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  • Day 31

    La Paz - Metropole voller Mythen

    May 5, 2017 in Bolivia ⋅ ☀️ 15 °C

    Getreu dem Motto „Gegensätze schärfen die Wahrnehmung“ fiel die Wahl unserer Unterkunft nach den vorangegangenen Nächten in eher einfachen Unterkünften nun auf ein 5-Sterne-Hotel. Wir sollten unsere Entscheidung nicht bereuen und erfreuten uns an Pool, Spa, bequemem Bett und warmer Dusche. Jedem, der nach einer solchen Tour ein wenig Entspannung sucht, können wir das Atix-Hotel in Calacoto, einem etwas besseren Viertel von La Paz, uneingeschränkt weiterempfehlen. Uns überzeugten der tolle Service, der einzigartige Ausblick – nahezu 360 Grad – sowie das Preis-Leistungs-Verhältnis. Um La Paz authentisch zu erleben, konnten wir hier natürlich nicht die gesamte Zeit verleben. Wir mussten ins Zentrum des Geschehens und so war nach 2 Nächten Luxus auch wieder Schluss mit Erholungsurlaub. Unser Hostel lag nun 30 Sekunden vom Plaza San Pedro und etwa 10 Minuten zu Fuß von der San Francisco Church entfernt. Der Besuch in La Paz, der zweitgrößten bolivianischen Stadt, sollte uns in den nächsten Tagen zahlreiche interessante Erkenntnisse über Bolivien bringen. Neben der „Red-Cap-Stadttour“, die wir am ersten Tag zu Fuß durch La Paz unternahmen (Startpunkt ist der erwähnte Plaza San Pedro), war dies dem Umstand geschuldet, dass wir in La Paz einige Bekannte hatten, die wir in den nächsten Tagen treffen sollten. Auch wenn Daniela, die ehemalige Mitbewohnerin eines guten Freundes, die ich bei einem früheren Aufenthalt in Buenos Aires kennengelernt hatte, derzeit leider nicht in der Stadt war, trafen wir ihren Bruder Daniel, den ich ebenfalls bereits kannte sowie Andrea, eine gute Freundin von ihr. Die Stadttour startete also am Plaza San Pedro. Dieser kleine Platz ist nicht zuletzt durch das angrenzende Gefängnis bekannt. Das Gefängnis von San Pedro ist nicht irgendein Gefängnis, sondern wohl eines der berüchtigtsten Gefängnisse der ganzen Welt. Wir kannten es primär aus einigen Fernsehdokumentationen. Was es auszeichnet ist, dass es quasi eine eigene Stadt in der Stadt La Paz darstellt. Die Insassen leben zusammen mit ihren Familien in dem von der Außenwelt abgegrenzten Raum. Da die Insassen selbst für die Miete ihrer Zellen oder auch Wohnungen aufkommen müssen, gehen sie verschiedenen Gewerben nach. Es gibt demnach unterschiedlichste Läden und wohl sogar „Taxis“. Dies sind hier allerdings nicht Autos, die zum Personentransport ausgelegt sind, sondern vielmehr Personen, die Besuchspersonen für ein kleines Entgelt den schnellsten und - falls vorhanden - sichersten Fußweg zur entsprechenden Zielperson aufzeigen. Bis vor einigen Jahren wurden durch das Gefängnis offizielle Touren angeboten. Dies wurde jedoch mittlerweile eingestellt. Natürlich musste ich unseren Guide zu einem späteren Zeitpunkt in einem Vier-Augen-Gespräch hinsichtlich der wohl noch vorhandenen inoffiziellen „Touren“ befragen. Aufgrund einiger Opfer, die die Besuche mit sich brachten und unserer verbleibenden restlichen Reisezeit ;), entschied ich mich letztlich aber gegen den Besuch des Gefängnisses in Form einer inoffiziellen „Tour“. Kathi hätte hier ohnehin nicht mitkommen können, da das Risiko für Frauen in diesem ungesicherten Raum ungemein höher ist. Sollte dennoch jemand einen solchen „nicht empfehlenswerten“ aber ohne Frage spannenden Besuch vorhaben, so kann ich gern die erlangten Infos hinsichtlich Kontaktpersonen und Treffpunkt teilen. Man sollte sich allerdings bewusst sein, dass man sich im Inneren in einem abgegrenztem Raum voller sozialer Gegensätze befindet. So reichen die Wohnverhältnisse von Zellen, in denen bis zu 10 Mann zusammen auf engstem Raum leben bis hin zu Luxus-Wohnungen mit Flachbildfernseher. Soziale Spannungen sind in diesem Mikrokosmos vorprogrammiert und nicht zuletzt der wohl enorm hohe Drogenkonsum im Inneren wird zu Umständen führen, die man einfach nicht vorhersehen kann. Als nächstes bewegten wir uns über einen lokalen Obstmarkt, wo man besonders viele der hiesigen Cholitas antreffen konnte. Als Cholitas bezeichnet man die traditionell gekleideten bolivianischen Frauen. Man erkennt sie leicht an ihrem weit ausgestellten Rock, einem Melonenhut - ähnlich wie ihn bereits Charlie Chaplin trug - sowie den zwei geflochtenen Zöpfen. Nächster Stopp war der weithin bekannte Hexenmarkt. Hier bekommt man die verrücktesten Dinge wie tote Babylamas, diverse Formen von dubiosen Naturheilmitteln und angeblich stimulierenden Präparaten. Hintergrund der angebotenen und in der Regel etwa 2 Monate alten Babylamas ist der in Bolivien weit verbreitete Glaube an die Pachamama („Mutter Erde“). Diese verlangt insbesondere bei der Konstruktion von Gebäuden Opfergaben. Bei kleinen Gebäuden reichen dabei die erwähnten Babylamas verschiedener Größe. Sehr kleine erhält man bereits für 50 Bolivianos, was ca. 7 Euro entspricht. Für etwas größere Lamas muss man bis zu 400 Bolivianos (etwa 55 Euro) zahlen. Brücken oder andere wirklich große Gebäude erfordern hingegen menschliche Opfergaben. Hierzu werden wohl meist Obdachlose herangezogen. Kein Scherz! Sie bekommen ein letztes gutes „Abendmahl“ inklusive ausreichend alkoholischer Getränke und werden dann lebendig begraben. Es klingt wie eine Sage, doch leider ist dies wohl noch immer gelebte Realität. Spätere Rücksprachen mit gebildeten Bolivianern bestätigten, dass dieses Verhalten weithin bekannt und geduldet ist. Eine Ablehnung dieser Bräuche seitens der Bauherren würde schon einmal zum Stillstand der Baumaßnahmen seitens der Bauarbeiter führen und dies wolle ja kein Bauherr. Dem Glauben nach ist eine solche Opfergabe zwingend erforderlich, um dem Gebäude den nötigen Segen der Pachamama auszusprechen und somit eine lange „Lebenszeit“ des neu errichteten Gebäudes zu erlangen. Dieser Fakt, der uns beiden nicht bekannt war, schockte uns durchaus, insbesondere weil es scheinbar keine wirklichen Gegenbewegungen gegen das an mittelalterliche Rituale erinnernde Verhalten gibt. Auch die Regierung ergreift keine Maßnahmen, um dem entgegen zu wirken. Man muss hierzu wissen, dass der derzeitige Präsident Boliviens Evo Morales wohl diverse positive Maßnahmen insbesondere im Hinblick auf das marode Bildungssystem bewirkt hat. So wurden durch diverse Stipendien auf Regionen-, Städte- und Landesebene nachhaltige Anreize geschaffen. Auch zahlreiche infrastrukturelle Maßnahmen wurden eingeleitet, die insbesondere die ländliche Bevölkerung Boliviens positiv spürte. Neben diesen und weiteren positiven Aspekten sind es jedoch insbesondere die widersprüchlichen Aussagen und Handlungen, die viele gebildete Bolivianer zwiespältig auf eine potenzielle weitere Amtszeit von Morales blicken lassen. So bestand sein Maßnahmenkatalog für eine Bevölkerungssteigerung Boliviens unter anderem aus den nachfolgenden zwei Vorschlägen. Zunächst wollte er alle Frauen, die älter als 18 Jahre alt sind und noch kein Kind haben, mit einer Sondersteuer belasten. Diese Maßnahme konnte lediglich durch den Aufschrei der Bevölkerung noch kurz vor einer Umsetzung gestoppt werden. Als zweite „bahnbrechende“ Maßnahme (leider wurde diese nicht gestoppt!) besteuerte er Kondome im ganzen Land, sodass insbesondere die einfache Bevölkerung diesem wirkungsvollen Verhütungsweg verwehrt blieb und diversen Infektionskrankheiten hiermit Tür und Tor geöffnet wurde. Wüsste man es nicht besser, könnte man eine Verwandtschaft zwischen Morales und Zuma, dem amtierenden Präsidenten Südafrikas, vermuten, der seinerseits darauf verwies, dass Kondome Unsinn wären, weil man nach dem Geschlechtsverkehr ja schlicht und einfach duschen könnte, um alle Gefahren zu bannen. Naja, zumindest etwas Gutes hätte eine weitere Amtszeit von Morales – politische Stabilität. Die nahezu unglaubliche aktuelle Statistik von 188 Präsidenten in 192 Jahren würde sich damit etwas verbessern. Aber wollen dies die Bolivianer überhaupt? Wiederholte Aussagen bestätigten uns, dass die bolivianische Bevölkerung eines besonders mag und hierzu keinen Anlass auslässt – Demonstrationen. Im letzten Jahr soll es sogar eine öffentliche Protestbewegung gegeben haben, weil man im Fernsehen die Sendezeiten der Simpsons ändern wollte. Demnach wäre die Fernsehserie seltener ausgestrahlt worden, was den Bolivianern überhaupt nicht behagte. Die Masse ging auf die Straße, hat protestiert und war schließlich erfolgreich. Aber jetzt genug der politischen Debatte und mehr zu unseren Erlebnissen:
    Am Abend wollten wir uns noch einen Eindruck vom Stadtbild verschaffen und bewegten uns zusammen mit Andrea zum Killi Killi, einer öffentlich zugänglichen Aussichtsplattform in La Paz. Umgeben von einem Lichtermeer bekamen wir einen ersten Eindruck von der Größe sowie der Kessellage dieser 3-Millionen-Metropole.
    Neben La Paz sollten wir am nächsten Tag auch dem kleinen Vorort El Alto einen Besuch abstatten. Ursache war ein dort stattfindender Flohmarkt, auf dem man angeblich alles bekommen würde. Vom Flugzeugmotor bis zu Autozubehör, Spielsachen, Waffen, Küchenzubehör und natürlich Kleidung aller Art. Der Fantasie sind hier keine Grenzen gesetzt und so munkelt man auch, dass man – falls man unglücklicherweise Taschendieben zum Opfer fällt – doch einfach hier vorbeischauen solle, um sein Hab und Gut zurück zu erwerben. Wir wollten nichts kaufen, sondern waren lediglich interessiert an dem nicht-touristischen Treiben. Spannend war auch die An- bzw. Abreise, bei der wir Gebrauch von den Drahtseilbahnen – genannt Teleféricos – machten. Diese verbinden die peripheren Stadtgebiete mit dem Zentrum und umgehen damit zugleich jeglichen Stau. Eine Fahrt kostet lediglich 3 Bolivianos (etwa 50 Cent) und bietet tolle Ausblicke über die Stadt – ein absolutes Muss bei einem Besuch in La Paz! Am Abend gingen wir dann noch mit Andrea und Daniel etwas das traditionelle bolivianische Nachtleben erkunden. Bereits bei meiner ersten Nachricht – zu diesem Zeitpunkt stand noch nicht fest an welchen Wochentagen wir in La Paz wären – beschrieb Daniela den Club „Malegria“ für Donnerstag als Pflichtveranstaltung. Nach ein paar Gläschen Singani (man trinkt diesen Traubenschnaps in Bolivien gemischt mit Ginger Ale und der Geschmack ähnelt dem in Südamerika beliebten Getränk Pisco Sour) im Hause eines Freundes von Andrea gingen wir schließlich gemeinsam in den besagten Club. Donnerstagabend ist hier immer Saya-Night und es wird klassische Live-Musik gespielt, die in der Zeit der schwarzen Sklavenherrschaft in der Andenregion entstanden ist. Fazit: Dies war ein Erlebnis, aber zugleich nichts für jeden Donnerstag! Am Folgetag, unserem letzten Tag in La Paz, wollten wir nun noch dem nahegelegenen Valle de la Luna einen Besuch abstatten. Dem aufmerksamen Leser wird dies bekannt vorkommen, hatten wir doch in San Pedro de Atacama bereits ein gleichnamiges Tal besucht. Das hiesige ist kleiner und dennoch ebenfalls einen Besuch wert. Man erreicht es vom Zentrum aus in maximal 30 Minuten mit dem Taxi. Alternativ fahren natürlich auch Busse, aber Taxifahren ist als Europäer in Bolivien durchaus kein übermäßiger Luxus. Schließlich kostet eine solche 30-minütige Fahrt gerade mal um die 5 Euro. Am Abend stießen wir schließlich noch mit unseren bolivianischen Bekannten in einer „Rooftop-Bar“ auf meinen Geburtstag an und im Anschluss waren wir bereit die eindrucksvolle bolivianische Stadt zu verlassen… Was bleibt sind eine Menge positiver Eindrücke aber auch Entsetzen! In jedem Fall war dies für uns die bislang spannendste Großstadt auf unserer Reise.
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