• Homberg/Efze

    30 Sep–1 Okt 2024, Jerman ⋅ ☁️ 10 °C

    3.017 TAGE AUF UNSERER
    LEBENSREISE IM BLAUEN BUS (Fahrtstrecke 85 km/ Gesamt 365.856 km /Ø121,26 km)

    29.09.2024
    Wohnmobilstellplatz
    34576 Homberg/Efze
    Deutschland

    Die Bilder sind unspektakulär. Ein bisschen Wiese, Bäume, die Mitte eines Dorfes, ein jüdischer Friedhof, Pferde, eine Brücke, der blaue Bus. Zehn Aufnahmen, die unsere Tagesreise nachzeichnen. Photos ohne großen künstlerischen Wert, die von überall her stammen könnten.

    Und dennoch sind sie besonders, weil in ihnen unser Leben, unsere Reise, steckt. Der Platz unterm Baum, an dem Hilde ihren zweiten Heilungsschlaf am Vormittag macht, während ich mein Buch lese. In der Ferne hinterm Bus bearbeitet ein Bauer sein Feld, die Luft riecht frisch nach Sonntagmorgen, und Ausflügler sind mit Rad und Auto unterwegs. Hinterm Bus führt der Weg in die Feldmark. Vor der Weiterreise spazieren wir lange leicht bergab und wieder zurück. Ich achte auf meine Atmung, zeichne still die Entfernung für mich auf, um mich zu orientieren. Sechshundert Meter mögen nicht viel sein, aber ich komme nicht in Probleme, und freue mich darüber.

    Die Brücke von Eifa ist etwas Besonderes. "Mit einer Länge von 230 Metern und einer Höhe von 30 Metern...Aufgrund der Geländeeigenschaften führte der Bahnstreckenabschnitt von Alsfeld nach Grebenau durch tiefe Täler und Bergrücken. Daher wurden beim Bau der Eisenbahnstrecke, die am 1. April 1916 ihren Betrieb aufnahm, Viadukte gebaut und hohe Erdwälle aufgeschüttet. Heute ist das Eisenbahnviadukt ein Baudenkmal und blieb daher vom Abriss verschont. Das besondere an der Bauweise der Brücke war, dass sie schon während ihres Baus nicht mehr zeitgemäß waren. Sie wurde als Gewölbebrücke aus Beton konstruiert..."

    Auf dem Photo wirkt sie recht einfach zwischen den Bäumen, aber aus der Sicht einer Drohne - siehe Link - ist das deutlich spektakulärer.

    https://www.oberhessen-live.de/2017/02/05/die-a…

    Grebenau besteht aus etlichen kleinen Orten, die wir kennenlernen, als wir versuchen zur Burg Herzberg zu kommen, doch da von unserer Seite nur Feldwege dorthin führen, fahren wir einfach geradeaus weiter.

    Vorbei am Knüllköpfchen mit 634 Metern Höhe, liegt oberhalb von Frielendorf ein jüdischer Friedhof. Alle Gräber befinden sich auf der linken Seite des Geländes. Bei Wikipedia lese ich, "Grabsteine sind nach Osten ausgerichtet, ebenso wie die Toten, deren Füße nach Osten (nach Jerusalem) zeigen, damit nach der Auferstehung die Reise in Richtung Jerusalem gleich anfangen kann."

    Für mich wirkt das jetzt so wie eine Gruppe von Menschen, die an einem Zaun stehen, um hinab in den Ort zu schauen, denn der Friedhof liegt oberhalb, und gewährt so einen weiten Blick nach Osten. Das Tor ist geschlossen, ein Besuch ist nur mit Genehmigung möglich, an den jüdischen Feiertagen und am Sabbat aber grundsätzlich untersagt.

    Ich überlege, ob das hier Geschichte ist, oder ob noch aktuell Juden traditionell so begraben werden. Letztens sind wir an einem muslimischen Friedhof vorbeigefahren. Das hat mich sehr nachdenklich gemacht, weil ich mir darüber nie Gedanken gemacht hatte. Tatsächlich habe ich angenommen, dass Juden und Muslime auf deutschen Friedhöfen begraben werden. Vielleicht jeder in einer anderen Ecke. Beide irgendwie nach Osten gerichtet, aber doch voneinander entfernt. Nachbarn sozusagen.

    Auf dem Friedhof von Tarifa in Spanien, über dem man fast genau auf einem Parkplatz übernachten kann, gibt es eine Ecke für die unbekannten Flüchtlinge, die im Meer ertrinken. Und die Fremden in Deutschland, die Deutschen in der Fremde?

    Ein unscheinbarer Friedhof rechts von der Straße weckt Fragen, kennt nicht jede Antwort. So erlebe ich es oft unterwegs, dass mir etwas auffällt, was mich zum Nachdenken bringt, aber - vielleicht zu meinem Glück - kennt das Internet nicht jede Antwort. So muss ich wachsam bleiben, aufmerksam, neugierig, unbequem.

    Vorbei an den vier Müttern mit den vier Fohlen. Vom Tod kommen wir zum Leben, es ist anmutig zu sehen, wie liebevoll die Pferde miteinander umgehen. Überm Berg hinaus öffnet sich ein weites Tal, in dem industrielles Leben stattfindet. An einem Parkplatz fällt mir auf, dass wir hier schon mal spazieren gegangen sind, als der Weg nicht so matschig war.

    Und auch den Stellplatz in Homburg/Efze haben wir mal angeschaut, der unterhalb eines Ortsteils mit vielen Kindern und Familien zur einen Seite, und einer am Morgen lauten Bundesstraße liegt. Dieses Mal ist ein Platz frei, wir machen einen Abendspaziergang und kommen an einer Fussballwiese vorbei, auf dem Kinder uns begrüßen. Ich bin überrascht, grüße freundlich zurück, manchmal passieren so kleine Wunder.

    In der Ecke neben uns steht ein bunter Bus, selbst bemalt mit Herzchen, Blumen und viel Blau vom Meer. Palmen, dazwischen eine Hängematte, ein Liebespaar am Sandstrand, da will ich nicht stören.

    Heraus kommt aber eine Frau mit einer Mülltüte, mit der ich ins Gespräch komme.

    Marion macht Musik
    www.marionseibert.de
    https://www.facebook.com/marion.seibert.14
    lebt in ihrem Bus seit einiger Zeit, ist viel und weit gereist, und in einer Weise haben wir einen ähnlichen beruflichen Werdegang. Wir tauschen meine Bücher gegen ihre CDs, ein guter Deal, so vermute ich, weil dann jeder vom anderen ein Stückchen mitnimmt auf seine Reise.

    Manche Begegnungen sind so, dass sie in Erinnerung bleiben. Das ist gut.

    Die Nacht ist ruhig, aber kalt, ich wache häufig auf, und kann nicht immer gleich einschlafen. Früh am Morgen gehen die Fußballkinder am Bus vorbei zur Schule, ich höre ich aufgeregten, hellen Stimmen. Der Tag glänzt mit blau und weiß, vom Osten her kommt eine gelbe Sonne in den Tag hinein.

    Morgen ist Oktober, Marion fährt nach Süden, in die Wärme des Winters hinein. Spanien, vielleicht Marokko, Konzerte am Strand wie jedes Jahr. Und wie sind deine Pläne?
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