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  • Day 72

    Treibholz

    January 30 in New Zealand ⋅ ⛅ 23 °C

    Ein Hoch auf die Frauen! 3 x müssen wir wegen der großen Hauptstraßen (zu langweilig und zu gefährlich) heute jeweils ein kurzes Stück „hitchen“ (also trampen), und 3 Mal halten Frauen an. Eine Privat-Lehrerin für Vorschulkinder, eine pensionierte Kunstlehrerin und zwei junge Frauen aus Uruguay (eine von beiden wohnt hier in Neuseeland).

    Nach einer laaangen Pause für die Beine laufen wir heute gute 20km nach Koitiata, ein Ort am Turakina Beach, unterhalb von Whanganui. Er ist der Mittelpunkt des längsten und sich stets verändernden Sand-Dünen-Systems von Neuseeland, welches sich über 130 Kilometer erstreckt. Durch den Wechsel von Ebbe und Flut wird das Holz immer weiter nach Süden gespült.

    Ich habe noch nie in meinem Leben so viel Treibholz am Strand gesehen. Es ist faszinierend und gespenstisch zugleich. Der ganze Strand ist kilometerweit damit übersät. Es wird von den Flüssen aus den Bergen mitgebracht, die sich ihren Weg bis ins Meer schlängeln. Manche Baumstämme liegen da wahrscheinlich schon seit Jahrzehnten, glattgeschmirgelt oder ausgehöhlt vom Salzwasser. Das Ergebnis sind teilweise richtig künstlerische Skulpturen. Ich bin fasziniert über diesen Kreislauf.

    Kurz bevor wir den Campingplatz erreichen, müssen wir noch einen Fluss überqueren, den Turakina River. Bis zum anderen Ufer ist es nicht weit. Aber es ist gerade Flut und an ein Rüberkommen nicht zu denken. Danny läuft den Fluss entlang bis zu seiner Mündung ins Meer. Ich will nicht so weit laufen und lieber warten, bis die Flut vorbei ist. Da sitze ich nun auf einem Stück Treibholz und schaue aufs andere Ufer. Danny ist am Horizont kaum noch zu erkennen. Ich weiß nicht, ob das Wasser wirklich sinkt im Fluss. Danny jedenfalls will nicht warten und kämpft sich an der Flussmündung durch die Fluten. Das Wasser ist nur knapp hüfttief, aber die Strömung ist stark. Danny schafft es, rüberzukommen, und wenig später stehe auch ich an der Stelle. Danny kommt zurückgewatet und hilft mir ans andere Ufer. Guter Danny! So ein Fährmann, der einen heil und sicher ans andere Ufer begleitet, ist gar nicht so übel.

    Als wir in Koitiata ankommen, setzen wir uns auf eine Bank und wollen gerade unsere Schuhe wieder anziehen, als uns eine Frau mit langen blonden, lockigen Haaren anspricht. „Herzlich willkommen in Koitiata“ sagt sie freundlich. Danny fragt sie, ob es hier ein Lebensmittelgeschäft gibt. „Ich bin das Lebensmittelgeschäft. Was braucht ihr?“ Danny hätte gern ein Bier. „Ich trinke kein Bier“, sagt die Frau. „Aber Wein. Wie wäre es mit einem Glas Wein? Ihr könnt auch gern mit uns zu Abend essen.“
    Wow - wir sind keine zwei Minuten in diesem kleinen Örtchen und werden gleich zum Abendbrot von Einheimischen eingeladen. Wie krass ist das bitte? Und schon sitzen wir bei Antipasti und Weißwein mit Shona und Ian zusammen und reden, als würden wir uns ewig kennen.

    Ihr Wohnzimmer wirkt wie ein Sammler-Paradies. In jeder Ecke und an jeder Wand gibt es unzählig viele Regale mit Sammel-Artikeln: Flaschen, Figuren, Skulpturen, Vasen, Gemälde, Stühle usw.. Bei Wein und Käse stellt sich heraus, dass sie Antiquitätenhändler sind und zu den besten Neuseelands gehören. Sie reproduzieren sogar antike Stücke, so dass man danach das Duplikat vom Original nicht mehr unterscheiden kann.

    Shona gibt uns ihren Kontakt und begleitet uns noch zum Zeltplatz, der fast neben ihrem Haus liegt und vom Dorf betrieben wird. Wie so oft hier in Neuseeland gibt es eine Kasse des Vertrauens, und für umgerechnet gerade mal 5,50€ haben wir einen Zeltplatz, Dusche, Toiletten und frisches Wasser. Perfekt! Shona erklärt uns noch, dass wir uns unbedingt melden sollen, wenn wir Hilfe brauchen oder irgendwelche Probleme haben. Wir verabschieden uns herzlich und machen uns an den Zeltaufbau. Sofort werden wir von einem Ehepaar mit Campervan angesprochen. Binnen Minuten entsteht nicht nur ein Gespräch zu ihnen, sondern auch zu anderen Campern. Einer schenkt uns spontan eine Avocado, andere bieten uns heißes Wasser für Kaffee oder Tee an. Als wir unser Geschirr abspülen, sind wir nach ein paar Minuten ein bunter Haufen von Menschen, die sich angeregt unterhalten, ausfragen und austauschen. Jeder quatscht mit jedem. Alle sind entspannt, alle wirken glücklich und zufrieden.

    So schlafen wir ein, so wachen wir auf. So geht der Tag am Turakina Beach weiter. Wir treffen Jenny und Terry, ein Rentner-Ehepaar aus dem nahegelegenen Städtchen Feilding. Sie angeln am Strand und haben ihr Quad in der Nähe eines dicken Baumstammes geparkt. Ihr Hund Beesley rennt auf uns zu und wedelt freundlich mit dem Schwanz. Wir kommen ins Gespräch und wieder scheint es, als wären es gute Freunde, die man plötzlich wieder getroffen hat.

    Wir haben den Strand schon längst verlassen und laufen wieder auf Asphalt. Es ist heiß und die Straße wirkt wie ein Ofen. Wir haben schon wieder gute 20km in den Knochen. Plötzlich hören wir das Geräusch eines Fahrzeugs. Es wird langsamer und stoppt neben uns. Es sind Jenny und Terry, das Rentner-Ehepaar, das wir vor ein paar Stunden am Strand getroffen haben. „Können wir euch ein Stück mitnehmen?“
    Bis nach Bulls sind es nur noch wenige Kilometer, aber auf dem heißen Asphalt macht das Wandern einfach keinen Spaß. Wir springen hinein ins klimatisierte Auto. Beesley wedelt vergnügt mit dem Schwanz und gibt uns einen feuchten Hunde-Kuss.

    In Bulls steigen wir aus und gehen…na…wer errät es? Genau, ins „La Bull“ Restaurant. Der Ort macht viel Werbung mit seinem Namen und versucht dadurch, mehr Touristen anzuziehen. „UnforgettaBull“ bleibt unser Besuch im Restaurant: Omelette, Muffin, Cappuccino, Limo und Bier retten uns erstmal über den Nachmittag.

    Heute Abend übernachten wir bei Mike und Jo. Sie sind Trail-Angel und haben ein großes schönes Grundstück mit Hühnern, Hunden, Gänsen und einer Schildkröte. Wir bekommen eine kleine Holzhütte und haben eine Dusche und ein Bio-WC. „Wollt ihr mit uns Abendbrot essen? Wir machen heute BBQ. Es gibt Steak“. Das lässt sich Danny nicht zwei Mal sagen. Und so sitzen wir wenig später mit Jo und Mike zusammen, essen Steak mit Gemüse und schwatzen über alles Mögliche. Später bekommen wir noch frische Eier, Tee und selbstgebackene Kekse als Betthupferl.

    Die Gastfreundschaft der Neuseeländer kennt keine Grenzen. Wir sind jedes Mal so überrascht und überwältigt. Gleichzeitig sehen wir daran aber auch, wie reserviert, voreingenommen und misstrauisch wir Deutschen sind. Wir möchten gern ein Stück Neuseeland-Spirit mit nach Hause nehmen und dort verbreiten. Es ist so leicht, jemandem einfach nur ein Lächeln zu schenken und zu fragen, wie der Tag war. Es sind diese kleinen Dinge, die das Leben lebenswert machen.
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