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  • Day 44

    Begegnungen am Wegesrand - Teil 5

    April 13, 2023 in Switzerland ⋅ 🌧 8 °C

    Andrea will ihre Jacke ausziehen, also halten wir am Ufer der Aare an, deren Promenade wir nach Thun hinein folgen. Sie hat gerade ihren Rucksack auf einer Bank abgestellt, als ein Spaziergänger auf unserer Höhe anhält.
    "Seid ihr Pilger?", will der junge Mann mit Deutschem Akzent wissen.
    Ich bejahe.
    "Das habe ich mir fast schon gedacht. Man erkennt Pilger sofort, wenn man sie einmal gesehen hat."
    "Du hast ja selbst die Jakobsmuscheln auf deinem Buff", sage ich und deute auf seinen Hals.
    "Und du hast ein gutes Auge", kommentiert er.
    Der Mann erzählt uns, dass er vor 12 Jahren selbst den Jakobsweg von Konstanz bis Santiago gegangen ist.
    "Falls ihr auf dem Weg von Thun nach Amsoldingen einen Bauer trefft, der in einem einsam liegenden Haus neben einem Schafstall wohnt, sagt ihm bitte liebe Grüße von Robert. Er hat mich damals in seinem Stall schlafen lassen."
    Während uns Robert ein Stück in die Stadt hinein begleitet, berichten wir von unserem Weg und ein wenig über die Lebensumstände, die dazu geführt haben, dass wir jetzt hier sind oder sein können. Er ist aufmerksam, stellt Fragen und wirkt ehrlich interessiert. Als Andrea ihn fragt, was er in der Schweiz macht, zögert er keine Sekunde.
    "Ich lebe seit Januar hier in einem buddhistischen Kloster. Ich bin Novize und kurz davor, endgültig einzutreten. Nächste Woche habe ich eine Zeremonie, bei der die Haare abgeschoren werden. Ich bin heute nach Thun gekommen um das Foto für meine Aufenthaltserlaubnis machen zu lassen."
    Er erzählt uns mehr über das Leben im Kloster und beantwortet alle unsere Fragen mit Freude, selbst als es darum geht, wie sein Umfeld darauf reagiert hat.
    "Eigentlich durchwegs positiv", sagt er, "bis auf meinen Vater. Der ist sehr katholisch."
    Wir erreichen die Kirche der Stadt, holen uns einen Stempel und stehen schließlich wieder im Freien. Da wir unseren Weg heute noch fortsetzen wollen, verabschiedet sich Robert hier.
    "Dann wünsche ich euch einen guten Weg", sagt er. "Und ein gutes Ankommen, auch bei euch selbst." Er faltet die Hände vor dem Kinn und nickt uns zu. Wir bedanken uns.
    "Dir auch einen guten weiteren Weg", wünscht ihm Andrea.
    "Und falls ihr diesen Bauern trefft... Sagt ihm, ich habe es geschafft. Damals hatte ich solche Probleme mit meinem Knie, dass das ernsthaft in Frage stand."
    Während wir die Stadt verlassen, unterhalten wir uns noch lange über Robert, den buddhistischen Novizen, und ich spüre einen Anflug von Energie, die mir heute den ganzen Tag gefehlt hat.
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