricht überrascht, der bestellte Bacalhau sei leider, leider alle, die letzte Portion gerade an eine Zuhörerin am Nebentisch gegangen. Wir entscheiden uns zähneknirrschend für kalte Platte und werden für unser Warten mit einer weiteren Runde anrührenden Fados entschädigt, diesmal vorgetragen von einem jungen Mann. Danach passiert aufs Neue - nichts, und das für längere Zeit. Im gleichen Moment, als wir uns einig geworden sind, dass auch der beste Fado ohne Essen nicht zum Sattwerden reicht, kommt unsere kalte Platte angesegelt, ein eher dürftiges Ensemble von Chorizo und Käse zum stolzen Preis von 24 Euro, präsentiert mit einem Bouquet blumiger Entschuldigungen. Die um etliche nicht nachvollziehbare Posten angereicherte Rechnung ist danach keine Überraschung mehr. Da wir auf ein Gerangel um Dinge, die es nicht auf unseren Tisch geschafft haben, keine Lust haben, hinterlassen wir den aus unserer Sicht angemessenen Betrag und machen uns in einem unbeobachteten Moment vom Acker. Offenbar ist Fado im Bairro Alto nur gegen Abzocke zu haben.

    Guntrun
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