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  • Day 47

    Auf dem Pferd zu den Nachfahren der Maya

    December 15, 2021 in Mexico ⋅ ⛅ 16 °C

    Von San Cristóbal aus organisierten wir zwei Ausflüge. Unter anderem hatte sich Clem gewünscht mit dem Pferd nach Chamula - einem nahegelegenen indigenen Dorf - zu reiten 🐴

    Ehrlich gesagt war ich von der Aktion nicht 100% überzeugt und als mir dann der Guide auf Spanisch lediglich erklärte das wenn ich die Zügel nach „rechts“ ziehe das Pferd nach rechts läuft und das gleiche für „links“ gilt hatte ich sogar ein wenig Schiss 😅. Uns begleitete allerdings eine Gruppe von Yoga-Lehrern und einige saßen auch zum ersten Mal im Sattel 🏇

    Also ging es los und die anfänglichen Bedenken waren schnell verflogen. Die Pferde liefen die Strecke wohl nicht zum ersten Mal und so marschierten alle los, sobald sich das erste Pferd bewegte. Wir sind aber nicht nur auf breiten Wegen geritten, sondern auch auf schmalen Wanderwegen in dicht bewachsenden Wäldern. Mich hat wirklich begeistert, wo die Pferde mit mir überall hochgekommen sind 😋. Aber das wahre Highlight sollte noch auf uns warten… In Chamula angekommen hat der Guide die Pferde angebunden und gesagt, dass wir uns in einer Stunde wieder hier treffen und das es verboten sei Fotos von Personen zu schießen 🚫📸 . Was wir dann aber speziell in der Kirche sahen haben wir nicht erwartet. Dieser sehr spezielle Ort und die Atmosphäre sind sehr schwer zu beschreiben, sodass ich einige Bilder von Google und Abschnitte aus der Süddeutschen eingefügt habe, um euch einen groben Eindruck zu verschaffen:

    „Die Kirche ist untypisch für ein Gotteshaus: Messen werden hier nicht abgehalten, es gibt keinen Altar und keine Bänke zum Hinknien. Menschen laufen herum und sprechen laut miteinander. Sogar Tiere haben sie mitgebracht. Es herrscht dichter Nebel und riecht nach Räucherstäbchen, Harz und Alkohol.

    Die Kirche steht in San Juan Chamula, einem kleinen Ort in den Bergen der südmexikanischen Provinz Chiapas. Die spanischen Eroberer drängten vor etwa 500 Jahren die Nachfahren der Maya bis hierher zurück. Heute leben in Chamula 400 Menschen hin- und hergerissen zwischen Tradition und Moderne, zwischen alten Maya-Bräuchen und dem katholischen Glauben der Eroberer.

    In dem hinteren Bereich wird ein Huhn geschlachtet für eine religiöse Zeremonie. Es schreit lauthals. Auf dem Boden der Kirche, der mit Piniennadeln bedeckt ist, sitzt eine Frau in blauer Tracht vor einer Kerze. Sie reibt ihre Arme mit Hühnerblut ein. Dann nimmt die Frau eine Flasche Cola, trinkt sie in einem Zug aus und ein lauter Rülpser entfährt ihrem Mund. Nach dem Glauben der Dorfbewohner ist die Frau nun gereinigt, sie wird von einer Krankheit geheilt oder von einer Sünde befreit.

    Die Leute in Chamula widersetzen sich - auch fünf Jahrhunderte nach der Invasion - den Nachfahren der spanischen Eroberer: Die Chamulas sprechen ihre eigene Sprache: Tzotzil. Sie haben eine eigene Administration und Rechtsordnung. Traditionelle Heirat kennen sie nicht: Mann und Frau schließen lediglich einen auf ein Jahr befristeten Vertrag. Ein Mann darf dabei bis zu drei Frauen, die oft schon mit 13 heiraten, haben.

    Viele Chamulas weigern sich, Krankenhäuser aufzusuchen. Stattdessen vertrauen sie auch bei schweren Krankheiten den Kräften des Schamans und der heilenden Wirkung der Kirchenrituale. "Darüber kann man denken, was man will", sagt Fremdenführer Alex. "Sicherlich mutet dies für unsere Gesellschaften seltsam an. Aber man muss die Tradition von Chamula kennen, um zu verstehen." Alex wäre gerne Mitglied in der Gemeinde; denn er hat Vorfahren aus Chamula. Zu Alex sind die Menschen freundlich. Sie grüßen ihn, klopfen ihm auf die Schulter, einige sprechen mit ihm Tzotzil, die Eingeborenensprache. Doch die Menschen hier sehen ihn als Fremden - fast wie jeden anderen auch.

    Der Konflikt der Unvereinbarkeit von alten Traditionen und neuen Einflüssen ist vielleicht in keinem Ort Südamerikas so deutlich zu sehen wie in Chamula. Das Leben im Dorf, das sich eigentlich der Modernität verweigert, wird von drei Dingen bestimmt: Tourismus, Coca-Cola und Schnaps.

    In Chamula kann man viele alte Traditionen beobachten: Schafe sind hier heilige Tiere, da Johannes der Täufer, der Schutzpatron von Chamula, ein Schaf im Arm trägt. Die Tiere werden nicht geschlachtet, nicht einmal die Milch trinkt man. Allein ihre Wolle wird genutzt. Stirbt ein Schaf, wird es liebevoll im Garten beerdigt. Im Dorf sieht man Frauen Schafe treiben, die einen Maulkorb tragen. Sie sollen nicht das schmutzige Gras in Dorfnähe fressen. Erst auf den grünen Wiesen der umliegenden Hügel wird der Maulkorb entfernt. Die wichtigsten Männer des Dorfes - der Bürgermeister, Polizisten und Mayordomos - tragen Ponchos aus weißer Schafswolle.

    Im Laufe der Zeit kam es immer wieder zu Konflikten zwischen den Eingeborenen in Chamula und der mexikanischen Staatsgewalt: 1867 griffen tausende Chamulas im "Krieg der Rosen" das benachbarte San Cristobal de las Casas an, heute kämpfen sie in der Armee der Zapatisten für soziale Gerechtigkeit. Auch Touristen sind nicht immer erwünscht. Manche Menschen in Chamula beobachten die Reisenden argwöhnisch oder gar aggressiv, andere dagegen grüßen freundlich oder nähern sich ihnen mit bettelnden Händen.

    Für Touristen, die im acht Kilometer entfernten San Cristobal de las Casas wohnen, ist ein Ausflug nach Chamula fast Pflicht geworden. Viele finden, das Leben der Mayas lasse sich in Chamula viel besser nachvollziehen als in den rekonstruierten Ruinen von Chichen Itza oder Palenque. Aber Fotografieren ist hier gefährlich. Die Chamulas sagen: "Die Touristen rauben unsere Seele, wenn sie uns fotografieren."

    Bei unserem Besuch wurden glücklicherweise keine Hühner geopfert, sondern nur Rituale mit vielen Kerzen abgehalten, bei denen Farben und Anzahl je nach Anlass angezündet werden 🕯. Auf dem Weg zurück zum Treffpunkt sahen wir dann noch einen abgetrennten Kuhkopf vor einem Haus hängen. Wir befanden uns eine Stunde in einer anderen Welt …!
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