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  • Day 6

    Nachtschlaf

    March 12 in Germany ⋅ ☁️ 8 °C

    Dass der Nachtschlaf ein Geschenk sei, wird allgemein anerkannt, und ab einem gewissen Alter besonders hoch gelobt. Tatsächlich dürfte die Nacht jene Zeit des Lebens sein, in der die Menschen am ehesten gefährdet sind, weil sie dann viel wehrloser, angreifbarer sind. Nicht unbedingt das Opfer uneinsichtiger Verkehrsteilnehmer, sondern eher im Banne der eigenen Gedanken, der verwirrenden Träume.

    Wenn du Nachts meinst, keine Luft zu bekommen, dann bist du hilflos wie ein Baby. Das musst du aushalten lernen. Wie die Schmerzen in den Gelenken, die tagsüber schon nerven, aber in der Nacht dich wachhalten, dir den Schlaf rauben, weil du nicht einschlafen kannst.

    Du findest plötzlich soviele Stellen, auf denen du nicht liegen kannst, und drehst dich hin und her, versuchst dich irgendwie in den Schlaf zu manipulieren. Ein Trick für mich ist, die Standheizung so hoch zu stellen, dass mich die Wärme so einlullt, bis ich wieder von ihr aufwache aus irgendeinem Traum mit Palmen und Sonnenstrahlen.

    Die vorherrschende
    Witterung mitten in Deutschland ist nasskalt, und selbst, wenn die Sonne scheint, nimmt sie in meiner Erinnerung nur einen unbemerkten Zeitraum ein. Ganz falsch, denn auf dem Spaziergang mit Melanie in Radevormwald habe ich mich nassgeschwitzt, und in Unterburg haben wir mit Christiane und Rolf auf der Terrasse gesessen, während Hilde im umzäunten Garten für Ordnung gesorgt hat.

    Melanie ist eine ausgewiesene Pilzexpertin, gut zu Fuß, was nicht nur im Bergischen Land von Vorteil ist. Da sie sich nebenbei auch noch mit einer besonderen Form des Gartenbaus, dessen Name mir gerade entfallen ist, auskennt, dürfte eine Wanderung mit ihr sehr informativ sein.

    https://www.ig-wiebachtal.de/aktuelles/pilzexku…;

    Ich schnuppere immer so ein bisschen daran, weil mich weder Pilze noch Gärten besonders interessieren, aber sie hat ja noch viel mehr zu erzählen. Aus ihrer Kindheit zum Beispiel, vom leerstehenden Haus der Großeltern, an dem wir vorbeischauen. Selbst die Mauer mit dem Fenster und der Kette, der alte Kuhstall, wie im Sturm das Dach abgetragen wurde, sie mit den Großeltern dabei vom Haus aus zuschauen konnte.

    Das vergisst man nicht. Ein Satz, der Geschichten oft anhängt, aber aus eigener Erfahrung braucht es für die Erinnerung oft ein Erlebnis, eine konkrete Begegnung. In unseren Reisejahren sind wir an vielen Orten gewesen, an denen ich gelebt habe, um so manches aufzuarbeiten, was in den Tiefen meiner Seele vergraben ist.

    In Lüdenscheid habe ich zwei Jahre gelebt, mehrere Wohnungen belebt, diverse Jobs gemacht, Menschen gekannt, und mit Freundinnen meine Zeit erheitert. Mit der blonden Dagmar bin ich über den Katschberg nach Jugoslawien gefahren, 1974 im Sommer, in meinem blauen VW Käfer, und irgendwann hat sie mich in einer Kneipe wegen dem schwarzhaarigen Norbert aus Gummersbach verlassen.

    Das ist 50 Jahre her, aber obwohl ich so oft durch Lüdenscheid fahre und mir manches einfällt, finde ich nichts wieder, woran ich meine Erinnerung knüpfen kann. Immer bleibt eine Art Luftblase in mir zurück. So auch dieses Mal. In Wipperfürth übernachten wir auf dem Parkplatz nahe der Altstadt, auch hier gibt es eine Geschichte, die aber noch tiefer in den Falten der Zeit verborgen ist.

    Der Platz ist nachts ruhig, aber schon um fünf Uhr morgens beginnt der Staffellauf der Hundebesitzer, die am Fluß entlang um den Parkplatz herum eilen. Im Regen mit Schirm oder weitem Umhang, als wäre darin einer Wasserleiche unterwegs. Nach unserer ersten Runde verschwinden wir jeweils zu einem ruhigen Ort in der Umgebung, während die 73jährige Nachbarin in ihrem alten Hobby noch ruhig schläft.

    In Portugal habe ich die Biografie über Janis Joplin weitgehend gelesen, mir aber die letzten drei Kapitel für einen Zeitpunkt aufgehoben, von dem ich gehofft habe, dass ich dafür gut drauf sein müsste. Der Tod bewegt uns oft in unseren Gedanken, aber in besonderen Umständen macht er das Leben sehr schwierig.

    Ich war 19 Jahre alt, als Janis Joplin vermutlich ungewollt an einer Überdosis sehr reinem Heroin kollabiert und alleine gestorben ist, weil niemand da war, der ihr hätte helfen können. Es regnet so sehr vom Himmel, dass meine Tränen nicht alleine sind. Und ich bin keineswegs in einer guten Stimmung. Das ist man in der Regel auch nicht, wenn man mit dem Tod zu tun hat, aber in solchen Situationen spult sich dabei mein eigenes Leben ab, die Vergangenheit wird zur Gegenwart, und ich muss hart kämpfen, damit meine Zukunft noch sichtbar bleibt.

    Zwischendurch muss ich den Ort wechseln, bevor ich weiterlesen kann, um meine Gedanken zu ordnen. Hilde ist froh, wenn wir irgendwo stehen. Die Läufigkeit zehrt an ihrer Energie, die vielen Begegnungen machen auch sie müde, und so ist sie froh, dass wir im Regen stehen, der die Sicht und andere Geräusche schluckt, sodass sie ungestört schlafen kann.

    Meine Tränen ist sie gewohnt, bin ich doch nahe am Wasser gebaut, und sehr mitfühlend geblieben, wenn ich alleine bin. Wir fahren einige Stellplätze ab, stehen "knietief" in den Pfützen, und ich frage mich, wozu braucht man einen Fußweg, der zum Radweg führt. Und ob ein Stellplatz neben einem Schrottplatz für Wohnmobile tatsächlich für gute Stimmung sorgt, selbst wenn der Ort Wetter heißt.

    Am Ende fahren wir nach Dorsten, wo das Biotop schon seit Jahren nicht mehr ausgetrocknet ist. Die Lippe liegt wieder in ihrem Bett, aber das dunkle, verwelkte Gras am Ufer deutet an, wie lange der Fluß hier gestanden hat. Vor der Eissporthalle liegt immer Schnee, wenn wir hier sind, und der gelbe Ginster steht den blauen Fenstern positiv gegenüber.

    Hier esse ich heute mittag Chips und trinke den köstlichen Rosé vom Lütz mit dem Namen Farbspiel, ein Pündericher Geschenk auf der Fahrt von Frankreich nach Deutschland zum Ende Februar. Das erstaunt mich jetzt allerdings ziemlich, wähne ich mich doch schon viel länger in der Gegend, wo soviel passiert ist, dass es sich wie Monate anfühlt.
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