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  • Day 75

    Begegnungen am Wegesrand - Teil 9

    May 14, 2023 in France ⋅ ⛅ 13 °C

    Als wir der Kirche in Espalion einen kurzen Besuch abstatten wollen, ist dort um 11 Uhr noch der Sonntagsgottesdienst im Gange. Erst zögern wir, aber dann beschließen Magdalena und ich, uns leise hinten hinzuzugesellen. Wir stehen also unauffällig beim hinteren Portal der Kirche, während sich die Messe dem Ende zuneigt und ich annehme, dass wir gleich wieder gehen werden - Stempel gibt es hier ohnehin keinen, wie fast nie in den französischen Kirchen.
    Als ich annehme, dass der Priester vorne gleich den Segen sprechen und seine Schäfchen verabschieden wird, höre ich aus dem französischen Wortschwall plötzlich die Worte "Saint Jacques" und "bénédiction du pèlerin" heraus. Kann es sein, dass der Mann da vorne von einem Pilgersegen spricht? Ich dachte, wir befinden uns in einer völlig normalen Sonntagsmesse?
    Tatsächlich stehen ein paar Personen von den Bänken auf und gehen nach vorne - ihrem Aussehen nach zu urteilen könnten sie Pilger sein, aber ganz eindeutig ist es nicht. Rucksäcke sehe ich außer meinem und Magdalenas keinen.
    Magdalena bittet kurzerhand einen Mann in der hintersten Bank um eine schnelle Übersetzung und zwei Sekunden später eilen wir den Mittelgang hinunter. Vorne angekommen, stellen wir uns zu den wenigen anderen Pilgern. Der Priester freut sich sichtlich, dass noch mehr von uns aufgetaucht sind und stellt mir vor der ganzen Gemeinde - die große Kirche ist ziemlich voll - eine Frage auf französisch, die der Pilger neben mir erst Mal ins englische übersetzen muss.
    "Woher kommst du?"
    "Aus Österreich", antworte ich.
    Das Gesicht des Priesters hellt sich sichtlich auf. "Wo aus Österreich?"
    "Wien."
    Der Mann strahlt. "Vienne!", ruft er begeistert. Dann fügt er irgendwas hinzu, das "Tulln" beinhaltet und ich nicke überrascht und etwas verwirrt.

    Nach dem Segen steht der Priester beim Hauptportal der Kirche und verabschiedet seine Schäfchen persönlich. Magdalena und ich treten nochmal an ihn heran, um nach einem Stempel zu fragen. Er nickt sofort.
    "Klar, in der Sakristei", sagt er auf Englisch.
    Wir folgen ihm und er muss den Pilgerstempel erst einmal aus einem Kasten herauskramen. Die Gelegenheit nutzt er, um noch einmal von Wien und Österreich zu schwärmen. Es stellt sich heraus, dass er Freunde in Tulln hat und außerdem die Steiermark liebt.
    Nachdem wir den Stempel in unseren Pilgerpässen verewigt haben, verabschieden wir uns.
    "Auf Wiedersehen", sagt der Priester, zu unser Überraschung auf Deutsch.
    Obwohl es nach diesem Zwischenstopp schon fast Mittag ist und wir erst knapp ein Drittel unseres Weges für heute zurückgelegt haben, werden wir es auch den Rest des Tages kein einziges Mal bereuen, uns unwissend die Zeit für diese Begegnung genommen zu haben.
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