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  • Day 21

    Nass, Nasser, Norwegen 🌧

    September 13, 2022 in Norway ⋅ 🌧 6 °C

    Bei näherer Betrachtung, fallen mir nur 2 plausible Gründe ein, warum ich mir trotz des Wetters die Frage aller Fragen stelle: "To hike or not to hike?" und sie anschließend auch noch mit: "hike" beantworte. Ersterer vo beiden bezieht sich auf das Wetter selbst. Laut Norwegern bzw. Skandinaviern im Allegemeinen, gibt es ja kein schlechtes Wetter, sondern nur die falsche Kleidung. Sollte ich mir also die Blöße geben und auf die Frage warum ich Åndalsnes nicht wandern war, das Wetter als Grund nennen? Nein, das ging nun wirklich nicht entschied ich. Diesem Grund schloss sich zweiterer an, dass ich extra 2 Nächte für insgesamt 110 Euro gebucht hatte und dieses Geld noch sinnfreier investiert wäre, würde ich den Tag drinnen verbringen. Für dieses Geld hätte ich ebenso gut einen Friseurbesuch + 10kg Äpfel in Norwegen bekommen.

    So geht es also, nach reichlich Vorbereitungen und der Vollendung der provisorischen Planung für morgen, hinaus ins norwegische Nass. Für mich auf diesem Trip das erste mal. Dafür müsste ich mehr als dankbar sein, was mir auch alle Locals bestätigen. Dieser Sommer soll so mies gewesen sein, dass es glatt an ein Wunder grenzt.

    Ich stiefel los. Garnicht so übel. Mit der richtigen Kleidung, bekommt man erstmal fast nix mit vom Regen mit. Direkt gegenüber ist offenbar gerade Hofpause. Die Grundschüler jagen einem Ball nach. In Pulli oder Jacke pesen sie durch die Gegend, als könnte man bei richtigem Tempo, den Tropfen einfach ausweichen. Die Lehrer sind langsamer, dafür auch mit Schirm unterwegs. Unweigerlich erinnere ich mich zurück an meine Schulzeit. Was war das für ein Trubel und gejuchtze, wenn bei minimalstem Sprühregen, die Regenpause ausgerufen wurde. Hier sind die Kinder offensichtlich aus einem anderen Holz.

    Der Wanderweg beginnt fast in der Stadt. Es sind nur 250m bis ich den Beginn erreicht habe. Zunächst ist der Pfad noch durch Metall Stege und Treppen befestigt, dann jedoch beginnt der abenteuerliche Teil. Steil bergauf muss man sich seine optimal Linie selber suchen. Den größten Teil der Strecke ist der "Pfad um die 5 - 15m breit und besteht aus freigelegte Wurzeln von Nadelbäumen sowie Steinen. Nach ca. 150-200 Höhenhetern, beschränkt sich die Aussicht bereits auf die unmittelbare Umgebung. Als ich die Aussichtsplatform, ca. 600m u. 0 erreiche, führt der Steg ins Nichts. Nur umgeben von weißen Schleiern und dem unter mir klaffenden Nichts. Ich schloss auch noch die letzten hundert Höhenmeter ab, bevor auf 708m ü. 0, wie aus dem Nichts, die Seilbahnstation auftaucht. Bereits hier peitscht mir der Wind die Böhen und Tropfen nur so um die Ohren. Ich bin mir nicht ganz sicher, ob das klamme Gefühl vom Schwitzen oder Regen kommt, jedoch bin ich nass. Nicht nass nass, aber definitiv nicht mehr trocken.

    Nicht ohne Grund dachte ich in genau diesem Moment über die Funktionalität meiner Kleidung nach...nein...mein Hörspiel lenkte meine Gedanken in diese Richtung. Nun könnten sich aufmerksame und zugleich informierte Leser fragen, was das mit 'Bis ich dich finde' zutun haben könnte, denn die letzten 10 CD's hätte ich selbst in einem Hörbuch Marathon nicht bewältigen können. Zumal es (nach meinem Kenntnisstand) auch auf keiner der 20 CD's um Outdoor Bekleidung geht. Tja, Not gedrungen musste ich ein neues Hörbuch anfangen, bevor ich das alte abschließen konnte. In dem mir ausgehändigten Ordner, fehlen nämlich 4 Teile. So fing ich mit 'The Rosi project' an. You guessed it, diesmal bin ich Englisch unterwegs. Unbeabsichtigt bildet das Werk jedoch ein perfektes Pendant zu dem bisher gehörten. Erlaubt diesen kleinen Abstecher, ich finde auch gleich wieder zum Thema zurück. Während Jack in 'Bis ich dich finde eher seine emotionale, subjektive Erfahrung mit Liebe und Sexualität teilt, so tut es Don auf einer fast ausschließlich naturwissenschaftliche, statistische Art und Weise. Er als Autist muss sich sein Sozialesbewusstsein erst aneignen und beschreibt daher Sozialenormen und -verhaltensweisen erschreckend genau.

    Was er ebenfalls sehr genau beschreibt und worauf ich eigentlich hinaus wollte, ist seine Goretex Jacke. Als er in einem Nobelrestaurant gebeten wird ein Jacket zu tragen, weist er den Kellner höflich auf die funktionellen Vorteile seiner "Jacket" hin. Eben in diesem Moment gleiche ich die Parameter mit meiner Ausrüstung ab.

    Auf der Terrasse der Gondelbahn, von der aus man ebenfalls auf eine weiße Wand starrt, treffe ich auf eine junge Angestellte. Sie beginnt eine Konversation und ich zeige mich dem gegenüber offen, denn nach dem Aufstieg ist gegen eine kleine Pause nix einzuwenden. Sie erzählt, ich solle wenn ich vorhabe über den Pass zu wandern, auf dem Pfaden bleiben, ansonsten besteht ein sehr großes Risiko des Abstürzens. Sie äußert ihre Bedenken zu recht. Hier oben kann man gerade einmal 5-10m nach vorne bzw. 5m zur Seite schauen, bevor der weiße Schleier den Rest verhüllt. Zu den Seiten ist es besonders schlimm: man sieht gerade noch das es bergab geht, aber dann ist cut...sehr beängstigend.

    Sie erzählt mir aber auch was über die Seilbahn, die es dort erst seit einem Jahr gibt. Laut ihr ist das ganze Projekt so angelegt, dass man es bis auf ein Minimum an environmental impact, sofort zurückbauen könnte. Das einzige was bleiben würden, wären 6 Löcher im Fels. Das eine ist der Kabel und Rohrschacht, für den ein Experte beordert wurde, ein 1,4km tiefes, senkrechtes Loch zu bohren - einmal von unten nach oben. Bei den Bohrungen von unten und oben, verfehlten man sich nur um 40cm, was ich bei der Dimension sehr beeindruckend findet. Auf Grund der hohen Preise (39€) bietet sie mir an mir heimlich ein Kinderticket (19€) zu verkaufen...auf dem Rückweg entscheide ich mich jedoch da gegen.

    Ich ziehe Hörspiel hörend weiter...von nun an wird es ungemütlich. Die Böhen erfassen mich teilweise so abrupt und heftig, dass meine Reflexe auf Höchstleistung getestet werden. Der Regen hat sich nun zumindest bis in meine Jackentaschen vorgekämpft, womit er ständig mein Handy steuert und pausiert, vor- oder zurückspult. Meine Handschuhe sind dermaßen nass, dass ich alle 2-5 Minuten nur die Faust ballen muss, um einem Wasserfall ins Leben zu rufen. Aber ich Kämpfe mich vor. Die Sicht Verhältnisse habe ich ja eben schon beschrieben, jedoch werden diese eher schlimmer. Ab und zu tauchen wie aus dem Nichts Gegenstände oder Abgründe vor mir auf. Als ich die 970m oder so erreicht habe und der Grad so schmal wird, dass er Klettern erfordert bzw. bei einem Ausrutscher der Schwerkraft nix im Wege stünde, kehre ich um.

    Für den Rückweg verhält es sich fast identisch. Nur sind die Böden mittlerweile noch vollgesogener, die Steine noch rutschiger und die Böhen sind intensiver. So passiert das Unvermeidbare; eine Böhe erfasst mich, meine Beine haben gerade auf einem Stein keinen festen Halt und ich stürze. Dabei schlage ich mir ziemlich heftig das Knie auf. Im ersten Moment bin ich nicht sicher, ob es ein Blauerfleck oder verdreht ist. Spielt auch keine Rolle, denn Fakt ist: es tut weh. Der Rest meines Körpers befindet sich in einer Pfütze. Im Bewusstsein, dass es irgendwie bis unten gehen muss, was dem überwinden von 700 Höhenmetern auf 5km entsprach, rappel ich mich auf und ziehe weiter.

    Overthinker wie ich nun mal bin, tapse ich erneut zur Seilbahnstation. Mein Gedanke: der Frau Bescheid geben, dass ich nicht abgestürzt bin und nicht mit der Gondel fahre. Zu meiner Überraschung ist dort allerdings ein älterer Herr, der von meinem Englisch nix versteht und überhaupt nicht weiß was ich möchte. Ich habe es probiert.

    Auf dem finalen Abstieg folgt eine Menge fast Gefalle. Inzwischen waren die Wurzeln so dermaßen Nass, daß man kaum irgendwo festen Halt bekommt. Bei größeren Schritten meldet sich das Knie. Ich verzichte hier auf Details, denn im Grunde nehme ich auch nicht viel mehr wahr als, nasse Wurzeln Steine und Nebel. Das nicht Fallen erfordert meine gesamte restliche Konzentration.

    Gegen 18.30 Uhr erreiche ich nach ziemlich genau 10km und 897 Höhenmetern meine Unterkunft. Ziemlich genau alles ist zu diesem Zeitpunkt nass. Jetzt heißt es improvisieren, denn nochmal reise ich nicht 3 Tage mit nassen Sachen durch die Gegend. Der Keller ergibt nichts, außer dem Auffinden eines mega Fitnessraums. Das hilft mir zumindest später am Abend dabei, die lauten Schreie, Stöhner und Musik zuordnen zu können. Meine Suche im Wohnbereich ergibt 2 Elektro-Heizkörper. Wird eng, aber machbar. Den Rest des Abends eile ich also hin und her, wende die Sachen, positioniere sie neu und koche nebenbei Nudeln. Ich schaffe es tatsächlich bis um 3 Uhr, alles trocken zu haben. Leider frisst das auch meine ganze Nacht. Während ich warte, tue ich was ich schon ewig machen wollte, ich Zeichne meine Rute hier neu nach, damit nicht mehr alles doppelt und 3fach erscheint. Als das endlich geschafft ist, bin ich so so so glücklich und gehe schlafen...
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