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  • Day 17

    Munken: Letzte Wanderung auf den Lofoten

    September 9, 2022 in Norway ⋅ ☁️ 9 °C

    Nach einem späten Start geht es heute ein letztes mal hoch hinaus. Nach dem ich meinen allmorgentlichen Bericht fertig gestellt habe, statte ich AllTrails einen Besuch ab. Und hier die große Überraschung....alle Wanderungen ab Å, eingeschlossen der geplanten zur Südspitze, beinhalten jeweils auf Hin- und Rückweg mindestens eine Seite des gestern umwanderten Sees. Das tue ich mir nicht nocheinmal an. Um keinen Preis. Dieses Schlammbad darf gerne jemand an meiner Stelle nehmen.

    Etwas 3/4km die Straße hoch, entdecke ich die nächst möglichen Wanderungen. Ich klicke mich einmal durch die Optionen und stoße auf den Munken. Die Beschreibung hört sich verlockend an: Seen, Wasserfälle und am Ende eine super Aussicht. Bei 797 Höhenmetern, will man das wohl auch meinen.

    Gegen 12.30 Uhr stifel ich los. Mit einem Fuß gerade über die Schwelle, steigt mir der herrliche Geruch frischer Backware, genauergesagt frischen Hefegebäcks, in die Nase. Eine Note von Zimt lässt sich ebenfalls erahnen. Was ein Genuss! Doch ohne Fleiß kein Preis sage ich mir, obwohl ich an 5 Fingern abzählen kann, dass ich bis 15 Uhr nicht mal in die Nähe von Å zurück gekehrt sein werde.

    Hoch motiviert und in freudiger Erwartung, geht es zunächst entlang der Straße. Der Anfang der eigentlichen Rute ist verdächtig schnell gefunden. Fast zu schnell....das richt mir stark nach Schwierigkeiten. Und voila, bereits 100m nach Beginn, habe ich den ersten Schlenker eingebaut. Aber das ist mir egal. Solange es einen Weg gibt und ich ein gutes Hörbuch habe, ist das nur ein zusätzliches Workout. Es geht vorbei an einem Wasserfall richtung See, der als Trinkwasserreservoir gilt. Reichlich Schilder weisen darauf hin und verbieten gleichzeitig Zelten und Baden, sowie alles Weiterer, das Einfluss auf die Sauberkeit des Wassers Einfluss nehmen könnte. Flasche auffüllen steht nicht dabei.

    Ebenfalls verdächtig ist die Steigung bzw. eher deren Abwesenheit. Bei Anwendung norwegischer Maßstäbe, kann man hier selbst bei maximaler Beschönigung nicht von Steigung reden. Allenfalls ließe sich der Begriff 'Unebenheiten' anwenden. Wie man mit so einem Gefälle auf nahezu 800m Höhe kommen möchte, beschäftigt mich mit jedem Meter mehr, den ich weniger zum Gipfel habe. Der erste See ist bereits passiert und ich habe gerade einmal 20 oder 30m an Höhe gewonnen.

    Gerade wo ich diesen Gedanken nachhänge, verschmelzen plötzlich Hörbuch und Umgebung in einem solchen Maße, dass als bald meine ganze Aufmerksamkeit vom Hörbuch vereinnahmt wird. Für den heutigen und sicher einige folgende Tage, habe ich mich für "Bis ich dich finde" von John Irving entschieden. Eine wunderbare Geschichte die genau so wunderbar von Rufus Beck vorgetragen wird (Soweit ich das bis jetzt beurteilen kann). Mehr als die derart präzise und fantastische Beschreibung der Charaktere oder die umfangreichen Ausführungen über die Kunst/Welt des Tätowierens, überraschen mich jedoch die Überschneidungen mit meiner Reise und Leben. Da sind zum Beispiel die Niederländerinnen nahmens Els und Charlott. Dann ist da die Reiserute, die von Kopenhagen über Stockholm nach Helsinki führt oder die klassische Musik die sich wie ein roter Faden durch die Reise zieht. Immer weitere Parallelen tun sich auf, die nach und nach Realität und Wirklichkeit verschmelzen lassen.

    Gerade als an besagter Stelle, der Teil "ohne" Steigung in jenen mit "sehr viel" Steigung übergeht, erfährt man wieder einiges aus den Betrachtungen des 4 Jährigen Jack, dem wie ich finde Protagonisten des Werks. Er spricht von den sogenannten "Fjordspringern", also Menschen die aussehen, als würden sie sich aus lauter Verzweiflung oder Unmut am liebsten von einer Klippe in den nächsten Fjord stürzen. Diese Bezeichnung beschäftigt mich und auch Jack kommt bei der Betrachtung immer mal wieder darauf zurück.

    Was am Anfang an Steigung gefehlt hat, hat man nun auf einige wenige Meter verteilt. Fotostops bieten mir die nötigen Verschnaufpausen. Ab und zu begegnet man anderen Wanderern, aber das Wetter steuert seinen Teil dazu bei, das es sich auf ein Minimum an Wanderern beschränkt. Als ich eine Gruppe Osteuropäer überhole, die sich später als Camper herausstellen, liefern 2 Sinne ein recht präzises Bild der Truppe. Der Geruch sagt, es ist Alkohol im Spiel. Die Ohren sagen, Musik um die gefährliche Wildnis und alles sich darin befindliche Getier fernzuhalten. In welchem Verhältnis nun Musik und Alkohol zueinander stehen ist unklar. Meine Vermutung wäre, dass die Ausgelassenheit als Folge des Alkoholkonsums, in irgendeiner Form kanalisiert werden muss, wozu wiederum die aus einem Lautsprecher dröhnende Musik dient. Diese wird durch die 4 oder 5 singende Männer unterstützt. Selbst an der frischen Luft kann ich ihre Rum-Fahne riechen.

    Auf einer Hochebene bei ca. 500m ist dann erst einmal etwas steigungsfreie Zone angesagt, bevor nach passieren einer französischen Wandergruppe, der letzte Teil des Aufstiegs folgt. Alle 15-20 passierten Wanderer erwidern einzeln "Hi" auf meine Grüße.

    Mehr durch Zufall als durch aktives Zutun, benutze ich eine Abkürzung. Diese bringt mich dem Gipfel etwas schneller, wenn auch steiler entgegen. Für den Rückweg plane ich den abgekürzten Schlenker ein, damit ich mich auch ordnungsgemäß an die Rute halte.

    Nach 30 Minuten ist es dann endlich geschafft, ich stehe auf dem Munken. Um mich herum Seen, Berge und Wolken. Letztere hängen so tief, dass sie mich von Zeit zu Zeit in grau hüllen. In den Momenten gewähren sie damit nur einen veeschleierten Blick in die Täler. Ansonsten ist der Ausblick atemberaubend. In einer Richtung erstreckt sich zwischen 2 Bergen eine Bogenbrücke, in einer anderen mehrere tiefblaue Seen und in wieder einer anderen, blickt man auf das Meer, dass sich an der Küste durch hellere Töne hervortut. Wo man auch hin sieht, ein festhaltenswertes Naturschauspiel.

    Dort oben ist es leider bedeutend kälter. Nicht das ich etwas gegen Kälte habe, eigentlich bin ich ihr weitaus mehr zugetan als der Hitze, allerdings ist das Nichtbewegen ein Gamechanger bei Kälte. Der fehlende Wärmegewinn durch Muskelarbeit ist erheblich. Handschuhe und Mütze werden nötig. Aus meinem geplanten Gipfel-Lunch wird nun nichts. Stattdessen gibt es zwei Äpfel und 2 Müsliriegel auf die Faust. Und Abstieg.

    Runter geht bekanntlich schneller und aus unerfindlichen Gründen habe ich sogar die Motivation, meinen Schlenker einzubauen. Sehr absurd; Rufus Beck führt über die Amsterdammer Rotlicht Szene aus, während ich mich durch die skandinavische Pampa kämpfe. Auf dem Weg nach unten geht es eigentlich zu wie auf dem Weg hoch. Der einzige Unterschied sind 2 Britten, den ich die Abkürzung zeige, die alkoholisierten Hobbysänger, die es auf der Anhöhe tatsächlich noch fertig gebracht hatten Zelte aufzustellen und 3km bevor ich den Fuß erreiche, meine Begegnung mit Charlott.

    Als ich Charlott antreffen wirkt sie verwirrt. Da ich sie freundlich und mit einem Lächeln grüße, geht sie davon aus, wir würden uns kennen. Das wiederum löst in der Folge bei ihr die Maschinerie des verzweifelt alle Schubladen Aufreißens und Zuordnenwollens aus. Das Unbehagen mich nicht wiederzuerkennen, steht ihr deutlich ins Gesicht geschrieben. Erst als ich beteuere, daß es nichts zu erinnern gäbe und wir noch keine Bekanntschaft gemacht haben, beruhigt sie sich.

    Charlott kommt aus Frankreich. Wie ich erfahre ist sie dort im Rechtswesen tätig, jedoch nicht als Anwalt, sondern arbeitet mit Flüchtlingen. Es ist ihre erste Wanderreise, die sie ebenfalls mit Interrail erlebt. Im Gegensatz zu mir, hat sie ihren ganzen Hausstand auf dem Rücken und hat die Nacht im Zelt kurz vor dem Gipfel verbracht. Der Fakt das jemand dort mit so einem riesigen Backpack hochstapft, beeindruckt mich. Ungefragt setze ich mich zu ihr auf den Felsen und warte, bis sie genug Energie für den restlichen Abstieg getankt hat. Dann setze ich langsamer aber in Gesellschaft, den Abstieg vor. Auf Steilen Stücken nehme ich ihr die Walkingstöcke ab, so dass sie sich mit beiden Händen an den Seilen und Felsen langhangeln kann...Das vereinfacht die Situation sichtlich.

    Auch wir erreichen sicher irgendwann den Boden. Es ist 19.00 Uhr. Während Charlott ihr Nachtlager auf einer hiesigen Wiese aufschlägt, begebe ich mich auf den Heimweg. Entlang der Straße bin ich sehr vorsichtig. Ich wechsel die Straßen jeweils so, dass ich aus beiden Richtungen rechtzeitig zusehen bin. So erspare ich mir Probleme mit der Auslandskrankenversicherung.

    Im Hostel angekommen, gestaltet sich der Abend ähnlich unspektakulär wie den Tag zuvor: Duschen, Nudeln, Kaffee, Berichtschreiben. Als Lisa aus Svolvær zurück kehrt, schnacken wir noch über dieses jenes welches und gehen viel zu spät ins Bett....

    Morgen dann die Abreise von den Lofoten.🥴👣
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