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  • Day 91

    random

    December 16, 2023 in France ⋅ 🌙 4 °C

    Eine Sache: Kultur? Wie schätzt man sie wert? Indem man ins Theater geht und sagt: Oho. Wie schön das war. Indem man ein Buch liest und sagt: Oho. Was für eine tolle Sprache verwendet wurde. Indem man einen Film schaut und sagt: Oho. Welch grandiose Einfälle den Autoren gekommen sind.
    In Frankreich macht man das anders. Hier kennt man seine Kultur, sein Land, seine Herkunft, seine Geschichte. Hier sind die Filme in der Bibliothek (kostenlos zum Ausleihen wohlgemerkt) nach den Namen der Regisseure geordnet. Das bedeutet man muss sich mit der Kunst beschäftigen. Hier kann mir jeder erklären, welche Bergspitze wie heißt, welche Wanderroute wo hinführt und welches Wort in dem jeweiligen Kontext doch besser verwendet werden könnte. Die Stadt ist schön weihnachtlich geschmückt, die Menschen kaufen ungestresst ein, zu jeder Tageszeit sind die Restaurants und Cafés bis zum Bersten mit genießenden Menschen gefüllt und bei den internen Feiern wird YouTube angeschmissen, um mehr schlecht als recht Karaoke zu den altbekannten französischsprachigen Liedern inkl Textparolen mitzusingen. Der Kleidungsstil ist eigenwillig und eigentümlich und oft genau so, wie ich mir mein Leben vorstelle: wild, bunt, seltsam, schön und verrückt.
    Das ist Frankreich grad für mich. Während ich mit Menschen allen Alters in der Bibliothek sitze, die hier lesen und arbeiten und den Samstag genießen. Das ist Grenoble. In Paris wird’s wohl anders sein.
    Ich habe heute, in den Bergen, während des Skifahrens, eine Sache verstanden.

    „Warum sollte man wegwollen, wenn man doch wirklich schon alles hat?“ (in meinem Fall: bis auf ein ausschweifendes soziales Umfeld, was ich als Freunde bezeichnen würde. lol.) Ich fahre ja noch nichtmals gerne übers Wochenende weg in eine andere Stadt. Hier ist es schön, hier steht die Welt ein bisschen still, hier kenne ich mich aus, hier habe ich mein Leben und hier funktioniert doch alles. Und wenn ich mal genug von den Bergen habe? Dann fahre ich halt ans Meer in den Süden oder in die Normandie. Aber warum brauche ich eine andere Sprache, wenn ich doch noch nichtmals ein Flugzeug betreten muss, um mir meine Wünsche zu erfüllen?

    Kurzer Ausflug in den Kopf einer französischen Person, die ich langsam anfange zu verstehen. Nicht, dass ich nicht trotzdem mit anderen Menschen auf anderen Sprachen kommunizieren möchte. Aber in den Bergen leben zu bleiben, zwischendurch mal die Welt entdecken und dann wieder in ein Tal zurückzukommen, wo der Blick schweifen kann, die Berge ihn mit Sonnenstrahlen abblitzen oder der Schnee im Winter glitzert, wo der Horizont gezackt ist und wo aus irgendeinem Grund die Menschen glücklich zurücklächeln, während sie in gemäßigter, aber nicht zu langsamer Geschwindigkeit das Leben lebend genießen, das wird sich wohl oder übel für mich persönlich so ergeben müssen. Vielleicht in Frankreich, vielleicht in Österreich, vielleicht in Lateinamerika, vielleicht in Gekdbjslavekaö, aber in den Bergen.

    ——— Ich möchte auf mein Exzerpt dieses Footprinttagebuchs hinweisen. Ich glaube, alle Fragen, die ich mir vor Beginn dieses Aufenthalts hier stellte, können jetzt schon beginnen beantwortet zu werden.

    Update: Draußen spielt eine Blaskapelle auf einmal Weihnachtsmusik. Ich sitze auf einer beheizten Bank. Das Leben ist schön.
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