• Viva la Montaretto ✊️🟥

    September 24, 2024 in Italy ⋅ ☁️ 16 °C

    Das schönste auf einer Radreise sind wohl kaum die großen berühmten Orte, welche jedes Reisebüro im Aushang und jedes Kreuzfahrtschiff auf seiner Route hat. Sicherlich sind es viel mehr die kleinen unbekannten Orte, an die niemand denkt wenn er in Deutschland einen Flieger nach Italien besteigt. Dann denkt man an Trevi Brunnen, schiefe Türme, die Scala und den Renaissance Prunk von Florenz. Wer denkt da schon an Montaretto, irgendein 150 Seelen Kaff oberhalb der ligurischen Küste. Da fährt keiner hin, da verfährt man sich höchstens hin, da kommt man auch nicht mal eben durch, ist nämlich ne Sackgasse.
    Wie ich dann da hinkomme? Naja wer spontan reist, nichts vorab bucht und in den Tag radelt, der muss an der ligurischen Küste eben nehmen was er bekommt - die alte Dorfschule in Montaretto eben. Die wurde, als es kaum noch Kinder gab, in ein privates Hostel umgewandelt. Einfach aber alles da was der Reisende braucht, ein paar Betten, zwei Badezimmer, eine große Küche und ein Garten. Eine Rezeption gibt es nicht, so viel ist hier nicht los, dafür gibts einen Zettel mit Nummer an der Tür, anrufen dann kommt schon wer.
    "Wer" ist aktuell Davide, der wohnt eigentlich in Bologna aber entflieht in seinem Urlaub der Großstadt und kümmert sich etwas um das Hostel. Viel zu erklären gibts eigentlich auch nicht Check-in kurzgehalten, Papierkram, Pass, Bezahlung - schnickschnack. Das Wichtigste, im Ort gibts einen Laden, das wusste nämlich nicht mal Google. Ich hatte schon befürchtet ich müsste 45 min bis ans Meer zum nächsten Dorf absteigen (Straße führt ewig außenherum - keine Option) und anschließend wieder 1 Std. hochlaufen. Ein Kaufmannsladen wie er im Buche steht, von allem ein bisschen hauptsächlich Lebensmittel, betrieben wird er von der Dorfkommune. Die ist wohl das einzige was das aussterbende Örtchen noch am Leben hält. Das Dorf gilt seit jeher als kommunistisches Nest und zwar so sehr, dass die postfaschichstische Regierung Italiens nach dem Krieg dem Ort den Bau einer Straße verwehrte. Anstatt zur Konformität zwang man das Dorf zusammen, gemeinsam wurde die erste Straße ins Nachbarort ausschließlich von den Bewohnern selbst gebaut. Darauf ist man heute noch Stolz und so hängen im Gemeimschaftshaus, neben Bildern von Karl Marx, Leo Trotzki, Ho Chi Minh und Che Guevara noch die Zeitungsartikel aus den 1940ern die von dem kleinen rebellischen Ort berichteten.
    Wenn Abends die Sonne am Horizont ins tiefblaue Meer versinkt, in der Dorfkommune der Wein fließt und die Ruhe nicht einkehrt, weil sie nie ausgekehrt war, möchte man meinen "hier ist die Welt noch in Ordnung".
    Natürlich ist das gefühlsduseliger Quatsch, auch in diesem Ort gibt es Probleme, wer genau hinsieht sieht keine Kinder, kaum jemanden unter 50, mal schnell zum Arzt - hahaha, wo soll der denn sein. Kurzum so schön der Ort ist, er stirbt unaufhaltsam aus.
    Nun ist Italien ja bekannt für aussterbende Dörfer, Häuser die für 1 € verscherbelt werden, usw. soweit so gewöhnlich. Das Paradoxe hier ist, wer runter ans Meer läuft, in den Zug steigt und 25 min Richtung La Spezia an der Küste entlang fährt, der kommt an den den berühmten Cinque Terre (5 Dörfern vorbei). Wer hier aussteigt wird wortwörtlich von Touristen totgetrampelt. Die ganze Welt strömt hierher um sein Instagram Sammelalbum zu vervollständigen und Aperol Sprizz zu absurden Preisen zu saufen, weils halt die andern auch machen, das muss als Rechtfertigung reichen, so stupide ist die Welt.
    Das erste was ich nach dem aussteigen aus dem Zug mache, schauen wann der nächste zurück fährt. Glück gehabt, in 40 min kommt die Erlösung, bzw der Zug. Schnell nochmal nach Bonassola an den Strand, auch hier kaum Trubel. Dann den Berg wieder hoch nach Montaretto, wo die Welt nicht in Ordnung aber mit Sicherheit tausendmal schöner und ehrlicher ist als in diesen Touristenfallen an der Küste.
    Dann geht wieder die Sonne über dem tiefblauen Meer unter und der Wein fließt im Dorfgemeinschaftshaus (alias Dorfladen). Allen demographischen Fakten zum Trotz Montaretto kann/darf nicht aussterben, weil es einfach viel zu schön ist.
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