• Siedler von Catania

    October 7, 2024 in Italy ⋅ ☀️ 25 °C

    Wer spätabends, durch die Straßen Catanias spaziert fühlt sich wohl Nordafrika und dem Orient näher als Zentraleuropa. Geographisch gesehen keineswegs falsch, von hier aus liegt Frankfurt knappe 1.500 km, Tripoli (Lybien) lediglich 500 km entfernt.
    Selten habe ich mich in Europa so an Süd- und Südostasien erinnert gefühlt - keineswegs abwertend gemeint. Auf der Straße liegt zwar der Dreck, aber auch das Leben selbst. Wer wissen will was diese Woche im Supermarkt angeboten wird, muss nur im Umkreis von drei Metern auf den Fußboden schauen, in den liebenswürdig ungeliebten Seitengassen bedeckt eine Schutzschicht aus Prospekten das vulkanische Kopfsteinpflaster. In allen Ecken Abfall aber auch an jeder Straßenecke ein Cafè, ein Bistro oder ein schäbiges Wettbüro, dazwischen lärmender Verkehr, qualmende Holzkohlegrills und dieses seltsam geordnete Chaos.
    Was auch immer man davon halten mag, immerhin begegnen sich die Menschen anstelle entfremdet zuhause im goldenen Käfig zu sitzen. Catania gibt sich keine Mühe sich zu verstellen. Einfache Straßengrills, Pferdedelikatessen auf Holzkohle gegrillt, dazu Wein und Bier, nicht chique aber echt. Unfassbar lecker, keinen Schimmer wann ich in Europa das letzte Mal diese Atmosphäre erlebt habe. Welches Gesundheitsamt da wohl seine schützende Hand drüber hält? Vermutlich eher die Amtshelfer der Cosa Nostra, sicher keineswegs billig aber garantiert loyal.
    Ohne das alles mit der rosa Brille sehen zu wollen, sind da auch unmengen Menschen, welche augenscheinlich jeden Morgen auf morgen hoffen und jeden Morgen, im wahrsten Sinne, ernüchtert aufwachen. Nur um dann von neuem vor dem Wettbüro zu beginnen auf den morgigen Morgen zu hoffen, vielleicht geht ja endlich doch mal wieder eine der Wetten durch.
    Für kein Geld der Welt wollte ich hier leben, in dem Chaos und dem Dreck aber für kein Geld der Welt wollte ich Catania missen. Wenn es auch für viele nicht so klingen mag, so soll es doch Werbung für diesen wundervollen Ort sein.
    Wer nach Catania kommt, sollte all das erleben, die chique Flaniermeile aber genauso die schäbigen Seitengassen, wo ehrliche Gauner und Tagdiebe ihre Geschäfte machen - eine echte Hafenstadt eben. Oft laufen gut gekleidete Touristen und schäbig aussehende Tagelöhner nur einen Häuserblock getrennt aneinander vorbei.
    Mitten im Zentrum, eine Quertraße weit weg von der chiquen Via Etna, schlagen sechs Tage die Woche dutzende Straßenhändler ihre Stände auf. Alles was Sizilien an Köstlichkeiten zu bieten hat wird unter freiem Himmel angeboten, Einweghandschuhe und teure Kühltheken sucht man vergeblich. Ein ungeheures Treiben und durchschieben. Gerade jetzt ein wahres Paradies, die letzten Tomaten der Saison, keine schaut wie die andere aus, nicht eine ohne graue oder braune Flecken - und eine köstlicher als die andere, keine wässrigen Gewächshauskreaturen. Fisch und Meeresfrüchte in Hülle und Fülle, jeden Morgen frisch vom Hafen - der blanke Horror für alle die ihr Mini-Desinfektionsmittel am Rucksack tragen - ein Paradies für alle die sich vor den drei Bakterien mehr nicht fürchten und die Qualität zu schätzen wissen.
    Über den Dächern der, ehrlichen und weniger ehrlichen, Gauner thront der Etna. Jederzeit bereit dem schäbigen Treiben (wieder einmal, zuletzt 1693) binnen einer Nacht den Garaus zu machen - fast schon biblisch.

    Morgen gehts noch mit dem Radl bis an die Südspitze Siziliens, wo das Ionische Meer auf das Mittelmeer trifft - und dann ists auch schon geschafft - Italien durchradelt (:
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