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  • Day 25

    Myrdal-Flåm: Trip der Enttäuschung

    September 17, 2022 in Norway ⋅ ☁️ 6 °C

    Die Zugfahrt zwischen Bergen und Myrdal ist sehr hinreißend. Beginnend in Bergen geht, es zunächst ziemlich lange entlang von Fjorden, die in der Morgenstimmung ruhig darliegen. Kurz hinter Bergen überspannt eine gigantische Brücke den Byfjord, dessen Ufern die Strecke überwiegend folgt. Viele Tunnel verbergen leider viel von der Sicht, jedoch sind die zwischenzeitlich Aussichten gigantisch. Bootshäuser und kleine Ortschaften säumen den Fjord, tut es nicht die Natur. So wie der Zug sich weiter in das Inland vorarbeitet, werden die Fjorde schmaler und schmaler. Während man zunächst nur die Umrisse der am anderen Ufer gelegenen Häuschen und Boote sieht, so kommen sie im Verlauf zunehmend dichter. Man erkennt nun schon Details und kann die Farben ausmachen. Natürlich gibt es keinen Unterschied zu den Gebilden auf unserer Seite des Fjords, allerdings sieht man sie nun auch mal aus der Perspektive vom Wasser aus.

    Kurz hinter Helle, wird der Fjord so schmal, dass ich ihn fast für einen See wenn nicht sogar Fluss halte. In dieser Ecke sind es charmante Bootshäuschen in klassischer Skandinavien Optik, die teils frisch saniert, teils komplett marode und zerfallen darliegen. In jedem Fall sehr abgeschottet zu sämtlicher Infrastruktur. Schlussendlich endet der Fjord gänzlich und ein Fluss nimmt seine Stelle der uns begleitenden Wassermasse ein. Ein wild sprudelnder, jedoch trotzdem kristallklarer Fluss, wartet immer mal wieder mit spektakulären Stromschnellen und Sandbänken auf. Er trägt den Namen Daleelva. An einigen Stellen ist er 10-20m breit, an anderen sind es mehrere hundert Meter, wobei bewaldeten Sandbänken ihn in mehrer einzelne Rinnsale teilen, die sich nach einiger Zeit wieder zu einem gemeinsamen Strom vereinigen. Das weit über die Kapazität des Flusses hinausreichende Kiesbett lässt nur erahnen, was hier zur Schneeschmelze im Frühjahr los ist.

    Auf der gesamten Strecke hat der Zug schon ordentlich an Höhe gewonnen. Mittlerweile sind es Berge und Hochebenen, auf die man durch das Zugfenster blickt. Ein letzter Fjordausläufer, einpaar Seen mal rechts und mal links, ansonsten Berge. Das wiederum zieht einige Tunnel und damit "deutlich eingeschränkte" Sichtverhältnisse nach sich. Einen positiven Effekt hat es jedoch. Da das Zug W-Lan über Satelliten läuft, ist es in Tunneln denkbar schlecht. Das bedingt seinerseits, dass die klassische Musik, die das britische Ehepaar neben mir meint laut über Tablet Lautsprecher abspielen zu müssen, stockt. Nach einigen Tunnels geben sie sich geschlagen. Zeit zu frühstück. Richtig; den Kaffee gab es schon, nun folgen ihm natürlich die obligatorischen Pfladen mit Marmelade. Heute wird das ganze durch eine Birne abgerundet.

    Die beiden Britten steigen in Voss, der letzte Station vor Myrdal, aus. Ab hier, folgt der Zug der einzigen existierenden Straße in dieser Region, die ebenfalls irgendwann endet und damit der Zug, als einzige Zugangsmöglichkeit nach Myrdal bleibt. 9.20 Uhr erreicht dieser seinen Endhalt Myrdal. Zugegebenermaßen: ein Ort könnte kaum mehr nach Endhalt aussehen. Ein paar gelbe und rote Häuschen, ein roter Holzbahnhof mit 2 Gleisen und rundherum Berge. Aus der Richtung, aus der mein Zug kam ein Tunnel, in Richtung Oslo ein Tunnel und nach Myrdal ein Tunnel. Auch die Temperaturen fühlen sich nach Endhalt an. Der Wind pfeift nur so über den Bahnsteig. Zum Glück gibt es eine beheizte Wartehalle sowie meine Ordnung, der ich es verdanke, dass ich blitzschnell an meine Handschuhe gelange.

    Kurz vor 10 Uhr fährt die Flåmbahn ein. Hier erfolg der erste Schock, als ich bemeke, dass die ursprünglichen grün/gelben Elektrotriebwägen der Baureihe El 17, durch moderne, silbern lackierte und mit Werbung für die Bahn bedruckte El 18 Triebwagen ersetzt wurden. Von den Baureihen El 7 und 8 hatte man leider schon lange Abschied genommen, was meiner Meinung nach eine Schande ist (Bilder gibt es zu allen Modellen im Internet). Na gut, vielleicht wiegt ja die Strecke dafür auf. Von diesem Gedanken verabschiede ich mich, als die Türen aufgehen und ein Heer ultra Touristen, allen voran die asiatische Fraktion, mit Selfiestick und neustem Handy bewaffnet, den Bahnsteig fluten. Die einen raus, die nächsten rein und wieder klingelt die Kasse. In den Wagen selber gibt es Lautsprecher und jeweils 4 Displays, auf denen Abschnitts spezifisch Informationen in 3 Sprachen und Bilder/Karten gezeigt werden. Es ist der Inbegriff von Massentourismus. Nach 200m der ersten Tunnel; 1 von 20. Das wusste ich zu dem Zeitpunkt noch nicht. Ich hatte mir einen Fensterplatz auf der linken Seite ergattert, an dem ich auch das Fenster öffnen kann. Zum Filmen natürlich ideal. Ein Haken hat das ganze jedoch....Im Tunnel müssen die Fenster geschlossen sein. Nach dem also Tunnel Nummer 1 passiert ist, folgt keine 700m weiter der 2. usw. Im Grunde kommt die Fahrt einer U-Bahn Fahrt gleich, zumindest in den höheren Abschnitten. Dann eine beeindruckende 180° Kehrtwende im Tunnel, von der man leider leider rein garnichts mitbekommt denn, yes you guessed it, sie in einem Tunnel stattfindet. Das einzige was datauf hindeutet ist die Geschwindigkeit und das ohrenbetäubend Quitschen der Räder.

    Nach diesem Tunnel erreicht die Bahn einem "Höhepunkt" der Fahrt, einen Wasserfall. Der Kjosfossen wurde zur Freude aller Touristen und abermals vorallem der Asiaten, mit einer Plattform ausgestattet. Ein Halt ermöglicht eine Fotogelegenheit. Die veranschlagten 10 Minuten werden von den Asiaten voll ausgekostet. Es erstaunt mich, in wie vielen Posen sie sich und den Wasserfall präsentieren können. Speicherkartenweise werden Fotos geschossen. Als dann auch dieser Bedarf befriedigt ist, setzt der Zug, welcher schon halb im nächsten Tunnel steht, seine Fahrt fort. Tunnel, etwas Aussicht, kurzsprint der Südkoreanischen Reisegruppe zur entsprechenden Seite, Tunnel, Durchsage, Tunnel, Sprint....im Grunde läuft so die gesamte Rest Fahrt ab. Was man sieht, ist so mittelmäßig spektakulär. Eine Schlucht, den Berg mit den vielen Tunnels und der Kehrtwende, einige weit entfernte Wasserfälle, sehr selten ein Häuschen und ansonsten gaaaaanz viele Bäume.

    Je näher wir dem Meeresspiegel und damit unsererm Ziel Flåm kommen, desto weniger Tunnel versperren die Sicht auf das Umland. Dieses wird jedoch auch immer unspektakulärer, bis zu dem Punkt, an dem es dem Umland entspricht, welches man auf einer normalen norwegischen Zugfahrt erwarten würde: Ein Tal mit Wiesen, Häusern und einem Fluss, das links und rechts von Bergen gesäumt wird. Und schon sind wir da....

    Hätte es nicht beidseits dick und Fett auf jedem der Waggons gestanden, man hätte nicht erahnt, dass man gerade eine der schönsten Zugstrecken der Welt gesehen hat. Evtl. die touristischste oder die mit den schönsten Tunneln, aber da kenne ich weitaus schönere Strecken.

    Zu tiefst enttäuscht und wütend über meine gigantische Fehlinvestition, verlasse ich den Zug. So ein Scheiß! Das Verlassen des Zuges gewährt den Blick auf das "touristische" Flåm. Es ist noch viel schlimmer als der Zug, nein, es ist der Höhepunkt dieser Tragödie in 3 Akten. Ich hoffe als bald den retardierenden Moment erleben zu dürfen, nur um mir das zu ersparen. Neben dem Fähranleger ein reines Touristen Mekka aus dem Boden gestampft worden. 50.000 Shops verkaufen haargenau die selben Postkarten, Magneten, Pullis, Flaschenöffner und den restlichen Krempel. Dazwischen finden sich überteuerte Restaurants und Streetfood Trucks, die für Fish and Chips 22 Euro verlangen. Gut das ich mir eine Wanderung vorgenommen hatte. So kommt man wenigstens aus dem Trubel raus. Andererseits, 10 Euro pro aufzubewahrendem Gepäckstück ist auch fett...ach, ich nehm den Rucksack einfach mit.

    Gesagt getan, ich stiefel los. Schon nach den ersten Metern wird mir bewusst, dass es eine sinnvolle Entscheidung war nur Tagestrips zu unternehmen, nach weiteren Metern Zweifel ich bereits das jetzige Unterfangen an. Als eine Begutachtung der Route auf AllTrails jedoch ergibt, dass es nach den ersten paar Metern Steigung, eigentlich nur noch ebenerdig zu geht, setze ich die Wanderung beschwingt vor. Als erstes geht es zwischen 2 Weiden auf einem Feldweg entlang und anschließend durch den Stadtkern von Flåm, das abseits des sich irrtümlich Flåm schimpfenden Touristen Mekkas, tatsächlich mit idyllischem Kleinstadt-Charm aufwarten kann. Gepflegte Gärten, Obstbäume und die so typischen Holzhäuschen, Reihen sich entlang der Hauptstraße an. Auf der Anderen Straßenseite verläuft ein Fluss, in welchem gerade Kühe stehen und sich anscheinend eine Abkühlung verschaffen.

    Mit der richtigen Musik ist der kleine Ausflug definitiv aushaltbar. Von Wanderung würde ich bei etwas mehr als 4km nicht reden, jedoch bietet sich der Rundkurs ideal dafür an, etwas die Gegend zu erkunden. Bis zum Wasserfall, der eigentlich Teil des Weges ist, dringe ich allerdings nicht vor. 220 Höhenmeter erscheinen mir unangebracht für meine Beladung. Also geht es gerade aus weiter zwischen Weiden entlang, wobei ich die wohl glücklichsten Schweine Norwegens sehe. Auf einer riesen Fläche, ehemals "Weide", tollen eine handvoll der lieblichen Tiere umher. Ich hab Schweine in dieser Haltungsform tatsächlich noch nie oder nur ein, zwei Mal gesehen.

    Nach Beendigung des Rundkurses bin ich durch. Mein T-Shirt könnte man mit Sicherheit auswringen. Auf einer Bank setze ich erst den großen und dann den kleinen Rucksack ab. Das hilft beim Aufsetzen, wenn der Rucksack bereits erhöht ist. Danach platziere ich mich selbst neben dem Koloss.
    Ich fühle mich mehr als bereit für eine Keks und Knäcke Pause. Während ich so dahin knabbere, kommt ein weiterer Zug an. Ein Schwall Menschen strömt heraus, an mir vorbei und geradewegs auf das Einkaufsparadies zu. Nur 2 verpeilte Backpackerinnen stehen einfach da. Zum Ergerniss der anderen, die nun nicht auf direktem Weg ihr Ziel ansteuern können. Als sie mich sehen, steuern sie gerade Wegs auf mich zu. Die beiden kommen aus Kolumbien und sind auf den Weg nach Bergen. Bis ihre Fähre geht, haben sie noch 3h Zeit. Ihr Plan war ebenfalls wandern zu gehen, aber auch sie bleiben an ihrem Gepäck hängen. Ich erzähle von meinem Trip und dass er gut zu bewältigen ist. Nach etwas Smalltalk über unserer jeweiligen Reisen, ziehen die beiden von dannen. Ich habe immer noch 1h Zeit bis meine Rückfahrt geht....so ein misst. Erst kauft man überteuert diese blöden Tickets und dann sitzt man in der Touri-Hölle fest.

    Das einzige was noch spannend scheint, ist das Flåbahn Museum. Es ist sogar umsonst was man in Norwegen erst kritisch hinterfragen und dann ausnutzen sollte. Mein Hinterfragen ergibt, es wird sich nicht um einen Betrüger handeln und ist bestimmt wegen der verdammt hohen Preise für die Bahn inkludiert. Tatsächlich ist es garnicht mal so uninteressant, denn ich erfahre einiges über die Strecke. Die Strecke wurde 1940 soweit fertig gestellt, als dass dampfbetriebene Güterzüge sie bereits nutzen konnten. 1 Jahr später galt selbiges für Personenzüge. Ab 1944 war sie vollständig elektrifiziert. Der Bau begann 1923 und 18 der 20 Tunnel wurden ohne Maschinen von Hand in den Fels geschlagen. Für 1m war dafür ungefähr 1 Monat notwendig, was bei knapp 5,7km Gesamttunnellänge, eine sportliche Leistung ist. Dementsprechend ist mein Respekt den Arbeitern gegenüber sehr groß, mein Bild von denen, die es für Profite ausnutzen, verdüstert sich zunehmend. Wie kann man so ein Werk so misshandeln? Die Arbeiter haben es geschafft, auf 20,2km Länge, einen Höhenunterschied von 864m zu überwinden, in dem sie mit bloßen Händen Löcher in den Fels schlugen und dann kommen die Leute und machen Profit daraus. Ist an andern Stellen auch nicht anders, ich weiß, aber hier regt es mich aus irgendeinem Grund besonders auf. Evtl. weil ich so enttäuscht bin und es ursprünglich ein Highlight meines Trips werden sollte.

    Nun gut, als ich gerade gehen möchte, betritt eine Gruppe komplett orang/ beige bekleideter Männer das Museum. Ich schließe sofort darauf, dass es wahrscheinlich tibetische Mönche sind. In Filmen und Dokus hat man sie ja schon mal gesehen, aber abseits davon, habe ich nicht damit gerechnet. Sogar ihre Wanderschuhe, Mützen, Handschuhe, Jacken und der Rest den sie tragen, ist ausschließlich im diesen Farben. Natürlich zieht das auch Blicke an, denn damit rechnet man ja nicht in Flåm.

    Im Zug setze ich mich diesmal auf die Rechte Seite, sodas ich dir beste Sicht habe Neben mir nehmen unerwarteter Weise die Mönche Platz. Laut meinen Recherchen signalisiert das Orange, dass sie eine Erkenntnisstufe höher sind und sich nicht mehr mit Weltlichem abgeben. In irgendeiner Weise zieht das Orange meine Blicke an. Es ist spannend sie zu beobachten auch wenn ich mir dabei sehr schlecht vorkomme. Ihre Art zu interagieren und auf die Gegebenheiten, die Umgebung zu reagieren, ist wesentlich spannender, als die unveränderte Landschaft draußen. Die Rückfahrt ist noch deprimierender als die Hinfahrt, denn jetzt fehlt auf die Hoffnung.

    Tja, was kann ich sagen...spart euch diese 60 Euro und nehmt zum Beispiel die Oslo - Bergen Bahn, den Arcticexpress von Stockholm, den Zug von Bodø nach Trondheim oder die Bahn von Domås nach Åndalsnes. In allen diesen Zügen seht ihr mehr Natur und Landschaft, als auf der Flåmbahn. Sehr zu empfehlen sind auch die Inlandsbanan in Schweden.
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