• La Nonna Viola

    September 28, 2024 in Italy ⋅ ☀️ 19 °C

    Schon wieder ein langer Tag auf dem Rad, die Beine lahmen, die Zeit rennt davon. 110 Kilometer sind schon runter, 15 km liegen noch vor mir bzw. leider über mir, den Berg hoch, nochmal, wieder erster Gang und strampeln.
    Ach was hätte man es gemütlich haben können, wäre man morgens zeitig aus den Federn gekommen. Aber mein Arsch wusste was ihm bevorsteht und so blieb er noch ein bisschen im weichen Bett, drum' wirds abends wieder knapp. Das heutige Ziel, der Lago del Turano, genauer gesagt in der Abendsonne noch reinhüpfen, den Dreck und Schweiß des Tages runterwaschen, einmal halbwegs sauber fühlen als Tagesziel - mehr braucht es nicht. Dafür wurde schon die Mittagspause geopfert, alles wichtige Tagesstunden zum Radfahren, essen kann man auch im dunkeln, radeln sollte man besser nicht. Aber der letzte Anstieg zieht sich und zieht sich, die Sonne steht im Westen nur noch knapp über den grünen Berghängen als endlich vor mir die kolossale Staumauer auftaucht. Links der Staumauer führt eine steile Wiese zum See, mit dem Rad da wieder hochkommen wird ein Spaß aber egal - zum See, zur Freiheit, zur Sonne. "proprietà privata - divieto di accesso" - Gott sei dank ist mein Italienisch viel zu schlecht um Verbotsschilder zu lesen. Hinter mir liegen 1.550 hm, 125 km und den ganzen Tag Gegenwind, was hab ich heute wieder geflucht. Aber einmal ins blaue Nass hüpfen und plötzlich ist all das mit einem Mal schöne Erinnerung, alles gold, alles schick. Fünf Minuten Abendsonne, ein See in den Bergen und all das war es wieder mal Wert.
    Noch einmal den halben Weg um den See radeln bis Castel di Tora. Ein großer Fels am Ufer des Sees, eine Kirche auf der Spitze, ein paar alte Häuser, wie an den Fels geklebt, außenherum, ein unfahrbar steiles Sträßchen hinauf - zack fertig einer dieser traumhaft schönen Dörfer, in die man eigentlich nicht kommt. Das bisschen Tourismus was hier im Sommer existiert ist für diese Saison längst passè, zurück bleiben ein paar handvoll Einwohner, geschlossene Fensterläden und sporadisch geöffnete Restaurants.
    Auch bei Nonna Viola in der Trattoria Dea, am kleinen Dorfplatz mit Brunnen und Blick über den See, ist die Küche für heute schon zu. Also wieder aufs Rad, dann wirds wohl das Tütenrisotto auf dem Campingkocher. Im letzten Moment kommt dann in Viola wohl doch die Nonna durch, werde ich doch noch vom Rad gewunken und der Bub' kriegt noch was zu essen. Hinsetzen, Bier aus dem Kühlschrank nehmen, Viola regelt das schon, rettet mir noch fix den Abend. Schnell wird noch etwas Nudelteig durchgeleiert, ein paar Bratkartoffeln und Lammkoteletts in die Pfanne gehauen. Mein Italienisch ist immer noch schlecht, aber so wie sie mit ihrer Küchenschürze und der Hand auf meiner Schulter neben mir am Tisch steht heißt das was sie sagt wohl "gell schmeckts dir Bub'?" - einzig zulässige Antwort "molto bene, grazie mille" - und wie es schmeckt. Danach gibts noch etwas Dolce, was Süßes, ein wenig Kuchen - es ist 20:30 Uhr, der Tag ist gerettet, das Leben ist schön. Jeder noch so verfluchte Kilometer war es wert, wiedermal.
    Wieder einer dieser Orte, zusammen mit seinen Menschen wie aus der Zeit gefallen. Am Morgen, ein Espresso in der Bar und die Frage wovon dieser Ort eigentlich lebt? Von den paar Monaten seichtem Tourismus im Jahr, wohl kaum. Industrie und Handel? Beides weit weg. Wahrscheinlich lebt der Ort, weil er da ist, das muss reichen, weil es ein paar Menschen wie Viola gibt - noch. Wie lange das noch gut geht, hoffentlich noch ewig, aber viele dieser wunderschönen Orte geben einem das Gefühl, man könnte die letzten Körner durch die Sanduhr fallen hören - hoffentlich eine oberflächliche Fehleinschätzung meinerseits.
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