Satellite
Show on map
  • Day 18

    Mein persönliches Weihnachtsfest

    December 26, 2023 in France ⋅ ☀️ 10 °C

    Es ist überraschend kalt am Morgen. Die vierzehn Grad vom letzten Licht der Sonne haben sich in drei Grad im Dunkeln verwandelt, die Menschen schlafen noch, während ich schon bei der letzten Tasse Kaffee angekommen bin. Im Sinne des Umweltschutzes scheinen die Hafermilchpackungen ihre Stabilität verloren zu haben, denn bei aller Vorsicht spritzt ständig was daneben. Vielleicht ein Zeichen, dass ich bald meine provenzalische Fischsuppe essen sollte, denn dann hätte ich eine Glasflasche, um langfristig dem Milchtütenproblem konstruktiv entgegen zu wirken.

    Wir haben einen bezahlten Stellplatz genommen, obwohl fast schräg gegenüber auch eine andere Möglichkeit sich hätte ergeben können. Aber ich brauche Wasser. Strom ist mal nicht schlecht. Und von der Nacht zum neuen Tag ist wieder die Zeit der Körperwäsche gekommen. Schon wieder ist eine Woche vergangen. Das habe ich letztens schon bei meinen Tabletten so gedacht. Die Streifen haben Größen von zehn, zwanzig und fünfundzwanzig Stück, ich sehe also immer wieder wie die Tage dahingehen, die rückblickend wie "Windhauch" wirken können, so wie es Salomo in der Bibel geschrieben hat.

    "1Das sind die Worte von Kohelet, dem Sohn Davids,der König in Jerusalem gewesen ist.
    2 Windhauch um Windhauch, sagte Kohelet, Windhauch um Windhauch: Alles vergeht und verweht."
    https://www.die-bibel.de/bibeln/online-bibeln/l…

    Das sehe ich nicht negativ, denn ich bin ja in der Lage, meine Tage zu füllen, das Richtige zu tun, was mir und den Menschen und Tieren um mich herum nutzt. Aber im Rückblick aus so einer Tablettenperiode heraus, fällt es mir immer schwer, die Inhalte der vergangenen Tage mir präsent zu machen. Ist ja auch eigentlich nicht nötig, wenn mein Handeln konform mit meinem Denken ist, dann gibt es wenig Raum zum Zweifeln. Und diese bilden ja meist sehr aktuell eine große Sprechblase über meinem Denken, die aufgelöst werden sollte.

    Also bemühe ich mich, in meinem Jetzt das Beste zu geben, und da wo ich scheitere, dem Verlust auf den Grund zu gehen, um dem Negativen zukünftig konstruktiv aus dem Weg zu gehen. Sicherlich mag ich es einfacher haben, weil die Zeit ein Faktor ist, der auf meiner Seite ist. Ich weiß noch gut, wie ich in der Hektik des Berufslebens aus der Haut gefahren bin, und mich dann schlecht einfangen konnte, weil der Mensch ja grundsätzlich glaubt, für sich das Recht zu haben, so handeln zu können.

    Tatsächlich frage ich mich manchmal, was ich mit dem Mittelfinger anfangen soll, wo ich ihn jetzt nicht mehr benutze. Für die Nase ist er untauglich und ein Instrument spiele ich nicht. Es liegt an unserer positiven Einstellung, dem Leben in einer Weise begegnen zu dürfen, aus der wir nur noch selten mit einem Kopfschütteln über uns selbst versuchen, das Handeln zu optimieren.

    Und natürlich bin ich nicht perfekt. Warum auch. Denn gerade die Hilde führt mich immer mal an meine Grenzen der Geduld, der Belastbarkeit. Ihr verändertes Verhalten führt zuerst zur Sorge und auch zum Ärger, bevor ich nach Antworten suche. Warum mag sie nur noch kurze Wege gehen, obwohl sie nicht unbedingt erschöpft wirkt. Nur selten findet sie andere Hunde nett, obwohl sie Interesse zeigt. Schnell die Zähne zeigen, knurren und gestern hat sie in seine Richtung geschnappt.

    Sie reagiert auf lautes, menschliches Schreien, ebenso wie auf freilaufende Hunde, in dem sie mich drängt, die Situation zu verändert. Das war in Spanien schon immer ein Problem, wenn Männer sich lautstark unterhalten haben, dass sie schlichten wollte. Genauso verhält sie sich bei schreienden Kindern, die sie beschützen möchte. Natürlich reagiere ich darauf, und lasse eine solche Situation nicht entstehen bzw gehe direkt auf Hilde ein.

    Immer wieder "vergisst" sie gelerntes Verhalten und macht den Spaziergang gestern Abend zu einem Stresstest, indem sie versucht, meinen Weg zu bestimmen, sich mit aller Kraft in die Leine zu werfen. Da muss ich bewusst die Umwelt ausblenden, um mich ruhig mit ihr zu beschäftigen, denn natürlich sehe ich die Menschen um mich herum, wie sie auf ihre wohlerzogenen Hunde deuten und über mich den Kopf schütteln.

    Nicht wirklich, aber in meinen Gedanken ist das so. Und das ist keineswegs easy going für mich. Da stehe ich beileibe nicht über den Dingen. Also gilt es, zuerst an mir zu arbeiten, und gleichzeitig mit Hilde zu üben. Ach, das Leben könnte so einfach sein.

    Aber als wir am Morgen losfahren, blinkt in Steffi's Camper die "Zündspule". Adac, Werkstatt, der Tag vor Heiligabend ist in Frankreich der letzte Arbeitstag in den Werkstätten, bis Anfang Januar geht nichts mehr.

    Ja, sie könne auch nach Spanien fahren, aber es könne auch problematisch werden. Und weil Steffi doch noch an einem für sie wichtigen, familiären Termin im Januar teilnehmen will, fällt die Entscheidung am nächsten Morgen in Pesmes. Wir winken uns zu, sie verbringt den 23.Dezember während der Rückfahrt nach Deutschland auf der Autobahn, und wir landen auf dem Stellplatz in Saint - Pirm.

    Am Heiligen Abend die Fahrt an den Plage de l'Espiguette, die Nacht in Le Grau du Roi am Straßenrand, der nächste Morgen am Strand von Boucanet. Für die schönen Flamingos, die vielen Wasservögel, die Spiegelungen der Bäume auf dem Wasser habe ich jetzt erst ein freies Auge. Am Tag vorher zwar gesehen, aber mehr wie ein Film im Kopf. Jetzt freue ich mich.

    "Nachmittags fahren wir weiter, sozusagen etangweise, vom l'Or bis zum Vic. Und jetzt stehen wir am Thau. Flamingos in Sichtweise, was sich auf den Bildern nicht so deutlich zeigt. Wasservögel satt, meist weiß, aber auch schwarz unterm Flügel. Das Boot scheint schon vor längerer Zeit umgekippt zu sein, macht aber einen pittoresken Status. Der Elch ersetzt nicht unbedingt Steffi, aber er ist eine gute Erinnerung an sie." (Auszug aus FindPenguins)

    Wir kommen in eine freundliche Polizeikontrolle und lernen abends eine deutsche Familie auf dem Wohnmobilstellplatz in Balaruc-les-Bains kennen. Zwei Erwachsene, zwei Kinder, zwei Hunde in einem kleinen Bus. Man hätte sich doch recht schnell miteinander arrangiert, ich verschenke einen zweiten Band an die Mutter, die gerade Essen kocht und gerne liest, ihr kleines Mädchen hält den dicken Band fest in ihren Armen.

    Mein letztes Bild im schwindenden Licht der Nacht. Dann habe ich Zeit für all die lieben Grüße, die mir ins Haus flattern, mein persönliches Weihnachtsfest. Ich darf mich satt lesen, das tut sooo guuut. Ja was würden wir ohne unsere Mitmenschen machen. Auch wenn sie räumlich oft von uns entfernt sind, im Herzen sind so ganz nah.
    Read more