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  • Day 13

    Ein angenehmer halber Ruhetag

    November 20, 2022 in Argentina ⋅ 🌧 21 °C

    Rosario, Sonntag, 20. November 2022

    Heute ist schlechtes Wetter mit niedrigeren Temperaturen vorausgesagt. Mit 25 Grad und hoher Luftfeuchtigkeit ist es für uns aber eher schwül, jedoch wesentlich angenehmer als vorgestern bei der Anreise, als wir bei strahlend blauem Himmel und 35 Grad mächtig ins Schwitzen kamen und gerne Schatten gehabt hätten.
    Wir machen wie geplant eine Art Ruhetag, der aber trotzdem einige Aktivitäten beinhaltet. Zu Fuss gehen wir ins Museo de la Memoria (eine Art „Museum gegen das Vergessen“), das sich dem Andenken von Tausenden Ermordeter und Verschwundener in Rosario in der Zeit der Militärdiktatur von Jorge Rafael Videla (1976-1983) widmet. Insgesamt sind in jenen Jahren in Argentinien circa 60.000 Menschen verschleppt und/oder ermordet worden (unter anderem in Hunderten von Konzentrationslagern).
    Das 2010 renovierte Gebäude war sinnigerweise das ehemalige Hauptquartier der Polizei in Rosario, welche für die Morde und Entführungen verantwortlich war. Die permanente Ausstellung besteht aus Werken von lokalen Künstlern, die sich mit verschiedenen Aspekten der Militärdiktatur auseinandersetzen. So gibt es zum Beispiel einen ganzen Saal, wo die Bibliotheksausweise (mit Foto) von Opfern an Fäden von der Decke hängen. In personalisierten Büchern ist ihr Leben beschrieben, dazu die Umstände ihres „Verschwindens“ in Form von zusammengetragenen Informationen von Verwandten, Freunden, Bekannten und verschiedenen Behörden.
    In einem kleinen Innenhof, zu dem einige Stufen hinunterführen, sind zwei Wände von oben bis unten mit Tausenden von grossen Puzzle-Teilen bestückt, die alle ineinander passen. Jedes Teil zeigt zwei bis drei Menschen (siehe Foto). Rechts sind die Verschwundenen abgebildet (meist die Eltern). Auf dem grossen Foto links im Puzzle-Teil schaut uns entweder eine weisse Fläche entgegen oder das Bild eines mittlerweile erwachsenen Kindes, das man nach Jahren der Suche wiedergefunden hat. Unsere Gastgeber erzählen uns am Folgetag, dass man den schwangeren Frauen nach der Geburt die Babys weggenommen und sie den kinderlosen Militärs zur Adoption gegeben hat. Manche dieser Kinder kennen bis heute nicht ihre wahre Identität.
    Uns berühren diese Schicksale sehr.
    Wir sind die einzigen Besucher und werden vom freundlichen Personal im ganzen Gebäude herumgeführt. Martin lässt sich sogar alle Bücher des Museums zeigen, obwohl er schon von vornherein erklärt, dass er aus Platzgründen leider keines kaufen kann. Unsere Rucksäcke sind voll!
    Weiter geht es Richtung Rio Paraná, wo sich das Museo de Arte Contemporáneo (MACRO) für zeitgenössische Kunst aus der Region befindet. Doch zuerst setzen wir uns auf eine Bank am Ufer des Flusses (eine mit Rückenlehne (!!) und keine aus Beton wie in Buenos AIres), lesen in den mitgebrachten Büchern und machen - als wir endlich ein grosses Frachtschiff vorbeifahren sehen - ein kurzes Video für Martins Enkel. Für Regines Enkel reicht die Zeit nicht mehr; das Schiff ist schneller als wir.
    Das MACRO ist in einem ehemaligen Silohaus untergebracht und wie in vielen Museen in Argentinien ist der Eintritt gratis und das, obwohl immer viel Personal vorhanden ist, das mehr oder weniger untätig herumsitzt oder -steht. Im MACRO öffnet ein Mann jedem Besucher eigenhändig die Türe, indem er einen langen Nagel, der unten als Türsicherung dient, herauszieht. Er hat ja sonst nichts zu tun!
    Uns begeistert sofort, dass es einen Aufzug bis in den 8. Stock (dem letzten) gibt, obwohl im Museum nur die ersten vier Etagen mit Werken bestückt sind. Von ganz oben haben wir eine herrliche Aussicht über den Paraná und Teile der Stadt. Regine dreht jetzt ein Filmchen für ihre Enkel… Beim Abstieg über die Treppe hinunter zur Ausstellung entdecken wir, dass man eigentlich gar nicht hätte nach oben dürfen. Aber das war im Aufzug nicht angeschrieben…
    Die Ausstellung selbst mag uns nicht sonderlich zu begeistern, aber es gibt einige herausstechende Werke, die uns interessant erscheinen.
    Zu guter Letzt geht es wiederum zu Fuss und vorbei am sonntäglich stattfindenden Antiquitäten- und Kunsthandwerkermarkt nach Hause, auf Wunsch von Regine durch uns nicht bekannte Strassen, da sie auf der Suche nach einem Churro-Stand ist. Vergebens! Erst auf dem palmenbestückten Boulevard de Oroño (den wir schon kennen) treffen wir auf einen Strassenverkäufer. Seine Churros überzeugen uns aber nicht. Schade! Argentinien ist eben das Land des Eises und nicht das der Churros (wie Spanien).
    In der Heladeria gegenüber der Unterkunft gönnen wir uns nach den langen Fussmärschen deswegen noch ein leckeres Eis. Martin meint, so viel Eis wie hier in Argentinien habe er in seinem ganzen Leben nicht gegessen. Regine kann dies von sich nicht behaupten! :-)
    Zum Abendessen gibt es Käse, Salami, Oliven und Tomaten im Esszimmer der Gastfamilie. Glücklicherweise haben wir noch Brot im Kühlschrank, das wir aus Buenos Aires mitgebracht haben; das Baguette von gestern ist komplett ausgetrocknet und lässt sich nicht einmal mehr toasten!
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