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  • Day 27

    Nach Mendoza und Geldbeschaffung

    January 6, 2023 in Argentina ⋅ ⛅ 35 °C

    Mendoza, Donnerstag, 5. und Freitag, 6. Januar 2023

    Am Morgen um 8 Uhr geht unsere Reise von La Rioja aus in den Süden weiter. Unser heutiges Ziel ist Mendoza, knappe 600 km entfernt.
    Wir bedanken uns bei der Mutter des Vermieters für die sehr schöne Unterkunft; sie wünscht uns eine gute Weiterreise und fragt, ob wir das Taxi schon bestellt hätten. Nein, wir nehmen den Stadtbus, was sie einigermassen erstaunt. Vermutlich kennen sich nicht viele Touristen mit dem Bussystem so gut aus wie wir. Aber von nichts kommt nichts. Wir müssen uns in jeder Stadt erneut „einarbeiten“.
    Wie immer sind wir zu früh am Busbahnhof (…man weiss ja nie…), aber wir hätten ruhig noch eine Stunde länger schlafen können: Unser Reisebus hat eine Stunde Verspätung, er treffe aber „sofort“ ein (ya viene!), wie man uns mehrfach versichert.
    Dafür haben wir Zeit für eine Plauderei mit einer neben uns wartenden Dame mittleren Alters. Sie spricht uns an und nicht wir sie….Das passiert uns häufig; die Argentinier sind seeeeeehr kommunikativ und offen.
    Es stellt sich heraus, dass sie Lehrerin in einem kleinen Dorf bei Chepes ist, südlich von La Rioja. Schnell entwickelt sich ein Dialog mit Regine über das Schulsystem sowie über die Vor- und Nachteile davon, in einer abgelegenen Gegend Lehrerin zu sein.
    Früher habe es dafür einen prozentualen Zuschlag zum Grundlohn gegeben (Sie verdient etwa 1000 Euro), seit der Pandemie zahle der Staat aber nur noch einen fixen Betrag. Mit der Inflation von fast 100% im Jahr halbiert sich dieser Betrag dann jährlich in seinem Wert und reicht heute nicht einmal mehr aus, um die Mehrausgaben für den Transport in die entlegenen Dörfer (wohin es keinen ÖV gibt) zu berappen.
    Daher wohnt sie unter der Woche in einem kleinen Zimmer im Dorf, fährt mit dem Moped zur Schule und nur am Wochenende nach Hause. Sie spricht auch Französisch, eher mässig und bedauert es sehr, dass sie kein Englisch kann. Während des Gesprächs bestätig sie unseren Eindruck, dass wenig Menschen in Argentinien Englisch könnten. So sei es, es fehle das Geld für Englischlehrer und wenn es welche gäbe, dann reiche der Unterricht nur zur Vermittlung der „Basics“.
    Wir steigen in den endlich angekommenen Bus - nicht ohne vorher (wie immer) durch einen „maletero“ (Kofferträger) unsere verpackten Rucksäcke im Gepäckraum des Busses verstauen zu lassen. Wie im Flugzeug erhalten wir ein Gepäckticket, das der Mann auf unsere Bustickets klebt. Wir müssen es am Zielort wieder vorzeigen, um unser Gepäck zu erhalten. Ja, alles hat seine Ordnung!
    Wir nehmen im Oberdeck an Plätzen mit viel Beinfreiheit gleich hinter der Treppe Platz. Diese hat uns die Agentur in Tucumán zur Reservation empfohlen, wofür wir jetzt dankbar sind. Normalerweise sind genau diese Sitze schnell ausgebucht (auch wie im Flugzeug), aber wir waren dieses Mal mit dem Kauf der Tickets sehr früh dran (gute zwei Wochen im Voraus).
    Auf der Reise immer entlang von steppen- bis wüstenartigen Flachlandschaften ereignet sich nicht viel und so freuen wir uns über jede Art von Abwechslung.
    Diese findet sich in der Person eines gesetzteren Mannes, der zwei Reihen vor uns schräg gegenüber sitzt. Wir haben eine super Sicht auf ihn, da sich vor uns keine Sitze befinden (siehe Fotos).
    Meliertes Haar, Brille, Bäuchlein, europäische Trekkingkleidung und ständig vertieft in eine Provinzlandkarte, auf die er fleissig Notizen anbringt und einen chilenischen Mitreisenden darüber belehrt. Regine schwört, dass dies ein (ehemaliger) Lehrer sein müsse; Martin hält ihn für einen hyperaktiven Schwätzer.
    Wir finden es nicht genau heraus (Regine meint am Schluss, vernommen zu haben, er sei Geschäftsmann gewesen), aber der „Lehrer“ entpuppt sich bald als guter Trinker: Beim ersten Halt steigt er aus und kommt mit einer 2L-Flasche Cola zurück. Dann stellt er - im fahrenden und schaukelnden Bus! - ein (echtes) Cognacglas auf die Ablage vor der Treppe und füllt es mit Cola und… Whisky; etwa halbe - halbe.
    Wir merken, der Mann hat Stil.... und grosse Risikofreudigkeit, denn bei all den Hüpfern des Busses, den (seltenen) Kurven und Bremsmanövern droht das gut gefüllte Glas öfters einmal von der Ablage zu rutschen. Aber er ist eben auch sehr geschickt (respektive hat viel Übung) und ergreift das Cola-Gemisch immer rechtzeitig, bevor es herunterfällt.
    Das Prozedere mit Nachfüllen und Mischen wiederholt sich nun auf der restlichen Reise mit erstaunlicher Regelmässigkeit (Immerhin sind wir gute 9 Stunden unterwegs!),bis die halbvolle Whisky-Flasche (und das Cola) geleert sind.
    Dazu monologisiert er mit dem Chilenen und auch Regine hört gespannt zu; Martin vertieft sich mit Kopfhörern in Musik…
    Da geschieht es plötzlich: Das Glas rutscht auf der mittlerweile schon etwas nassen Ablage, der wohl schon ziemlich alkoholisierte Mann versucht es zu fassen…. greift aber ins Leere: Das Glas schlittert nach vorne und zerbricht an einer Haltestange, worauf der Grossteil der Glassplitter (sowie der Rest an Gemisch) die Treppe herunterstürzen.
    Schnell räumt der Trinker die oben verbliebenen Trümmer weg und wischt mit der Hand das vergossene Cola von der Ablage auf den Boden. Auf die Nachfrage des Co-Fahrers von unten, was los sei, meldet der Mann: „Alles in Ordnung, es gibt kein Problem!“ Anschliessend rückt er seinen Sitz zurück in die Liegeposition (semi-cama - „halbes Bett“) und schläft bis Mendoza seinen Rausch aus. Dort angekommen, muss er vom Personal geweckt werden, ist aber sofort wieder bei bester Laune. Er scheint das nicht zum ersten Mal zu machen.

    Mit dem Stadtbus fahren wir zur Unterkunft und treffen vor der Haustüre den Vermieter, der soeben weggehen wollte. Er zeigt uns die Wohnung im ersten Stock in einem Hinterhof: sie ist recht klein, aber sauber und ruhig.
    Es ist 20 Uhr, aber nun müssen wir noch etwas zum Abendessen einkaufen. Wir finden einen riesigen Supermarkt und sind erschrocken über die endlos lange Schlange an den Kassen. Etwa 20 riesige (gibt es bei uns gar nicht!) bis zum oberen Rand gefüllte Einkaufswägen warten auf Abfertigung!
    Regine erinnert sich sofort an andere Supermärkte! Ja und auch hier ist eine Kasse reserviert für Eltern mit Kleinkindern, Behinderten und… Senioren über 60! So kommen wir schneller dran (wobei die beiden Seniorinnen vor Martin unendlich lange fürs Bezahlen und Einpacken brauchen….ja, man hat halt Zeit!) und bezahlen unsere acht Artikel mit dem letzten Geld, das wir bei uns tragen.

    Am nächsten Morgen steht deshalb das bekannte Ritual der Geldbeschaffung bei Western Union (WU) an. Wir wollen 1000 Euros in zwei Tranchen abheben (gewechselt natürlich) und die zentrale Frage ist (wie immer), ob wir so viel Geld auf einmal erhalten können.
    Wir legen darum eine WU-Route fest, auf der wir mindestens drei Filialen frequentieren werden. In der ersten funktioniert „das System“ gerade nicht, in der zweiten hat man kein Bargeld. Dafür hat der Mann die Adresse der nächsten WU-Filiale, die wir bei Google Maps gar nicht gefunden hatten.
    Dort angekommen hat es die übliche Warteschlange und wir stellen uns geduldig an, nachdem man uns zuvor am Schalter bestätigt hat, dass hier genügend Cash vorhanden sei…
    Wir wollen ja nicht umsonst angestanden haben!
    Mit gefüllten Geld-Bäuchen machen wir uns auf zu einem kleinen Stadtrundgang und essen ein Eis in einer stadtbekannten italienischen Eisdiele, die aber nicht besser, sondern nur teurer ist als die argentinischen. Eine Kugel kostet so viel wie - siehe unten - eine Flasche Rotwein!!!
    Danach geht es weiter in den riesigen Stadtpark „General San Martín“, wo wir das interessante Naturkundemuseum (Eintritt frei!) besuchen. Unter anderem sind beeindruckende Dinosaurier- Funde ausgestellt. Danach geht es dem Stadtbus (colectivo) wieder zurück zur Unterkunft; es gibt nämlich noch viel zu tun…
    Regine bearbeitet den Reiseblog und Martin organisiert unter leisem Gefluche die nächsten Ausflüge. Allein für die Online-Reservation in einem Thermalbad und der damit verbundenen Busreise verbringt er eine ganze Stunde! Höchste Zeit für ein Abendessen mit einem guten Rotwein: Es ist ein 2020-er Malbec aus der Region, den wir im Tante-Emma-Laden gleich um die Ecke für 700 Pesos (4,20 Euro) erstanden haben. Mal schauen, wie er uns mundet…
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