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  • Day 3

    Aufgewacht

    March 9 in Germany ⋅ ⛅ 9 °C

    Ich wache auf und mein erster Gedanke ist, dass meine ganze Geschichte in diesem Traum ist. Aber weil es erst drei Uhr am Morgen ist, will ich nochmal einschlafen und erlebe Variationen dieses Traumes, und jedesmal wird meine Geschichte verwirrter, bis ich endlich aufwache, Kaffee koche, das ganze intuitiv Erlebte in die Falten der Zeit zurücklege, wohlwissend, dass ich es auch dieses Mal nicht entwirren kann.

    Mein Leben in einem Traum verstehen, was für ein grandioser Gedanke. Meine Hafermilch hat so einen merkwürdigen Deckel, bei dessen erster Öffnung ich immer denke, jetzt reißt er ab, und die Flüssigkeit läuft über mich.

    Wie der Traum, der sich in der Erinnerung über mich ergießt, weil ich ihn nicht vernünftig auflösen kann. Immer gibt es lose Enden, Sackgassenwege, Abzweigungen, deren Bedeutung sich im Nachdenken verlieren. Dieses verwirrende und sich vielleicht irrende Spiel meiner Lebenswege, deren klare Ausrichtung, an die ich zumindest glaube, sich im Traum bestätigen, um mich im Aufwachen losgelöst wie ein wildes Wollknäuel, das ein junges Kätzlein im Spiel verdreht, wieder dort aufzufinden, wo es keine Antworten gibt.

    Keineswegs sind diese Gedanken so negativ wie sie klingen mögen. Ich habe die ganze Zeit ein leichtes Schwingen in mir, ein fröhliches Klingen wie die ersten zarten Vogelstimmen in der schwarzen Nacht des erwachenden Morgens, denen ich nachlausche, die in den geschlossenen Bus eindringen, wenn die anderen Geräusche nachlassen, stille werden.

    Kaffee trinken. Wir sind in Werne gelandet, mit einem Stellplatz unter dem Gradierwerk, von dem ich fälschlicherweise behauptet habe, es sei eine Therme, weil es sich so schön reimt auf Werme.

    "Das 1991 errichtete Gradierwerk hat eine Größe von 50 Metern Länge und neun Metern Breite und liegt in unmittelbarer Nähe zum Stadtsee. Hier können Besucher die Heilwirkung der Sole für ihre Gesundheit nutzen. Die Sole rieselt über eine Wand aus Schwarzdorn, sodass beim Auftreffen auf die Dornen ein feiner Nebel entsteht. Dieser reichert die Luft mit Sole an und erzeugt ein maritimes Klima.

    Der Generationentreff an der Saline bietet viele Möglichkeiten für Jung und Alt. So können sich die einen auf dem Kinderspielplatz austoben und die anderen die Angebote wie Boule-, Skat- oder Schachspielen nutzen. Die Tische sind für Karten- und Gesellschaftsspiele jeglicher Art geeignet."

    https://www.werne.de/de/tourismus/werne-entdeck…

    Wunsch und Wirklichkeit. Heute gibt es zwar Kindergeschrei, aber kein Spiel. Stattdessen ärgerliches Entengeschnatter am See mit den Hundespaziergängern im Sonnenuntergang. Sonne im Tor des Gavierwerkes, wie Sonne zwischen den Ästen des kleinen Wäldchen gegenüber dem Haus meiner Freunde in Hagenburg am Morgen, wie an jenem Abend oberhalb von Briedel an der Mosel. Überall findet dieses großartige Licht einen Durchgang, um sich zu verabschieden, uns zu begrüßen. Der Blick durchs Schlüsselloch in die Vielfältigkeit der Unendlichkeit, die sich in einem Augenblick in meinem Auge konzentriert.

    Als ich wieder gucken kann, zerrt mich Hilde hinter den Bus, da liegt ein Geldschein neben den Rädern meiner Nachbarn auf dem Boden. Als sie meine Frage verneinen, möchte ich ihnen ein Buch schenken, das sie mir abkaufen, und mich auf ein Bier einladen. Während wir zusammenstehen, erzählt eine kleine Frau mit starkem brandenburger Akzent die Lebensgeschichte von Pepsi, die auf ihrem Arm zittert, weil Hilde sie angebellt hat.

    Auf die Frage von Jürgen, ob sie länger auf dem Stellplatz stehen, antwortet sie, dass sie in der Nähe wohnt, aber als Clown auftritt, hier und überall. Und deshalb. Früher habe sie so den Zugang zu den schwierigen Eltern gesucht, deren Kinder mit ihr gespielt haben, bis sie sie nachhause eingeladen haben. Sie hätte beim Amt gearbeitet, wissen Sie. Und jetzt mache sie es aus Freude, für die Menschen um sie herum.

    Aber wir Clowns wissen doch, dass die Menschen nur ein Publikum sind, das unsere Berufung am Leben erhält, und letztendlich damit uns selbst. Sie brauchte einen kleinen Hund zum Kuscheln, ein kleines, verletztes Wesen, dem sie ein Zuhause gibt. Die Geschichten wiederholen sich, und immer wieder fügen wir eine neue Nuance hinzu, um uns am Leben zu erhalten.

    Reisen im kalten Deutschland, mit dem zweiten oder dritten Frühling des Winters im Gepäck. Wieder friert es, die Wildgänse sind auf dem Weg nach Norden, so glaubt man. Aber sie leben ganzjährig im Drömling, am Steinhuder Meer, an den Seen verteilt im Land. Sie lassen sich nicht von Weitgereisten unterscheiden, die vom Süden nach Norden, von Osten nach Westen unterwegs sind. Vielleicht fliegen sie nicht mehr so hoch überm Land, aber sie bleiben unabhängig davon Kraniche oder Wildgänse.

    Wie Menschen. Weitgereist. Ortsansässig. Nicht am Camper sieht man den Unterschied, nicht am Menschen, nicht einmal an seiner Bewegung. Erst wenn du hinterfragst, wenn dir einer antwortet, wenn du die richtigen Fragen stellst, dann bekommst du vielleicht eine Antwort.

    Wir haben zusammen Kaffee getrunken, ich habe Brötchen mitgebracht, der Sohn hat mich rasiert, ich habe geduscht. Dann setzen wir ihn in der Stadt ab, die Sonne scheint, er geht arbeiten. Wir fahren fort. Wie immer. Mit den besten Wünschen, dem guten Wiederkommen, dem in Verbindung bleiben. Was mit dem Sohn tatsächlich so ist. Wir wissen soviel voneinander unterwegs, dass wir zusammen oft schweigen, aufs Wasser schauen, das Miteinander zu einem stillen Augenblick wird.

    Auf der Autobahn suche ich einen Schlafplatz, die Sonne macht mich schläfrig, die Stille, die Einsamkeit auch. Alle Aktivitäten kommen zur Ruhe, kaum dass wir alleine sind, kann ich erstmal schlecht denken, muss mich entspannen. Die Augen erst öffnen, wenn es soweit ist. Auf dem Bürgersteig an der Sackgasse wartet der kleine Sohn von Freunden, er begrüßt uns scheu, obwohl seine Vorfreude auf unseren Besuch riesig war. Mit Hilde rennt er ins Haus, doch wenn sie bellt, hält er Abstand.

    Wir haben einen schönen Abend zusammen mit guten Gesprächen, angenehmen Gefühlen, leckerem Essen. Als ich am nächsten Morgen beim Bücherschrank bin, fällt mir ein Exemplar in die Hand, das ich fast willens ergreifen. Das gelbe Buch von März bei Zweitausend, rote und schwarze Schrift, ein Muss der Siebziger.

    "Acid" habe ich damals gelesen, die Schrift ist so klein, dass sie nicht für ältere Menschen gedacht sein kann, aber dass muss ich erst später erkennen. Das Buch entspringt einem Lebensgefühl, das ich manchmal vermisse. Und wie jetzt dann auch feststellen muss, dass ich mich tatsächlich von ihm entfernt habe. Trotzdem.

    Manchmal hält es uns wach, dieses Trotzdem, manchmal schläfert es uns ein. Münchehagen mit seinem Dinopark im Winterschlaf, im Kloster Oesede ist auch alles noch ziemlich ruhig, in Bad Idstein wechseln wir die Himmelsrichtung. In Telgte kreuzen wir die Ems, es geht auf den Abend zu.

    Dann stehen wir in Werne. Ist es die frische Atemluft, das rieselnde Wasser, oder einfach die wechselnden Verhältnisse, wir sind beide richtig müde.
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