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  • Day 26

    Die Panne

    May 28, 2019 in Russia ⋅ ☀️ 24 °C

    Von Wolgograd bis zu unserem nächsten Ziel Sotschi sind es 1018 km. Das werden wir in zwei Etappen fahren. Zum Übernachten haben wir uns gestern schon ein Motel an der Autobahn ausgesucht. Es ist warm und sonnig am Morgen. Nach Wolgograd verliert die Gegend langsam den Ostblockcharakter. Die Landschaft wird ganz leicht hügelig und es gibt Korn- und Gemüsefelder und immer öfter Baumgruppen zu sehen. Die windschiefen Keuschen weichen gemauerten Häusern. Da gefällt es uns schon besser und es geht bis auf einige Baustellen gut voran. Wir kehren bei einer dieser russischen Imbissstuben ein um zu frühstücken. Da drinnen sieht's ganz nett aus und Kaffee und Essen sind gut. Danach frage ich um das WC, das mir sodann auch gleich gezeigt wird. Es ist diese kitzekleine Holzhütte, die aussieht wie ein aufgestellter Sarg und die mitten auf dem Parkplatz steht. Alle Autos fahren drum herum, um wieder in Fahrtrichtung zu kommen. Die Hütte ist uns aufgefallen ohne ihren Zweck zu registrieren. Sie ist außen und innen mit einem Holzriegel zu verschließen. Drinnen ist absolut nichts und genauso ist das auch gemeint. Nicht einmal WC Papier. Der Boden ist mit Pfosten ausgelegt, von denen vom mittleren ein Stück abgesägt wurde. Man sieht durch dieses Loch genau in die Senkgrube und das ist es schon, das WC....Die Hände kann man sich anschließend im Lokal bei einem Waschtisch neben den Speisetischen waschen.
    An der nächsten Tankstelle prüft Karl den Reifendruck und wir reden noch drüber, wie gut Blue bis jetzt durchgehalten hat. Nach vielleicht 60 km fangen Geräusche an, die nichts Gutes verheißen. Karl bleibt bei einer Feldwegsausfahrt stehen, um sich das anzusehen. Er vermutet, dass die Geräusche entweder vom Gabelkopf oder vom Vorderradlager kommen. Er versucht alle relevanten Schrauben nachzuziehen, aber schon nach kurzer Fahrt stellt sich heraus, dass das Radlager kaputt ist und dass es nicht mehr lange weitergehen kann. Wie gut, dass wir kurz darauf ein Geschäft für Landmaschinen sehen. Die Leute können natürlich genauso wenig deutsch wie wir russisch. Karl deutet mit einer kreisenden Bewegung auf das Radlager und macht kchkchkch und die Verkäufer verstehen das Problem sofort. Sie können uns auch nicht helfen, sondern schicken uns zu einem Automechaniker abseits der Straße. Die Werkstatt schaut total verschmuftelt aus. In einer Box wird gerade ein Auto gewaschen und nebenan ist ein kleinerer Raum mit einer Wuchtmaschine, einem Werkzeugschrank, einer Couch und einem Tisch. Ein junger Mann kommt heraus und schaut sich den Schaden nach dem "kchkchkch" einmal an und schüttelt den Kopf. Danach läuft er lange telefonierend im Hof herum, schaut sich einen Lada innen und außen an und es scheint, als hätte er uns schon wieder vergessen. Wir haben uns sowieso schon längst damit abgefunden hier für eine Weile festzustecken. Karl macht dann mal eine fragende Geste in seine Richtung, von wo dann ungefähr so eine Bewegung kommt wie: nur mit der Ruhe, es kommt eh Jemand! Tatsächlich tauchen hintereinander sechs Burschen auf. Der letzte von Ihnen stellt sich als Alexander vor und ruft dann seine Schwester an, die englisch kann. Über das laut gestellte Telefon wird dann gedolmetscht. Es stellt sich heraus, dass sie das Vorderrad herunternehmen und das Radlager ausbauen wollen, um zu sehen, welches Modell das ist. Dann müsste das Teil im etwa 200 km entfernten Wolgograd bestellt und irgendwie hierher gebracht werden. Sie rechnen mit etwa drei Tagen und sagen, sie wüssten auch eine Unterkunft für uns. Wir nehmen also unser Gepäck ab. Die Sechs nehmen ganz einfach unsere Blue hoch und tragen sie über einen hohen Türstaffel in die Werkstatt. Dort wird sie wieder Richtung Tür gedreht und hinten aufgebockt, damit sie nicht umfallen kann. Dann kommen zwei dicke alte Reifen unter den Motorblock um das Vorderrad freizubekommen, das dann ausgebaut wird. Zwischendurch verschwindet wieder einer von ihnen mit dem Auto und kommt mit einem anderen Satz Werkzeug zurück. Danach wird auf ganz einfache Weise das Radlager herausgenommen und einer von den Jungs sagt: Ah, Magazin! Und wieder verschwinden ein paar für ein paar Minuten. In der Zwischenzeit macht uns Alexander Kaffee und zeigt uns ganz stolz seine Motorräder, eine Yamaha und eine Honda, auf dem Handy. Die Burschen kommen mit einem passenden Radlager zurück! Innerhalb kürzester Zeit ist unser Motorrad wieder zusammengebaut und wird wieder in den Hof hinausgetragen. Wir können unser Glück kaum fassen! Von unserer Ankunft hier bis jetzt hat das bloß eineinhalb Stunden gedauert! Wir sind überglücklich und wollen bezahlen. Aber nichts da, sie wollen einfach nichts nehmen, kein Geld, nichts, nicht einmal den serbischen Zwetschkenschnaps. Sie gaben zum Ausdruck, dass das eine Aktion unter Benzinbrüdern sei und dass es ihnen Spaß gemacht hat, uns zu helfen. Es folgen viele brüderliche Umarmungen und ein Abschiedsfoto und mit nochmaligem Dank der endgültige Abschied. Wir können noch gar nicht fassen, was wir gerade erlebt haben. Ganz beseelt von unserem Glück fahren wir weiter und kommen bald darauf wiedermal zu einer einspurigen Baustelle. Vor der roten Ampel wartet schon eine lange Reihe von Lastwagen. Und wie das eigentlich überall mit dem Motorrad so üblich ist, fahren wir an der LKW-Schlange vorbei bis zur Ampel. Wenn etwas entgegen kommt, hat man normalerweise immer noch genügend Platz um auszuweichen. Das erste Auto, das uns begegnet ist ein Polizeiauto und wir sind auf der verkehrten Seite der Sperrlinie!!! Wir sind kaum bei der Ampel, haben die umgedreht und stehen mit aufgedrehtem Folgetonhorn und blitzenden Lichtern schon wieder neben uns! Karl muss ins Polizeiauto einsteigen. Pfff, jetzt wird's amtlich! Es sind zwei Polizisten im Auto. Einer holt sein weises Buch hervor und erklärt ihm auf englisch, dass das Überfahren einer Sperrlinie 4 Monate Führerscheinentzug zur Folge haben würde. Man könnte aber auch eine entsprechende Strafe zahlen. Und er sagt Karl, er solle mit den Fahrzeugpapieren zum Motorrad gehen und mit einem 5000er (69 €) im Zulassungsschein die Papiere wieder zurück bringen. Was wir auch gern gemacht haben. Dann wurden wir wieder freundlich entlassen. Diesmal kriegt der Kollege auch was ab. 5000 ist durch zwei ja auch viel besser teilbar als 1000 durch vier, oder?
    Der Rest der Strecke verläuft auf der Autobahn, unproblematisch und flott. Wir erreichen trotz allem Kuschtschowskaja, unser heutiges Tagesziel.
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