• Haben wir einen Bleihund an Bord?

    August 6 in Switzerland ⋅ ☁️ 18 °C

    Und welche Bärenkräfte wohnen in Davids beeindruckenden Beinen? Warum ist es um den See bei St. Moritz so dermaßen windig? Kann man sich trauen, in diese Stadt zu gehen, oder wird man dann automatisch arm? Schaffen wir die Rückfahrt, ohne dass meine Lunge birst und meine Oberschenkel vollends verkrampfen? Wann kommt David heile von seiner Mordstour über zwei (sic!) Alpenpässe zurück? Diese und weitere Fragen treiben uns heute um, nicht alle vermögen wir zu beantworten.

    Um den armen Hund zu schonen, entscheiden Erik und ich uns für eine Radtour mit nur kleiner Wanderung. Es sind nur 9 km nach St. Moritz, die Höhenmeter scheinen auch überschaubar. Dort kann man dann nett einmal um den See wandern, vermutlich ohne befürchten zu müssen, sogleich in Touri-Fallen zu tappen. So unser harmloser Plan, der später ein wenig zur Grenzerfahrung wird, als wir die eigentlich wenigen Höhenmeter hin und zurück meistern.

    Davids Plan für diesen Tag ist von Anfang an größenwahnsinnig. 2.400 Höhenmeter, verteilt auf etwas über hundert Kilometer. Meine Fantasie malt schreckliche Bilder von Erdrutschen auf Pass-Straßen, miserablen Straßenbelägen bei halsbrecherisch schnellen Abfahrten und noch viele mehr. Überraschung, ich bin jedes Mal nervös, wenn der Hase sich auf’s Rad schwingt. Prophylaktisch. In einem Stück wird er wieder ankommen, so viel darf ich schon verraten, aber er muss auf dem zweiten Anstieg im letzten Drittel eine Pause machen. Und zwischendurch Limonade kaufen. Sonst absolut unverstellbar. Der Albula-Pass hat es auf jeden Fall in sich. Die schmale Straße ist sogar zwischen November und Juni gesperrt, wegen Lawinengefahr (puh, habe ich erst danach gelesen). Auch die 15 km nach der Pass-Querung ziehen sich ordentlich, Gegenwind und eine schier endlose Landstraße zermürben meine emsige Bergziege. Kein Wunder, dass David erst am frühen Abend völlig geplättet wieder am Campingplatz ist. Zufrieden kann er sich im Schein seiner sportlichen Höchstleistung sonnen, die Beine zittern ihm dennoch. Erik und ich können nur staunen. Natürlich machen wir aus allen Resten im Kühlschrank ein kleines Festessen. So viele Kalorien müssen nachgetankt werden.

    Fast schon etwas beschämt erzählen wir von unseren Grenzerfahrungen: Dieser kleine Hund, der aber in Wahrheit zu einem strammen Muskelpaket mutiert ist, scheint eine besonders krasse Erdanziehungskraft im Fahrradkörbchen zu entwickeln. Zu Hause entspannt im Lastenrad schlägt das Gewicht hier am Trekkingrad erbarmungslos zu. Die Strecke nach St. Moritz ist gut befahrbar, zwischendurch aber ordentlich kieselig. Immer wieder flutscht mir das Hinterrad unter meiner wertvollen Fracht ein bisschen weg und Schisser, der ich bin, nehme ich die Abfahrten besonders behutsam (David würde sagen: Hasenfüßig.), die Anstiege quälen mich im Gegenzug. Es scheint, als zerren mich Hund und Gepäck erbarmungslos gen Erdkern.

    Die Wanderung hingegen ist für uns ausdauertechnisches Schulterzucken. Flanieren sagt man hier bestimmt, so nett wandert es sich um den See. Wir vermuten, dass die Stadt zu 85% aus Hotels besteht und ahnen, wo man hier überall Ski fahren kann. Schauen gedankenverloren Segelschiffchen nach und lassen Zoey keine Blessrallen jagen (findet sie blöd). Nehmen ein paar Hunde-Kackbeutel als Souvenirs (gratis!!!) mit und begeben uns auf die aufreibende Heimfahrt. Wir bewältigen immerhin 150 Höhenmeter hierbei, Erik zieht richtig durch, ich zerre mit kreischenden Beinen den Blei-Hund in Pontresina den – für mich – endlosen Anstieg empor. Vermutlich fragt sich unser wuseliger Begleiter, warum ich nur aus dem letzten Loch pfeife. Bestimmt liegt das an der Höhenluft. Oder dem nachlässigen Fahrradtraining. Sicher eine Mischung aus beidem.
    Read more