• Entscheidung

    Aug 10–11, 2024 in Norway ⋅ ⛅ 18 °C

    DAY 44 A JOURNEY ALONG
    THE COASTLINE OF EUROPE
    (Fahrtstrecke 212 km)

    Akland - Søndeled - Stabbestad - Sannidal - Kragerø - Helle - Valle - Langesund - Brevier- Porsgrunn - Ulefoss - Lunde - Hogga Sluse

    Die Qualität der Bilder ist ein Graus, die Schäden an der Kamera sind fortschreitend, sodass lediglich oft nur ein Eindruck von dem bleibt, was in Wirklichkeit vorhanden ist.

    Das passt aber gut zu der Realität unserer Reise, die auch nur ein Abglanz der Möglichkeiten ist, unter denen sie tatsächlich hätte stattfinden sollen. Zu hoch, zu schnell, zu weit. Das könnte ein Motto für die Sieger in vielen Wettbewerben der Olympischen Spiele sein, für mich sind sie ein Ausdruck meiner falschen Entscheidungen.

    Wohlgemerkt. Auch gestern waren wir zur richtigen Zeit am richtigen Ort. Die Dinge fügen sich immer schon so, wie es in unserem Leben sinnvoll sein soll. Dennoch bin ich manche Wege gegangen, die ich mir grundsätzlich anders vorgestellt habe.

    Wobei es sich nicht um neue Erkenntnisse handelt, ich weiß schon, was ich besser anders machen muss, lediglich die Umsetzung fällt mir nicht leicht. Ich baue immer Gründe für mich ein, warum was wie nicht funktionieren kann. Bis der Krug, der zum Brunnen geht, zerbricht.

    Vielleicht habe ich gerade noch rechtzeitig den Fuß in die Tür gesetzt, bevor sie zugeschlagen ist. So hoffe ich wenigstens. Und möchte dich heute ein wenig in meine Überlegungen mitnehmen.

    Es gibt bestimmte Voraussetzungen, unter denen unsere Reise für alle angenehmer ist. Maximal hundert Kilometer am Tag zu fahren, nachmittags um 16 Uhr einen Schlafplatz haben, nach mehreren Reisetagen zwei Ruhetage einbauen. Und am Meer links herum zu fahren. Dazu ausreichend Spaziergänge einzubauen. Da sie körperlich für mich nicht länger als 30 Minuten sein dürfen, müssen sie eben häufiger sein, fünf, sechsmal am Tag dürfte passen.

    Und - ich muss die Reiseroute so legen, dass wir außerhalb der Touristenströme unterwegs sind, weil wir sonst nicht an die Strände kommen, die wir für einen leichten Auslauf benötigen. Denn das sollte eigentlich der wichtige Nebeneffekt eine Reise am Rand der Welt sein.

    Norwegen, so dachte ich, wäre ein guter Beginn gewesen. Von der Witterung her, vom Startpunkt, von meinen eigenen Bedürfnissen und Sehnsüchten geleitet. Aber wo soll ich starten. Lange habe ich mit mir gehadert, warum wir nicht von der russischen Grenze aus losfahren. Das wäre logisch gewesen. So glaubte ich, wusste aber auch, dass das Zeitfenster eigentlich dafür zu klein ist.

    Oslo wäre von der Richtung die beste Entscheidung gewesen, aber es war mir zu sehr südlich. So war der Start mitten drin. Und zum Glück nach Norden. Leider habe ich dann die falsche Entscheidung getroffen, weil ich an die weite Entfernung gedacht habe, die ich zurückfahren muss, an die langen Tunnel in den Bergen.

    Die beste Route wäre gewesen, bis Rognan zu fahren, über Kiruna zur Ostküste nach Schweden und die nach Süden. Denn eins weiß ich auch, dass wir die Strecken durchs Landesinnere immer wieder brauchen. Nur Meer macht auf Dauer müde. Egal, wo wir unterwegs sein werden.

    Anfangs hatte ich noch ein schlechtes Gewissen, wenn ich mehr als hundert Kilometer gefahren bin, dann habe ich Erklärungen gesucht. Später war das nicht mehr nötig, aber als ich jetzt den Tagesdurchschnitt ausgerechnet habe, wurde mir doch schwarz vor Augen.

    Natürlich soll jede Reise Freude bereiten, besonders wenn sie die letzte Lebensreise ist. Aber gerade deshalb fordert sie Disziplin von mir und konsequentes Handeln. Das habe ich weitgehend versäumt. Dass ich schnell vergesse, wo ich gereist bin und übernachtet habe, ist vermutlich bei der Vielzahl der Eindrücke eher normal, aber dass ich meinen Überblick verliere, vergesse wann ich mich zuletzt "geduscht" habe, oder das Atemgerät reinigen konnte, das ist gravierend.

    Vorher hatte ich einen Kalender verwendet, dachte aber jetzt ob der veränderten Reisesituation, dass ich das nicht mehr brauche. Weit gefehlt. Ohne Hilfsmittel geht gar nichts mehr. Entweder ich mache etwas täglich wie das Einnehmen der Medizin, oder das Führen des Roadbooks, dann ist es unproblematisch. Aber für alles andere, auch die Ergänzung von Medikamenten und bestimmten Lebensmitteln, was ich nur in Deutschland erledigen kann, brauche ich einen Kalender.

    Langesund ist unser Endpunkt dieses Mal an der norwegischen Südküste. Im August finden anscheinend viele Festivals statt, der Verkehr nimmt Richtung Oslo zu, und ich bin auf der falschen Seite unterwegs. Die Sicht von der Fahrerseite aufs Wasser habe ich nur, wenn ich den Bus drehe, das rechte Seitenfenster kann ich nicht öffnen. Das macht viele Eindrücke unvollkommen, eingeschränkt, sinnlos. Jedesmal für ein Bild auszusteigen, macht Hilde völlig konfus, weil sie jedesmal unruhig wird und glaubt, wir gehen spazieren.

    Wir werden Oslo weiträumig über den Norden umgehen, und dann quer durch Schweden an die Südküste fahren, um noch einen Hauch Ostsee mitzunehmen. Von Ende August bis Mitte Oktober sind wir in Deutschland unterwegs, bevor wir dann erneut ans Meer fahren werden.

    Die Highlights gestern waren der heftige Regen bis Kagerø, wo die Sonne erst dann rauskommt, als ich Kirche und Fähre schon abgelichtet hatte. Zwischen Valle und Helle gab es den tollen Wasserfall auf der sonst einsamen Straße mit vielen Blicken auf beschauliche Küstenregionen, mehr oder weniger weit entfernt vom Meer.

    An der Bamble Kirke treffe ich auf deutsch norwegische Freundschaft zweier älterer Herren, die heute ihre jüngsten Kinder dort vermählen, während unweit im Hintergrund die fast tausend Jahre alte Olavskirke in ihre Zukunft schlummert.

    Langesund geht in der Mode voran, während Porsgrunn eher in der Zeit zurückgeht. Letztendlich kommen wir zur Nacht an den alten Telemarkkanal mit seiner historischen Schleuse aus schwarzem Stein, wo das Wasser unterbrochen Lärm ins stille Tal wirft.

    Weiter unten stehen wir auf dem Bobilpark für 250 Kronen zwischen reisenden Norwegern in einer ziemlich kalten, sternenübersäten Nacht, die in einen sonnigen Morgen mündet, gleich einem Neubeginn.
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