Per Kopfsprung in den Frühling

February 2022 - April 2024
Nach einem deutschen Winter, der es in sich hatte, soll in Südspanien alles besser werden. Read more
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    Zwischen Corona und Tarragona

    February 16, 2022 in Spain ⋅ ☀️ 16 °C

    Zuerst kommen die Zedern, dann die Zypressen, schließlich die Pinien. Und dann ist der Süden da. Wir sind die ganze Nacht gefahren. Nur schnell der Kälte entkommen! Und allem anderen, was dieser Winter im Gepäck hatte, auch. An der Raststätte Montélimar Sud zeigt das Thermometer 2 Grad. Vor dem Frühstück mache ich einen Test, hoffend, dass es der Letzte ist, möglichst für den Rest meines Lebens. Herzklopfen, dann abgrundtiefer Erleichterungsseufzer: Omikron ist endlich abgehängt, der Teststrich, der gestern nur noch ganz schwach, aber dennoch vorhanden war, auf Nimmerwiedersehen verschwunden. Ab sofort dürfen die Masken fallen, die wir während der Nachtfahrt noch eisern getragen haben, und dem ersten französischen Café au lait samt Schokocroissant in der Bar steht auch nichts mehr im Weg. Ich bin frei und auch noch glücklich, als am Fahrbahnrand der erste Mandelbaum blüht. Am 12. Februar, kann das sein? Ich kenne Südfrankreich aus dem FF - besser als die drei Fächer meines Eastpak-Rucksacks, kenne seine Landschaft, seine Küche, seine Vegetation, ich kenne den typischen Geruch im Carrefour und den Duft des Ginsters in den Corbières - im Mai. Dass es hier so viele Mandelbäume gibt, kleine und große Träume kurz vor dem Aufwachen in Weiß, in Rosa, wusste ich nicht. Auch die Mimosen blühen, kleiden manche Berghänge ganz in Gelb. Dazwischen wachsen Windräder, die gab es früher nicht, und sie stehen alle still. Trotz Mistral, trotz Tramontane? R meint trocken: Die haben zu viele Atomkraftwerke.
    Plötzlich schält sich vor uns, einer Fata Morgana gleich, ein Schneegebirge aus dem Dunst. Von ferne sind die Pyrenäen mit einem ihrer höchsten Gipfel, dem Canigou, eine weiße Täuschung, unüberwindbar. Die Autoroute lässt sie rechts liegen, nimmt den Weg über ihre Ausläufer - hier ist der Winter nackt und schmutziggrau, ohne Prachtkleid aus Schnee. Die altbekannten Orte Canet plage, St. Cyprien, Argeles sur mer sind längst vorbeigeflogen. Hier endete früher der Süden und mit ihm unsere Reisen. Fährt man weiter, wird aus Frankreich ohne Ankündigung Spanien. Die Dörfer sind ein bisschen schmuckloser, weniger gepflegt - sind die Spanier keine Ästheten? Oder sind sie nur ärmer? Und gibt es hier mehr Wolken als in Frankreich? Es hat zu regnen begonnen, hört aber bald wieder auf. Hinter Barcelona wird die Landschaft grün und freundlich und mausert sich mit Mandeln, Pfirsichen, Orangen- und Zitronenhainen allmählich zu einem Garten Eden. Bei unserer Ankunft in San Carlos de la Rapida südlich von Tarragona nach 16 Stunden Fahrt um 16 Uhr zeigt das Thermometer unglaubliche 16 Grad. Schnell noch am Strand etwas Sonne tanken, ehe sie hinter den Bergen verschwindet. Der Meerblick vom Hotelzimmer bleibt erhalten - auch nach Sonnenuntergang, hier fast eine Stunde später als in Deutschland. Allmählich meldet sich unser Hunger, da das Hotelrestaurant aber erst um 20.30 Uhr öffnet, fahren wir in den Ort, um eine Tapas-Bar zu finden. Leichter gesagt als getan. Entweder sind die Restaurants leer oder bumsvoll, ein Dazwischen gibt es nicht. Eine Bar macht einen netten Eindruck, und die Tatsache, dass wir die einzigen Gäste sind, lässt hoffen, dass wir wenigstens rasch bedient werden. Ich bin ausgehungert, winke R herein, und das Desaster nimmt seinen Lauf. Todesmutig stürze ich mich mit meinen paar Brocken Spanisch in eine Konversation mit dem schmuddeligen Kellner und strande kläglich: Für die rund 150 angebotenen Tapas reicht mein Wortschatz nicht, und auch die Erkenntnis, dass nur cirka zweieinhalb davon erhältlich sind, hilft nicht wirklich weiter. Leider haben wir in unserer Verzweiflung schon angefangen, den aufgetragenen Vino tinto zu trinken, als ein Tellerchen mit etwas Schinken, ein paar Oliven und zwei Tortillas, so unappetitlich wie alles andere, auf unserem Tisch eintrifft. Währenddessen versucht sich der Wirt am Herd und brutzelt etwas, das wir nicht bestellt haben, Polka oder Pulpa oder Polpa oder so. Wir ahnen Schreckliches. Ehe die Speisenkreation kredenzt werden kann, stürzen wir unseren Wein runter, lassen alles andere stehen, einen 10-Euro-Schein liegen und suchen das Weite. Noch einen Tapas-Versuch machen wir, aber im nächsten Lokal liegt das Essen zum Teil am Boden, während die Hunde am Tisch mitessen, allerdings ohne Messer und Gabel. R streikt. Am Ende landen wir wieder im Hotel, wo es zwar keine Tapas gibt, dafür aber ein passables Dreigang-Menü für 12 Euro und Wein nach Belie-ie-ben. Was will man mehr? Bei Meeresrauschen fallen wir gesättigt, angeheitert ins Bett und augenblicklich in Tiefschlaf.
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  • Day 2

    Costa Calida heißt Heiße Küste

    February 17, 2022 in Spain ⋅ ☀️ 18 °C

    Zwischen San Carlos de la Rapida und Bolnuevo liegen 479 Kilometer und eine halbe Welt. Unsere Ferienanlage heißt Oasis de las Palmeras und ist auch eine: Es ist vermutlich die größte Ansammlung von Palmen auf einem Fleck im Umkreis von 50 Kilometern. Habitaciones kauern in ihrem Schatten unterhalb von Las Gredas de Bolnuevo, einer monumentalen Sandsteinskulptur mit bizarren Motiven, Türmchen, Pilzchen, Tischchen, Fensterhöhlen, die Meer und Wind in Jahrmillionen aus der Zeit gemeißelt haben. Touristen werden in Bussen hergekarrt, ausgespuckt und wieder an Bord gepfiffen. Anders als die Mauersegler und Tauben, die hier zuhause sind, nisten und sich morgens vom Bett aus beobachten lassen. Die Möwen sind riesig und sehen aus wie Albatrosse. Nachts wirft das Naturtheater das Echo des Meers in unser Zimmer. Vom Balkon aus können wir das Meer auch sehen, zwei Pools gibt es außerdem und, nicht zu vergessen, eine Bar mit überreichlichem appetitlichem Tapasangebot in Terrinen, auf deren Inhalt man nur mit dem Finger zeigen muss, um das Gewünschte zu bekommen. Tapas sind eine geniale Erfindung, wir ernähren uns fast ausschließlich davon: Überbackene Auberginen, Thunfischsalat mit Oliven und Ei, Lachssalat, Meeresfrüchtesalat, Kartoffelsalat, Salsiccia, winzige Sardinen, gefüllte Paprika, Bratkartoffeln mit Knoblauch, verschiedene Sorten Gulasch con und sin alio, etc., etc.
    Wenn wir nicht Tapas essen, lesen wir. Schreiben. In der Sonne sitzend auf dem Balkon, von dem aus man das Meer sieht. Und hört. Wir treffen uns mit S, der besten Freundin, die ein paar Kilometer weiter in Mazzaron Urlaub macht, auf der „Platte“, einem Sozialcafé in Islaplana. Halb Europa jenseits der 60, betucht und weniger betucht, scheint hier und in den Dörfern der Umgebung zu überwintern. Wir schlürfen „Asiatico“, eine irrsinnig süße Melange aus Espresso, Orangenlikör und dickflüssiger Kaffeesahne. Sieht schön aus, schmeckt umwerfend. Wir unterhalten uns: Über Gott und die Welt, über Hemingway, Franco und die Existenz der bis heute nicht aufgearbeiteten spanischen Diktatur bis 1975.
    Zum Sonnenuntergang, der schon fast vorbei ist, fahren wir nach Azohia, und nach dem versäumten Sonnenuntergang gibt es den nicht versäumten Aufgang des Vollmonds und dann wieder Tapas nebst Vino tinto - in einem Lokal mit Blick auf die Dämmerung.
    Am folgenden Nachmittag fahren wir mit den E-Bikes nach Westen in die Sierra de las Moreras. Anfangs mutet das ausgetrocknete schmutziggrün bewachsene Karstgebirge trostlos an. Ein Perlhuhn mit klatschrotem Schnabel, das in einer Talsenke Essbares aufpickt, ist noch das Bunteste. Auch eine Karnickelsippe wieselt umher - inmitten einer halblebigen Palmenpflanzung, die kurz vor dem Abnibbeln steht. Ich kann nicht anders, mir ist es hier zu karg, zu kahl; trockenes Gebüsch und ein einzelner Rosmarinbusch mit Duft und winzigen blauen Blüten sind zu wenig. In den deutschen Nachrichten war kürzlich die Rede davon, dass Spanien derzeit am Verdursten ist - es hat so wenig geregnet, dass sogar die Talsperren ausgetrocknet sind bis auf den letzten Tropfen, so dass ehemalige uberflutete Dörfer wieder begehbar sind.
    Erst auf dem Rückweg im Abendlicht erschließt sich uns der Charme der abweisenden Moreras-Landschaft doch noch. Die marmorierten Felsblöcke sind ein von der Natur geknetetes Gebäck, mehrstöckige Tortenstücke in kakaobraun, ocker bis zitronengelb. Im Meer sollen sich laut Touristeninfo Schildkröten, Delphine und sogar Pottwale tummeln. Zu Gesicht bekommen wir weder die einen noch die anderen. Nur ein Boot aus Stein schwimmt vor der Küste - mit steinernen Menschen darin.
    Die Sonne versteckt sich heute hinter einem Hügel und macht aus ihrem Untergang ein Geheimnis, ehe sie dann doch noch eimerweise Rot ausschüttet, das der Horizont kaum fassen kann.
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  • Day 5

    Ausflug nach Cartagena

    February 20, 2022 in Spain ⋅ ⛅ 14 °C

    Viele Wege führen nach Neu Karthago. Wir erwischen ungesucht einen durch die Berge. Er schenkt unserem Blick glückliche grüne Kleewiesen, gesprenkelt mit gelben Blumen, blühenden Mandelbäumen, manchmal den Tagtraum eines über und über mit Früchten behangenen Orangenbaums. Zwischendurch eröffnen sich weite Ausblicke in die Ebene, die wir wenig später durchfahren - auch hier Mandelpflanzungen, doch ohne Blüte, der Frühling ist hier fast vorbei.
    Cartagena wurde ca 220 vor Christus von dem karthagischen Feldherrn Hasdrubal gegründet und war später der wichtigste römische Stützpunkt an der westlichen Mittelmeerküste. An jeder Ecke stolpert man hier über Relikte aus jener Zeit. Heißt es. Aber glaubst du, wir finden die? Ich habe noch nie ein Stadtzentrum erlebt, das sich derart hartnäckig vor seiner Entdeckung ziert, wenn man mal von dem weithin sichtbaren Fort auf einem Hügel absieht. Dabei müsste man ein laut Reiseführer in der City lokalisiertes römisches Amphitheater doch eigentlich ebenfalls ohne Vergrößerungsglas orten können! Notfalls auch ohne Hinweisschilder, die hier, wie wohl in vielen spanischen Städten, Mangelware sind. Klar, die Spanier wohnen ja da, die brauchen das nicht. Auch das zu Rate gezogene Internet, dein Freund und Helfer, bleibt einen heißen Tipp schuldig. Empfiehlt stattdessen den Besuch des Barrio Getsemani, eines Cartagener Stadtviertels mit Streetart und klatschbunten Häusern. Ich bin Feuer und Flamme - da will ich hin! Aber wo ist das? Und wieso unterschlägt der Reiseführer so eine Attraktion? Fragen über Fragen! Mystisches Cartagena! Der Klick auf den Routenplaner meldet für das Barrio eine Fahrtzeit von 16 Stunden 35 Minuten und mein Gehirn meldet: Reingefallen. Das spanische Cartagena hat eine Zwillingsschwester in Kolumbien und ist an diesem Nachmittag definitiv noch unerreichbarer als der historische Kern der Stadt, in der wir seit gefühlt einer Stunde ergebnislos herumkurven. Schließlich parken wir am Hafen und versuchen unser Glück mit den E-Bikes. Und tatsächlich müssen wir gar nicht lange suchen: Es gibt sie: die Stadtmauer, die Gassen und Gässchen, die schließlich auf die Calle Gisbert münden, die in ocker- und schiefergrauem Marmor gepflasterte Prachtstraße, die das Sonnenlicht reflektiert wie ein Spiegel. Dort gibt es Restaurants, Laden und Lädchen, an denen am Samstagnachmittag halb Spanien vorbeiflaniert mit Kind und Kegel, Hund und Kinderwagen; es gibt riesige Gummibäume mit Wurzelwerk, alt wie die Welt, und schicke altehrwürdige Hotels mit Stuck und gelbroter Spanienflagge, es gibt schmiedeeiserne Straßenlaternen auf Marmorsockeln, geschmackvolle Holzbänke und dann und wann auch Palmen, und es gibt jede Menge Wind, der durch die Häuserschluchten fegt. Ein Café lockt mit Wärme, unglaublichen Tortenkreationen und Asiatico - wer könnte da Nein sagen? Wir nicht.
    Das römische Amphitheater entdecken wir ganz zuletzt dann doch noch etwas abseits - samt der Ruine der Kathedrale Santa Maria della Vieja, die im spanischen Bürgerkrieg zerstört wurde. Da hat das Wetter bereits abgebaut, und wir kommen in den Genuss der 0,01 Milliliter Regen, die Spanien dieses Jahr abbekommen wird.
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  • Day 8

    Auf der Straße nach Süden

    February 23, 2022 in Spain ⋅ ☁️ 18 °C

    Von Bolnuevo aus zieht sich eine kaum befahrene Autostrada endlos durch Karstgebirge, durch Land ohne Alles, ohne Grün, ohne Charme, ohne Dorf, ohne Wasser. Nur Sonne gibt es und Wind im Überfluss und viele Fragen: Was macht man mit so einem Land? Wozu ist das nütze? Sie sollten aufforsten, meint R, schon lange, das haben sie versäumt.
    Auch das Cabo de Gata am südwestlichsten Zipfel Spaniens wirkt eher karg und kahl. Eine Allee mit Eukalyptusbäumen, immerhin, vereinzelt Palmen. Auf fast jedem Hügel Mühlen-Torsos ohne Flügel, die früher den Wind gemahlen haben. Und Dörfer. San José, das mal ein verschlafenes weißes Fischerdorf gewesen sein soll und nun nur noch weiß ist mit aufstrebenden Tourismus, überall wird gebaut. Braucht man weiße Dörfer, wenn die Natur nichts zuwege bringt?, fragt R. Schön ist der Anblick der im Halbrund der Bucht ums tiefblaue Wasser gelagerten Häuschen allemal.
    Andalusien! Das Cabo gehört bereits dazu, ebenso wie die Stadt Almeria, die wir auf unserer Weiterfahrt links liegen lassen. Hier ist die Gegend in Plastikplanen verpackt, so weit das Auge reicht. Sieht aus wie Meer, ist aber keins. Unter seiner Oberfläche wird das Gemüse für halb Europa gezogen, ehe es in riesigen Trucks mit Schmitz-Anhängern auf Reisen geht. Die dunkle Seite der Tomate. Auch hier wieder Fragen: Was sind das für Leute, die hier für wen arbeiten, wie und wo leben sie? Eine Art Slum am Straßenrand mit behelfsmäßig aneinandergeduckten Zelten, die aussahen wie Plastikpakete, ehe wir vorhin zur Autobahn zurückgekehrt sind, hat uns Schlimmes ahnen lassen. 50, 60 Kilometer weiter bis hinter El Ejido reicht der Alptraum, dann werden die Plastikfelder kleiner und verlieren sich im steilen Gelände schließlich ganz. Machen einer Landschaft Platz, die man nach all den bisherigen Erlebnissen fast als lieblich bezeichnen könnte: In Terrassen angelegte Gärten und Weinberge, dazwischen Cortijos mit Erkern und Türmchen. Links das Meer. Costa Tropical. In der Ferne die weiße Stadt Motril mit dunkler Kathedrale auf dem Berg.
    Noch 60 Kilometer bis Malaga. Jenseits davon soll die Küste mit den Hochburgen Torremolinos und Marbella fest in der Hand des Massentourismus sein. So weit fahren wir aber nicht.
    Unsere Unterkunft etwas westlich von Nerja entpuppt sich als wunderschöne, aufs Vollständigste geschmackvoll eingerichtete Wohnung hoch über dem Meer mit Terrasse zum Verlaufen und auch sonst mindestens eine Nummer zu groß für uns. Was solls! Hier bringen uns für den Rest des Tages keine 10 Pferde mehr weg. Bei Vino tinto und Rs Leibspeise Tortellini blicken wir in den andalusischen Sonnenuntergang samt Abendrot.
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  • Day 12

    Sightseeing in Granada war der Plan …

    February 27, 2022 in Spain ⋅ ☁️ 13 °C

    Viele Wege führen nach Granada - wieder wählen wir den über die Berge, diesmal bewusst - jedoch ohne uns darüber klar zu sein, dass die Strecke uns über hunderte Serpentinen in schwindelnde Höhen von über 1200 Meter führen wird. So kommen Leute, die erst um 13 Uhr in Nerja losfahren, natürlich nicht wie geplant um 14 sondern erst um kurz vor 16 Uhr in Granada an. Zumal sie unterwegs auch noch permanent anhalten, denn an den unglaublich üppigen, unglaublich grünen Kiefern mit ihren riesigen gummiartigen Nadeln kommt man einfach nicht vorbei. Jedenfalls nicht an allen. Und an der übrigen Vegetation auch nicht. Gewürze im Nebel: Rosmarin mit winzigen blauen Blüten, Wacholder, Lavendel. Daneben Zapfengesträuch, Ginster, Oliven. Gelohnt hat sich die Fahrt also allemal. Nicht zuletzt der fantastischen Ausblicke wegen.
    Weiter unten wird es lieblich. Überraschung! Dass wir gerade hier so viele blühende Mandelbäume, Poesie in allen Rosa- und Weißtönen, sehen würden, damit haben wir nicht gerechnet.
    Granada liegt auf 625 Meter Höhe, am Fuß der Sierra Nevada. Die Stadt ist voller Menschen, voller Touristen, voller Studenten, und alle warten auf den Frühling. Doch die Platanen samt dem grauen vertrockneten Laub auf den Plätzen sagen Herbst, die prall behängten Orangenbäume sagen Winter, und das aktuelle Wetter bleibt an diesem Nachmittag jeden Hauch der ersehnten Jahreszeit mit dem Zweitnamen schuldig. Seit Tagen hat es in Südspanien abgebaut, macht gerade mal ein, zwei Stunden am Mittag den Himmel auf, um ein bisschen Sonne durchzulassen. Bei unserer Ankunft in Granada regnet es NOCH nicht.
    Wir haben die Klapp-E-Bikes ausgepackt und sind in Richtung Zentrum unterwegs. An die Achse der Gran Via de Colon reihen sich Universidad, die Alcaiceria (der Seidenmarkt) und die Kathedrale, die die Katholischen Könige 1521 genau an jener Stelle errichten ließen, an der zuvor die Hauptmoschee Granadas gestanden hatte. Rund um dien Dom klammern sich Souvenirshop an Souvenirshop. Auf der anderen Seite der Gran Via zweigen Sträßchen ab und verlieren sich in einem Gässchengewirr. Aber das bekommen wir später. Dass es für die Alhambra nicht oder nur von Weitem reicht, verschmerze ich - immerhin habe ich den Nasridenpalast aus dem 13. Jahrhundert samt Löwenbrunnen und Patio de los Arrayanes (Myrtenhof) bereits einmal besichtigt. Das ist 38 Sommer her, und ich weiß nicht mehr viel mehr, als dass ich von dem Bauwerk-Wunder hingerissen war, noch viel mehr aber von den Gärten mit ihrer Blütenpracht um Generalife, in denen ich einen kompletten Film verknipste, um später festzustellen, dass die Kamera ihn nicht transportiert hatte. Ich weinte einen ganzen Abend lang, suchte tags darauf noch einmal die Gärten auf, um den Fehler gut zu machen, doch ein Teil der Sommerblüte war verwelkt, der Garten nicht mehr der Gleiche und sein Charme keine zweites Mal einzufangen.
    Um die Alhambra wenigstens von ferne zu sehen, haben wir uns an diesem Nachmittag den Mirador de San Nicolas ausgesucht, einen Platz mit Kirche auf halber Höhe zwischen Stadtkern und Albaicin, der maurischen Altstadt. Dürfte doch nicht so schwer sein, den zu finden! Aber denkste! Nachdem uns klar geworden ist, dass die Auffahrt querfeldein durch die Gassen mit unseren Rädern aufgrund der vielen Treppen unmöglich ist, strampeln wir die hoppelige steile Fahrstraße empor, mittlerweile in einem kalten Regen, und erreichen Ewigkeiten später frisch geduscht und mit hängender Zunge die Mini-Place-du-Tertre, auf der sich an diesem Nachmittag halb Granada tummelt. Immerhin - der Ausblick auf Stadt und Alhambra lässt außer der verhangenen Sicht auf die Sierra Nevada nichts zu wünschen übrig - auch wenn wir ihn mit minimalerem Aufwand hätten haben können, hätten wir einen der roten Shuttlebusse oder Taxis genommen, die im Sekundentakt unter der Plattform halten. Bei der Rückfahrt den Berg hinab wünsche ich mir Handschuhe.
    In der Stadt haben sich die Flaneure mittlerweile verdoppelt, verdreifacht. Samstagabendstimmung. Was und wer hier wo alles feiern will! Ausgekühlt, wie wir sind, finden wir in einem der Seitengässchen der Gran Via, in dem sich ausgehungerte Ausgehhungrige aus aller Herren Länder drängeln, die von Julian wärmstens empfohlene Bodega Castaneda. Huh, wie toll, die haben Wärmelampen! Uns gerade recht, denn in ihrem Innern ist die Tapasbar gnadenlos überfüllt, Corona zur Freude, am Tresen gibt es nur Stehplätze. Wir ergattern gerade noch ein wackliges Tischchen outside. Für vier Personen gedacht und für zwei zu klein wird es uns mehrmals streitig gemacht, ehe Vino tinto und der erste Tapas vor uns landen. R kann zuerst nicht glauben, dass letzterer, wie häufig in Südspanien, gratis zum alkoholischen Getränk kredenzt wird. Die Kellner servieren mit freundlicher Lichtgeschwindigkeit, lange Sitzen ist hier nicht. Macht nichts. Nachdem Ensalada de casa und überbackene Aubergine ohne übermäßige Hast verspiesen sind und auch die letzte Wärmelampe an unserer Hauswand den Geist aufgegeben hat, machen wir unser Tischchen für Nachrücker frei, jünger und wahrscheinlich weniger verfroren als wir, die in einer Schlange anstehen. Der Regen bleibt uns auch auf der Fahrt zum Parkhaus treu.
    Fazit: Hierher möchte ich noch einmal kommen, zu einer Zeit, in der es wärmer ist UND sich weniger Touristen auf die Füße treten. Zwei Wünsche, die wohl unmöglich miteinander zu vereinbaren sind, ich weiß. Viva Granada!
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