• Berg

    Jun 9–10 in Norway ⋅ ☁️ 8 °C

    Mit zunehmendem Alter merke ich, dass mir das Gehen schwerer fällt, und ich dazu neige, Vermeidungsstrategien anzuwenden, obwohl Hilde lautstark murrt, lustlos dabei ist, wieder in den Bus einzusteigen. Auch meinem Sohn ist das aufgefallen, und so hat er mich dazu motiviert, eine Challenge für mich anzunehmen, die besagt, dass ich jeden Tag ein bisschen mehr gehe, aber zumindest genauso viel wie am Tag zuvor. Das ist eine große Herausforderung, denn die Wege müssen möglichst flach sein oder nur leicht hügelig, was sich in einem Land wie Norwegen gar nicht so einfach finden lässt, wenn ich nicht durch die Orte auf ihren Bürgersteigen mit Hilde gehen will.

    Also habe ich mir vorgenommen, mich von einem Parkplatz zum nächsten zu manövrieren, weil dort die Chancen am besten sind. Nun ist Schlafplatz nicht gleich Gehweg, und für hundert Meter im Kreis muss der Aufwand sich schon lohnen. Zum Beispiel für Hilde's zweiten Spaziergang ist das okay, weil sie da nur fünfmal pinkeln muss, um entspannt weiterschlafen zu können.

    Heute morgen sind die Wege voller Pfützen und der Lehm zeigt Auflösungszustände. Rutschig ist wie bergig ein no-go für mich, das muss ich also meiden. Am Vormittag fahren wir zuletzt los, nachdem zwei Angler gekommen sind und im strömenden Regen die Fische davon überzeugen wollen, von einem Nass ins andere zu springen.

    Wir sind auf bekannten Wegen unterwegs, denn hier sind wir im letzten Jahr schon an der Küste entlang gefahren, bis zu einer Wegkreuzung auf der Höhe von Mo I Rana. Jetzt kann ich mir die Umgebung mit anderen Augen ansehen, und wir finden auch heute wunderschöne Ecken, von denen ich Bilder mitbringe.

    Da ich diese Strecke in beide Richtungen sicherlich schon ein halbes Dutzend mal gefahren bin, fallen mir auch immer wieder Orte ein, die mich mit anderen Zeiten, den Kindern oder Freunden verbinden. Forciert wird das noch durchs Anfahren der Parkplätze, von denen sich nicht jeder zum Spaziergang lohnt, bzw manchmal die Hilde oder ich auch keine Lust haben rauszugehen.

    Wir passieren den Ort Lona, einige Häuser über eine Brücke halb am Hang voller Wiesen. Im Tal der Fluß, im Rücken die beiden Berggipfel voller Bäume und freiliegenden Felsen. Ich stelle mir vor, hier zu wohnen, und den Namen zu nennen, der so klingt wie eine Melodie, oder eine Geschichte von Weite und Einsamkeit.

    In Kongsmoen fahre ich an der Kirche vorbei und komme zu einer Landzunge inmitten widerspiegelndem Wasser voller Berge, Wolken und Bäumen. Möglich, dass wir hier schon eine Nacht 2017 mit dem Sohn gestanden haben, und abends am Lagerfeuer uns aufgewärmt haben. Damals war der Platz kostenlos, für den heute 100 Kronen gezahlt werden muss. Aber zehn Euro sind wirklich okay.

    Auf dem Parkplatz am Heithorn komme ich mit Radfahrern ins Gespräch. Arielle und ihr Mann sind in Paris aufgebrochen, um durch Europa zu radeln. Ihr Gepäck ist voluminös, ihr Alter mit 65 und 72 schon etwas angehoben, ihre Kondition allerdings ist ausgezeichnet. Die beiden jungen Australier, die kurz darauf auf dem Platz ankommen, wo ich gerade Eier gekocht habe, leben mittlerweile in Europa. Der aus London hat seinen Bruder in Trondheim besucht, und in einer Woche treffen sie ihre Mutter, und fahren gemeinsam zum Nordkap. Sie sind kurz nach dem Mittagessen frisch aus dem Bus auf die Räder gestiegen, und sind hochmotiviert, ihrer Kraft Taten folgen zu lassen.

    Kurz vor der Fähre in Holm sehen wir uns alle wieder, ob sie noch weiter als wir gefahren sind, habe ich nicht mitbekommen. An einem kleinen Badesee, der noch auf Wasser und den Sommer wartet, parken wir den Bus und gehen einen langen Weg zurück zum Abzweig. Von dort gibt es ein Bild von Hilde und dem blauen Bus, der sich in der Ferne zwischen den Büschen versteckt hat.

    Zwischen Wasserfällen, versteckten Häusern, und weiten Seen, kommen wir nach Holm, wo wir im letzten Jahr auf einem seewärtsgelegenen Hügel genächtigt haben. Heute gibt es niemanden, der sich den Geräuschen von Wind und Wellen aussetzen will, sodass wir die Gelegenheit nutzen, hier ausgiebig spazieren zu gehen.

    Die Überfahrt ist kabbelig, die Wellenbewegungen übertragen sich in den Bus, ich bin als Einziger sitzen geblieben, und lerne so eine junge Frau vom Schiffspersonal kennen, der ich erkläre, warum ich nicht die steile Treppe rauf und runter klettern will. Dafür lade ich sie ein, uns auf Instagram zu folgen, was sie gerne macht.

    Im letzten Jahr waren wir auf dem Stellplatz der kleine Bus und die großen Camper, heute steht am anderen Ende ein kleiner Wohnwagen und zwischen uns sitzt eine Nebelkrähe seelenruhig auf einer Bank, während seine Widersacher, die frechen Möwen, auf den Steinen am Fluß hocken. Zwei Reiher arbeiten sich sehr aufmerksam durch die, von der Ebbe, freigelegten Steine und den Seetang, beobachten die Wasseroberfläche sehr aufmerksam. Ein größerer Rabe nervt unseren Bruder, der dann letztendlich wegfliegt, vom Stromkabel zurückschaut.

    Falls du mal in der Gegend bist und einen schönen Platz für die Nacht suchst, hier sind die Daten.
    958X+V3G Berg, Norwegen
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