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  • Day 22

    Die Kreuzfahrer

    September 14, 2022 in Norway ⋅ 🌧 10 °C

    (Immer noch in Geiranger)
    Die Verzögerung tut mir leid, aber es gab immer viel zu tun zwecks Hostel Suche etc.

    Geiranger bietet die ersehnte Verschnaufpause. Ein Rundumblick bestätigt auch die Aussage des Deutschen Auswanderers aus Åndalsnes: Geiranger hat nur den Tourismus und die Natur; weiter nichts. Wenn der Tourismus nicht wäre, würden nur ein paar verlassene Häuser und Hotels übrig bleiben. Das nimmt den Druck, auf große Erkundungstour gehen zu müssen. Einziger Pflichtpunkt, ist die Beschaffung eines Fährtickets. Ohne das geht es in 2h nicht weiter. Da es sich um die "Legendäre" Fjordfähre handelt, wie das Unternehmen später auf dem Schiff 3 sprachig zum Besten geben wird, sind auch die Preise legendär. Man betrachte sich ebenfalls als Teil des UNESCO Weltkulturerbe, gleich dem Geiranger Fjord. Mein Trost; zumindest bekomme ich etwas von der Wasserseite des Fjords mit.

    Nach dem das erledigt ist, besorge ich mir Postkarten. Tja, Postkarten....natürlich immer eine nette Geste und heutzutage sicher eine Rarität in deutschen Briefkästen, doch auch diesen Luxus muß man sich in Norwegen leisten können. Da ich aber bisher nix außer Lebensmitteln, Unterkünften und Fortbewegungsmitteln gekauft habe, kann man das durchaus machen. Zu mal ja auch der Nutzen (die Freude der Empfänger) den Kosten überwiegt.

    Nun, da auch diese Aufgabe absolviert ist, habe ich keine festen Ziele mehr. Es zieht mich ans Wasser. Von hier aus bewundere ich erneut die Schönheit des Fjords. In meinen Gedanken stelle ich mir vor, wie es wohl bei Sonnenschein und Schneeschmelze ausschaut, wenn all die Wasserfälle schäumend in die Tiefe stürzen. Definitiv ein Grund noch mal herzukommen.

    Während diesen Überlegungen, den Postkartenmotiven die in meinem Kopf umher kreisen und der Musterung der Gegend, überkommt mich ein sonderbares Gefühl. Irgendetwas ist anders. Ich spüre etwas, kann es aber nichts und niemandem zuordnen. Eine unterbewusste Wahrnehmung, die ihren Ursprung nicht preisgibt. Mein erneut schweifender Blick macht schlussendlich die Ursache ausfindig. Geräuschlos und langsam, als pirsche es sich an, schiebt sich zunächts nur ein Bug und dann ein gigantisches Kreuzfahrtschiff um die Ecke. Mit gemischten Gefühlen von Verabscheuung und Faszination, beobachte ich diesen Vorgang. Das leise, fortwährende Wachstum dieser Bettenburg.

    Auch andere Umherstehende sind auf das Boot aufmerksam geworden. Als bald bilden sich einzelne Grüppchen entlang des Piers, die mit diversen Geräten, das Geschehen festhalten. Natürlich ist es beeindruckend zusehen, wie so ein Koloss auf einer derart schmalen Wasserstraße bewegt wird, aber muss das wirklich sein? Muss jeder dieser verdammten Kreuzer die Möglichkeit bekommen, an jeder gewünschten Mülltonne zu halten? Ich denke nicht. Warum ist es so unvorstellbar, dass es Orte gibt, an die man eben nicht mit dem Kreuzfahrtschiff kommt? Ihr merkt schon, bereits nach kurzem überwiegt eine durch Wut dominierte Anspannung. Ich versuche mich zu beherrschen, aber folgenden Gedankengang kann ich einfach nicht unterdrücken. Je näher der Koloss kommt, desto stärker nimmt die Wut Gestalt an.

    Beim Suchen einer Übernachtung Möglichkeit in der Gegend, bin ich auf den Geiranger Campingplatz gestoßen. Auf seiner Website gab es eine Excel Tabelle mit allen Kreuzfahrt Ankünften. Das sind im Sommer mind. 1 täglich, allerdings gab/gibt ea auch Tage, an denen bis zu 3 Riesenkreuzer nach Geiranger vordrangen/vordringen.

    Was müssen die Einheimischen denken, wenn 3 mal am Tag ihre Heimat von Touristenströmen überrannt wird, 3 mal am Tag ihr wunderschöner Fjord durch eine riesen Matallberg gezeichnet ist und 3 mal am Tag die Luft mit dem Geruch von verbranntem Schiffsdiesel erfüllt ist? Tja, was ist schon eine Meinung wert, wenn die Einkünfte davon abhängen.

    Die Gegend ist so stark um den Tourismus entwickelt, dass es keine Sache von 5 Minuten wäre, den Tourismus plötzlich auf Nachhaltigkeit und Einklang mit der Natur umzustellen. Der Titel des UNESCO Weltkulturerbe bedeutet, daß diese Gegend besonders schützenswert ist und die Erde bereichert. Doch mich überkommt eher das Gefühl, als ob eine Gegend dadurch einer größeren Masse zugänglich gemacht werden muss...natürlich gilt das nicht nur für Kreuzfahrtschiffe. Die Campervans und Wohnmobile sind auch nicht besser, genauso wenig wie einige Camper. Von Locals habe ich gehört, dass man in der Nähe von Stellplätzen garnicht mehr in den Wald gehen kann, schon garnicht mit Hund. Überall liegt (excuse language) Scheiße rum! Was muss das für ein Gefühl sein, morgens auf zu stehen, dass Haus zu verlassen und direkt auf einen nackten Hintern zu blicken, der dir ein Haufen in den angrenzenden Straßengraben setzt? So skurril das auch klingt, so sieht die Realität in der Hauptsaison aus. Da kann ich zu 100% nachvollziehen, wenn die Locals freudestrahlend Berichten, dass das Allmansrecht, auf welchem das "Wildcampen" und ein Großteil des Massentourismus fußt, gekippt werden soll. Natürlich gilt das alles unter vorbehalt und ich weiß das da draußen auch viele verantwortungsvolle Menschen unterwegs sind, von denne ich sogar einige auf meinem Trip kennenlernen durfte. Trotzdem musste ich dem einmal hier Ausdruck verleihen.

    Ich stehe weiter am Kai und grübel.
    Wozu das ganze? Damit die Leute einmal hochgescheucht werden, 3h frische Bus Luft schnuppern um dann wieder im Inneren der schwimmenden Stadt zu verschwinden und beim Captains Dinner mit Blick auf den Fjord sagen zu können: "Mensche Geiranger hat uns gefallen. Tolle Stadt und die Natur erst! Die Menschen sind auch alle so freundlich. Ach herrlich ist das. Hier kommen wir nochmal her, hier gibt es ja soviel mehr zu entdecken.". Und zu Hause wird dann erzählt, daß ganz besonders der Fjord ein Highlight war und: "ach, schaut mal was wir mitgebracht haben.", worauf etwas vorgelegt wird, das es komplett identisch, in 1000 weiteren Tourishops genauso überteuert zukaufen gibt. Ein Favorit z.B. die Hirsch, Rentier oder Wal Salami, die mehr Schwein als alles andere enthält sowie Kleidung der Marke Scandinavian explorer. Ist das wirklich der Grund, warum ein riesen Kreuzer so ein schweres Manöver fährt, 5h lang bei stehendem Schiff Brennstoff verbrannt wird und eine riesen Maschinerie aufgefahren wird, um die Leute vom Boot runter, in die Umgebung und wieder rauf zu bekommen?

    Ich will hier nicht die Kreuzfahrtindustrie in den Dreck ziehen. Mit ist bewusst, daß es vorallem für ältere Menschen ein Weg sein kann, trotz weniger Kapazität etwas von der Welt zusehen. Trotzdem muss man sich immer dessen bewusst sein, was man dafür der Natur und vorallem den Einheimischen antut. Natürlich lächeln sie, natürlich sind sie freundlich, aber wenn mein Gehalt davon abhängen würde, wieviel Schneekugeln oder Schlüsselanhänger ich verkaufe, dann wäre ich genauso drauf.

    Zurück an den Ort des Geschehens. Nun zeigt sich nämlich der Aufwand, mit welchem dieser eine Landgang verbunden ist. Zunächst positioniert sich der Kreuzer zwischen 3 Bojen; 2 am Heck, 1 am Bug. Dann fährt ein kleines Boot mit 2 Leuten hinaus, welche die Taue annehmen und zu den Bojem schleppen. Auf dem Schiff ziehen weitere Leute die Taue fest. Alleine dieser Prozess nimmt schon eine Stunde in Anspruch. Dann kommt ein ausklappbarer Steg zum Einsatz, welcher über Motoren in den Schwimmelementen verfügt. Er wird von weiteren 4 Menschen befähigt. Diese navigieren ihn an den Kreuzer. Dort werden wieder anderen Besatzungsmitgliedern Seile mittels langen Stangen übergeben. Der Steg wird fest vertäut und...

    Den Rest bekomme ich garnich mehr mit. Ich habe über meinen Beobachtungen und Grübeleien komplett die Zeit vergessen. Erst als ich vermeintlich meine Fähre erblicke, wie sie sich von den geladenen Autos und Personen befreit um Platz für die Rückkehr nach Hellesylt zu schaffen, wird mir bewusst, dass der Prozess schon 2h andauert. Noch immer stehen die Passagiere des Kreuzers aufgereiht an den Balkonen und Sonnendecks. Trotz der vielen Bemühungen ist nicht im Sicht, dass sie so schnell von Bord kommen werden. Eigentlich wollte ich miterleben, was passiert wenn plötzlich alle von Bord strömen und welche Dynamik sich entwickelt, aber in Anbetracht der Zeit, eile ich lieber zu meiner Fähre, die pünktlich 14 Uhr zu ihre 1 stündige Fahrt aufbricht.

    Es wird eine bewegte Stunde: Wasserfall hier, Bauernhof da, man weiß garnich auf welche Seite man sich begeben soll. Immer wieder taucht auf der genau anderen Seite etwas Interessantes auf. Dazu gibt es einen mehr als überflüssigen Audioguide, der überdies noch etwas unbefriedigend in der Ausführung ist. So heißt es z.B. ganz am Anfang, dass mit fast allen Höfen ein tragisches Schicksal verbunden ist. Was genau es damit auf sich hat erfahren wir nie. Während der gesamten Überfahrten regnet es. Die dicken grauen Wolken denen es dafür bedarf, hingen ja schon den ganzen Tag tief über dem Fjord. Ganz am Ende, als wir eigentlich schon auf den Hafen zu steuern, erblicke ich noch Delphine.

    Ich betrachte die Fahrt als eine gelungene Abwechslung zu meinem bisherigen Tag. Natürlich war sie das Geld bei weitem nicht wert, doch der Reiseplan gibt sie als unerlässlich an...anders würde ich jedenfalls nicht nach Stryn gelangen.

    Am anderen Ufer in Hellesylt, gilt es erneut 2h zu überbrücken. Ich entschließe mich noch einpaar Lebensmittel zu besorgen und dann eine Bäckerei aufzusuchen, in der man bei Kaffee und Snack, 1 Stunde im Trockenen verbringen kann. Relativ schnell werde ich fündig; gepriesen sei Google Maps. Beim Snack fällt die Wahl meines Gasters auf Foccacio mit Tomate Mozzarella Füllung. Teuer, nicht überragend aber sättigend, lautet das Fazit.

    Zeit für einem Bus, nicht? Wie wäre es zum Abschluss noch mal mit einem neuen Verkehrsverbund? Jup klar, kriegen wir hin. Einen ohne eigen App? Auch das! Nehmen wir doch Skyss. Achso, ganz vergessen. Skyss steht nur auf Google Maps als Betreiber. Der Bus der schlussendlich hält, ist von Kringom. Hier ist mir nicht klar wie ich Tickets buchen soll. Laut Fahrer geht es ebenfalls über die FRAM App...gesagt getan, kontrollieren tut es eh nur der Busfahrer und wenn es für ihn klar geht, ist alles bestens.

    Von der Busfahrt erlebe ich nur den Anfang und Teile des Endes. Meine Müdigkeit lässt mich permanent wegdösen. Kurz vor der Ankunft in Stryn erwache ich. Eigentlich gab es ja mal den Plan wandern zu gehen, aber sowohl das Wetter, dicke Tropfen peitschen mir ins Gesicht als ich aussteige, als auch mein Energie Level sagen nein. Erstmal zu sehen, dass ich meine Hütte bekomme.

    Der Campingplatz ist nur 11 oder 12 Minuten vom Busbahnhof entfernt. Natürlich regnet es den gesamten Weg über, doch mit Regenschutz Jacke und Regenhose bin ich bestens ausgestattet. In einer Email hatte ich mich für 15 Uhr angekündigt und als ich vor der verschlossenen Rezeption stehe, ist es Punkt 15 Uhr. Nach einem kurzen Telefonat ist auch sofort eine Frau zur Stelle. Sie meint sie würden vor dem Wochenende und dem damit einhergehenden Ansturm noch einmal Kraft tanken. In Stryn findet von Freitag bis Sonntag nämlich ein Oktoberfest statt. Ein riesiges Even für die Gegend. Natürlich erkundigt sie sich bei mir direkt nach nach "unserem" Oktoberfest, zu dem ich als eingefleischter Mecklenburger natürlich ne Menge erzählen kann. Sie drückt mir den Schlüssel in die Hand und ich buche noch 2 Duschmarken. Dafür gibt es sogar eine Postkarte umsonst....was ein Tausch.

    Die Hütte ist eben eine Hütte. Sie hat eine Terrasse, und drinnen 4 Betten, einem Tisch, eine elektronische Herdplatte und einem Kühlschrank. Es ist die einfachste Ausstattung die Sie anbieten. Dafür darf man allerdings die Gemeinschaftsräume mit benutzen. Mein erster Instinkt ist direkt schlafen zu gehen....aber es ist 15.30 Uhr....Das kann man nicht machen. Wie kann man sonnst den Tag sinnvoll nutzen? Ah ja! Wandern!
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